Mülheim. .

Die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit einer Behinderung im Vereinssport ist, auch weil Vereinssport überwiegend vom Ehrenamt geprägt ist, nicht so einfach zu verwirklichen. Nichtsdestotrotz: Die sogenannte Inklusion im Sport bewegt viele Mülheimer, wie die Reaktionen auf die jüngste WAZ-Berichterstattung über das bislang im Mülheimer Sport stiefmütterlich behandelte Thema gezeigt hat. Auch bei der Theodor Fliedner Stiftung werden Probleme gesehen, Menschen mit Behinderung in Vereine zu integrieren, um dort mit Menschen ohne Behinderung Sport zu treiben. Das betriebliche Gesundheitsmanagement der Werkstätten startet wegen ernüchternder Erfahrungen längst schon keine Versuche mehr, Vereine für Mitarbeiter mit einem geistigen, psychischen oder körperlichen Handicap zu suchen. Man organisiert sich – und auch ein Stück weit Integration – selbst.

Am Freitag vor einer Woche war wieder einer dieser großen Tage für das Drachenboot-Team der Werkstätten. Auf dem Fühlinger See bei Köln stand ein sportlicher Wettkampf an. 21 Mannschaften, jeweils zur Hälfte mit Menschen mit bzw. ohne Behinderung am Paddel, gingen in den sportlichen Wettstreit. Das Team der Fliedner Werkstätten machte am Ende des Tages das Kopf-an-Kopf-Rennen im Finallauf. Andere Mannschaften blieben weit hinter dem Mülheimer Boot, wie Günter Kleinpass der WAZ nicht ohne Genugtuung berichtete. „Unsere Siegerzeit von 1:12,8 über die 250-Meter-Distanz hätte auch gereicht, um in ,normalen’ Rennen zu bestehen.“

Drachenboot-Manschaft mit starker Leistung

Kleinpass verantwortet den betrieblichen Reha-, Gesundheits- und Breitensport in den Werkstätten – und er ist im siebten Jahr Teamkapitän der betriebsinternen Drachenboot-Mannschaft. Zehn Mitarbeiter mit einer psychischen oder geistigen Erkrankung sitzen mit im Boot. Daneben Mitarbeiter ohne Handicap – ob Gruppen- oder Betriebsstättenleiter. Die Trainingsgruppe ist größer als die 20 Paddler plus Steuermann und Trommler. 25 bis 30 Sportler gehören zur Trainingsgruppe, die fünf bis sechsmal im Jahr an Rennen teilnimmt und regelmäßig auf der Ruhr am Kupferdreher Bahnhof trainiert. „Wir sind ein eingeschworenes Team, das seine Leistung bringen will“, sagt Kleinpass. „Völlig unabhängig von der Art und dem Ausmaß der Behinderung.“ Inklusion, sagt er, „machen wir hier schon länger, als es den Begriff überhaupt gibt“.

Und doch: Was in der Fliedner-Familie funktioniert, ist eben doch nur eine Insellösung für das gesellschaftspolitisch formulierte Ziel, Menschen mit Behinderung die gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen des Lebens zu ermöglichen, wie es eine UN-Konvention vorsieht. Der Schritt aus den Werkstätten, aus dem Fliedner Dorf heraus, hinein in den Vereinssport, so Kleinpass’ Erfahrung, gelingt kaum. „Die Versuche sind mehr oder weniger kläglich gescheitert“, sagt er. Wenn sein Haus mal einen der betreuten Menschen an einen Sportverein habe vermitteln können, habe dieser dort bloß „als Lückenbüßer hergehalten. Sie können nur mitspielen, wenn nicht genügend Leute da sind. Richtig willkommen sind sie nicht.“

Kleinpass macht sich keine unrealistischen Hoffnungen

Kleinpass ist desillusioniert in dem Gedanken an ein großes Miteinander im Vereinssport: „Wir machen keine großen Versuche mehr, weil die Geschichte erfahrungsgemäß nicht oder noch nicht funktioniert.“ In Vereinen sei der Leistungsgedanke vorherrschend, auch gebe es dort die entsprechend ausgebildeten Betreuer nicht.

So organisiert die Fliedner-Sportfamilie sich selbst. Neben den Angeboten, die im Haus nur auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung abgestimmt sind, und dem Drachenboot-Team gibt es integrative Fußballmannschaften, die in beschränktem Umfang auch im Ligabetrieb spielen. Fliedner-Sprecherin Claudia Kruszka ist froh über jede Initiative, die den Gedanken des integrativen Sports befördert. Mit Vorfreude blickt das Dorf da auf ein Gemeinschaftsprojekt mit der Realschule Stadtmitte: Am 31. August werden Neunt- und Zehntklässler nicht nur die Fliedner Betriebsstätte an der Mühlenbergheide kennen lernen, sondern bei einem anschließenden Fußballturnier auch ihre Sportkameraden aus den Werkstätten.