Mülheim. .
Die mit Mülheims Nahverkehrsplanung beauftragten Gutachter vom Büro „StadtVerkehr“ aus Hilden sehen ein strukturelles Einsparpotenzial bei der MVG in Höhe von bis zu 4,7 Mio. Euro. Die Gutachter glauben dieses Ziel in zwei Schritten bis 2020 erreichen zu können. Am Donnerstag werden sie der Politik eine klare Empfehlung zur strategischen Ausrichtung im ÖPNV geben. Es setzt zwar auf Einschnitte im Straßenbahnnetz, ist aber auch ein klares Bekenntnis zur Schiene.
104 über Wertgasse hinaus
Schon zum Fahrplanwechsel im Juni 2013 soll der Betrieb der Straßenbahnlinie 110 zwischen der Friesenstraße (Styrum) und der zentralen Haltestelle Stadtmitte eingestellt werden. Auf dem weiteren Verlauf der Strecke, die dem Vernehmen nach auch bei Zählungen im Sommer 2012 schlecht abgeschnitten hat, soll die Linie 104 rollen. Sie soll am Berliner Platz nicht mehr links auf die Leineweberstraße abbiegen, sondern geradeaus über die Wertgasse den Hauptfriedhof ansteuern.
Die Führung der Linie 104 über die Wertgasse hinaus könnte womöglich als Kniff gewählt sein, die Bezirksregierung im Streit um Fördermittel-Rückforderungen für die Linie 110 im Bereich der Stadtmitte (Beschleunigung im Zuge von Ruhrbania-Baulos 1) zu befrieden. Bislang hat sich die Aufsichtsbehörde quergestellt bei den Plänen der Stadt, die 104 nur bis zur Wertgasse rollen zu lassen und den weiteren Streckenverlauf der 110 gen Hauptfriedhof stillzulegen.
Ausgedünnte Taktung
Über die Leineweberstraße soll nur mehr die 112 rollen. Sie soll über den Kaiserplatz hinaus bis zum Hauptfriedhof fahren. Der Abschnitt zwischen Hauptfriedhof und Flughafen ist nicht mehr als Straßenbahnstrecke vorgesehen. Der Antrag der MVG zur dauerhaften Entbindung von der Betriebspflicht liegt weiter zur Entscheidung bei der Bezirksregierung.
In einem zweiten Schritt (ab 2015) soll die Taktung im Straßenbahnbetrieb ausgedünnt werden. Bahnen auf dem Meterspurnetz (102, 104, 112) sollen nicht mehr alle zehn Minuten, sondern im 15-Minuten-Rhythmus verkehren. Um dem Fahrgastaufkommen mit diesem neuen Grundtakt gerecht werden zu können, schlagen die Gutachter vor, in Niederflurbahnen mit deutlich mehr Sitzplatzkapazitäten zu investieren. Neben den bereits von der MVG bestellten fünf achtachsigen Bahnen wären wohl rund 20 weitere Achtachser anzuschaffen. Da ist der Zeitplan der Gutachter als sehr ambitioniert zu werten, zumal auf der Linie 102 einige Haltestellen baulich zu verlängern wären, damit sie den neuen Fahrzeuglängen entsprechen könnten.
Acht Busse weniger
Auch im Busverkehr glauben die Gutachter mit weniger gefahrenen Kilometern auszukommen – und das trotz politischer Vorgabe, Einsparungen ohne Qualitätsverlust zu realisieren. Insgesamt nahezu 300 000 Buskilometer pro Jahr stehen auf der Streichliste.
Die Nahverkehrsplaner vom Büro „StadtVerkehr“ glauben, die Reduzierung ist ohne Einbußen zu verkraften. Sie stellen fest, dass viele Busse aktuell ohnehin nur als konkurrierender Parallelverkehr zur Straßenbahn unterwegs seien. Ihrer Empfehlung zur strategischen Neuordnung folgend sollen Busse in Zukunft viel stärker beziehungsweise ausschließlich Zubringer zu den Straßenbahnen sein.
Kein Bus-Bedarf
Das hätte weitreichende Folgen. Die Gutachter sehen Änderungsbedarf für die Streckenführung bei insgesamt sieben Linien, denen künftig nur mehr die Aufgabe zugeteilt werden soll, Fahrgäste aus entlegeneren Quartieren zu einer nächstgelegenen Straßenbahn-Haltestelle zu bringen. Entsprechend dieser Funktion sollen nach Vorstellung der ÖPNV-Planer die Linien 124, 133 (bis Flughafen), 134, 135, 138, 752 und 151 (zwischen Hauptbahnhof und Dümpten) neu modelliert werden.
Unverändert in ihrem Verlauf bleiben sollen lediglich die Linien 132, 136, 145, 753, 976 und mit der genannten Einschränkung die 151. Die 131 von Breitscheid über Selbeck und Saarn zum Hauptbahnhof wird komplett für entbehrlich gehalten (Ersatz: 752 und 753). Ebenso soll die 122 nicht mehr zwischen Broicher Mitte und Hauptbahnhof verkehren, dort fährt die Straßenbahn 102. Gleiches gilt für den Linienast beim Bus 129 zwischen Heißen Kirche und Rhein-Ruhr-Zentrum. Hier sehen die Gutachter auch keinen Bus-Bedarf; Fahrgäste sollen die U 18 nutzen.
Noch mal zur Zubringerfunktion, die die Buslinien laut Gutachter-Empfehlung künftig für den verbliebenen Schienenverkehr erfüllen sollen: Wie dieses System im Detail ausgestaltet werden soll, dazu macht das Büro „StadtVerkehr“ in der Präsentation für den Wirtschaftsausschuss am Donnerstag noch keine präzisen Angaben. Um aber die jährliche Kilometer-Leistung der Busse wie vorgesehen zu reduzieren, dürfte so manche Linie weniger Strecke als bisher abdecken.
Deutlich weniger Fahrgäste
Es soll der Umstieg vom Zubringer Bus auf die Straßenbahn forciert werden – insbesondere als Haltestellen zum Umstieg sind ausgemacht: Hauptfriedhof (auf die Linien 104 und 112), Raffelberg (901), Heuweg, Broicher Mitte und Nordstraße (102), Sültenfuß (112), Dümpten Friedhof und Zehntweg (104) sowie Heißen Kirche und Rhein-Ruhr-Zentrum (U 18). An diesen Stellen soll es optimale Anschlussbedingungen geben, damit der Umstieg von Bus auf Bahn oder umgekehrt von Fahrgästen nicht als Qualitätseinbuße zum heutigen System wahrgenommen wird.
Die Nahverkehrsplaner aus Hilden verhehlen aber nicht, dass die neuen Umsteigenotwendigkeiten ihrer Schätzung nach 4,6 % der Fahrgäste vergraulen dürften.