Mülheim. .
Diesen Sommer wurde das Frühförderzentrum der Stadt (FFZ) verlegt und renoviert. Es wurde höchste Zeit – im Sinne der vielen Jungen und Mädchen, die hinter Gleichaltrigen her hinken.
Im FFZ werden Kinder vom Babyalter bis zum Schulstart betreut, die irgendwie beeinträchtigt sind: zu früh geboren, geistig oder körperlich behindert, sozial auffällig oder gefährdet, weil sie aus einer benachteiligten Familie kommen. Wie viele Kinder in Mülheim betroffen sind, weiß niemand sicher.
Zwei bis drei Prozent behindert
Fachleute in der Stadt gehen von zwei bis drei Prozent der 0- bis 6-Jährigen aus, die eine Behinderung aufweisen. Das wären 155 bis 233 Jungen und Mädchen. Rechnet man alle Kinder hinzu, die entwicklungs- oder verhaltensauffällig sind, „verdreifacht sich der Bedarf“. Diese Daten, die zeigen, wie sehr das Frühförderzentrum gebraucht wird, gab nun Dr. Gabriele Wahle-Conrady bekannt.
Die Kinderärztin und -psychiaterin leitet seit knapp zwei Jahren die Einrichtung, die kürzlich einen Neustart vollzog. Nach fast 40 Jahren an der Bruchstraße ist das FFZ an die Heinrich-Melzer-Straße 1 gezogen, in ehemalige Räume der Ausländerbehörde, gleich neben dem Gesundheitsamt. Eine Veränderung, die nach einhelliger Meinung überfällig war.
Zuletzt arbeitete das sechsköpfige Team, zu dem u.a. Heil-, Montessori- und Physiotherapeutinnen gehören, an der Bruchstraße in sehr sanierungsbedürftigen, von Schimmelbefall heimgesuchten Gebäuden: „Sie waren aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zumutbar“, so der zuständige Sozialdezernent Ulrich Ernst. „Man hätte viel Geld in die Hand nehmen müssen, um allein die Ursache für den Wassereinbruch zu finden.“ Ein Umzug schien in jeder Hinsicht günstiger, auch wegen der besseren Erreichbarkeit mit Bus und Bahn.
Größere Therapieräume
Aufwändig renoviert oder neu eingerichtet werden konnte zwar nicht. Immerhin: Spenden der Leonhard-Stinnes-Stiftung und der Rotarier ermöglichten den Kauf einiger Therapiegeräte. Die Gesamtfläche des FFZ hat sich auf jetzt etwa 250 qm etwas reduziert. Doch für die weggefallene Turnhalle gibt es jetzt größere Therapieräume und, was alle hervorheben: mehr Ruhe zum Arbeiten. Zuvor saß man teilweise mit im Grundschulgebäude an der Bruchstraße, was Unruhe mit sich brachte.
Etwa 100 Kinder werden momentan behandelt. Viele Familien, so Ulrich Ernst, wurden aufmerksam durch das Projekt „Füchse“, eine Reihenuntersuchung zur Früherkennung, die in Mülheimer Kitas läuft. „Auch Kinderärzte schicken Familien“, erklärt Dr. Wahle-Conrady, „das SPZ oder das Jugendamt.“ Letzteres ist nicht die Regel, hat aber eine wichtige Konsequenz: Das Kind rückt, nach einem „Risiko-Score“, ganz nach oben auf der Warteliste, und wird möglichst sofort behandelt.
Andere warten derzeit, nach Angaben des FFZ, sechs bis acht Wochen allein auf den ersten Termin, weitere vier bis sechs Monate, ehe die Therapie beginnt. „Jeder verschenkte Monat ist natürlich nicht gut“, weiß auch Dr. Wahle-Conrady. Doch für kürzere Wartezeiten bräuchte man mehr Leute, was auch seit Jahren nicht nur intern angemahnt wird. 2011 entwickelte die Leiterin des FFZ mit einer per Werkvertrag hierfür beschäftigten Pädagogin ein neues Konzept. Es sieht die Weiterentwicklung zu einer interdisziplinären Einrichtung vor, die Aufstockung des Teams auf rund 10,5 Stellen, darunter 5,5 für Heilpädagogen. Es scheiterte an der Finanzierbarkeit.
Hohe Ausfallquote bei Terminen
Mehr Geld für das FFZ steht in Zeiten des Nothaushaltes nicht zur Verfügung. „Die Frühförderstelle“, so Ulrich Ernst, „ist eine freiwillige Leistung, die viele Kommunen gar nicht mehr haben. Zusätzliches Personal würden wir uns zwar wünschen, können es aber nicht einstellen.“ Man ist froh, zum 1. Oktober wenigstens wieder eine zweite Heilpädagogin zu haben. Eine Wiederbesetzung: Die Stelle wurde Ende 2011 wegen Altersteilzeit frei. Das FFZ möchte in Zukunft mehr tun, künftig auch Sprachtherapie anbieten, allerdings mit externen Partnern.
Ein Problem bleibt, das sich aber schon verringert hat: die Zuverlässigkeit der Familien. Zeitweise hatten sie bei Terminen eine Ausfallquote von 40 Prozent, so Dr. Wahle-Conrady, nun seien es 25 Prozent. Dabei geht nichts ohne Mitarbeit der Eltern: „Das gilt für alle Frühförderprojekte“, betont Ernst. „Man darf nicht gegen die Elternhäuser ankämpfen, sondern muss sie zu Partnern machen.“