Mülheim. .

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen fordert die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit einer Behinderung am gesellschaftlichen Leben. Dass die sogenannte Inklusion in Mülheims Sportszene noch das Dasein eines Stiefmütterchens fristet, zeigt nicht nur ein aktueller Fall: Ein Fußballverein empfahl zwei körperlich beeinträchtigten Zehnjährigen, sich einen neuen Verein zu suchen. Ihre Leistungsstärke reiche nicht.

Die Mutter der Zwillinge berichtete der WAZ von ihrer Not, nicht zum ersten Mal von Vereinen den Laufpass bekommen zu haben. Beim VfB Speldorf standen die Kinder vor dem Sprung in die D-Jugend. Trainer Pierre Riemer bewertete ihre Leistungsfähigkeit allerdings als zu schwach. Wie den Eltern mehrerer anderer Kinder auch, so die Mutter, habe er den Vereinswechsel nahegelegt. „Das finde ich diskriminierend meinen Söhnen gegenüber“, klagt sie. Warum mache der VfB nicht eine neue Gruppe auf für die Kinder, die nun gehen sollten? Enttäuscht sucht sie nun einen Verein, „der auch geringere Leistungen wertschätzt“. Beim MSV 07 können die Zwillinge die Zeit vor den Ferien zur Probe mittrainieren. Aber geht’s dort dann auch nach den Ferien weiter?

Auslese findet beim Sprung in die D-Jugend statt

VfB-Trainer Pierre Reimer kann den Frust „vollkommen nachvollziehen“. Irgendwann müsse der VfB, auch wegen seiner Ansprüche als ranghöchster Verein der Stadt, „den Schnitt machen“. Der Verein weise Eltern, die ihre Kinder anmeldeten, auch darauf hin, dass beim Sprung in die D-Jugend eine Auslese stattfinde, um sich möglichst mit allen Teams für die Leistungsklasse zu qualifizieren. In jüngerer Vergangenheit habe der Verein im Bambini-, F- und E-Jugendalter, so räumt Riemer ein, wohl zu viele Kinder aufgenommen – „das wird zum Problem, weil wir vielen Kindern vor den Kopf stoßen müssen“. Unter neuer Jugendleitung sollen künftig schon bei der F- und E-Jugend Probetrainings klären, welche Kinder die Leistungsansprüche des Vereins erfüllen.

Für Alfred Beyer, Vorsitzender des Vereins für Bewegungsförderung und Gesundheitssport (VBGS), zieht sich ein Problem stadtweit durch die Sportszene: „Sobald der Leistungsaspekt gilt, gibt es Diskrepanzen.“ Da seien aber auch Eltern bei der Vereinsauswahl gefordert, ihren Kindern spätere Enttäuschungen zu ersparen. Der VGBS, bei dem etwa die Hälfte der 300 Mitglieder eine Behinderung haben, sieht die Idee der Inklusion, der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auch im Sport, in Mülheim wie anderswo mit reichlich Anlaufschwierigkeiten behaftet. Klar: Es gebe etwa die zwei integrativen Fußballgruppen beim TuS Union – „aber auch dort haben die Kinder nur sehr wenige Spiele, keinen echten Ligabetrieb“.

Für Beyer fehlen integrative Breitensportangebote auf Vereinsebene. Angebote ohne Leistungsmaxime. Die Stadt hinke weit hinter den Ansprüchen der UN-Konvention hinterher. Tatsächlich findet sich im aktuellsten Sportbericht der Stadt für das Jahr 2010 nicht einmal das Stichwort Inklusion. Auch auf den Webseiten des Mülheimer Sportbunds (MSB) fehlen Informationen zu integrativem Vereinssport. MSB-Geschäftsführer Jörg Aling konnte auf Anhieb nur den VGBS als Anlaufstelle benennen – und bekennt, „dass wir uns auch im Sportbereich erst noch intensiv mit dem Thema beschäftigen müssen“. Aber wie das Leitbild in die ehrenamtlich organisierten Vereine tragen? Der MSB, so Aling, warte da auf Lösungsansätze, die derzeit beim Landessportbund erarbeitet würden.