Mülheim. . Baustellen rauben nicht nur Autofahrern und Anwohnern den letzten Nerv. Auch Einzelhändler leiden. Das Büdchen am Dickswall steht infolge der viermonatigen Kanalbauarbeiten kurz vor dem Bankrott. Viele anliegende Betriebe beklagen Umsatzeinbußen.
Cengiz Üzrek hat Pause. Er sitzt auf den Stufen seines Kiosks und grübelt. Mit finsterem Gesichtsausdruck. Die Pause ist erzwungen. Denn wo einst Kunden parkten, um schnell Zigaretten und Snacks zu kaufen, stehen seit Monaten Absperrplanken und Zäune, schaufeln Bagger und rennen Bauarbeiter geschäftig hin und her. Das Büdchen am Dickswall ist menschenleer, der Ausdruck in den Augen des Inhabers auch. „Seit die Baustelle hier ist, mache ich 250 Euro Miese am Tag“, sagt der 30-jährige Familienvater. Er steht kurz vor dem Bankrott. Auch viele andere Einzelhändler im Baustellengebiet klagen über gesunkene Umsätze.
Minus 40 Prozent im Fall Üzrek: „So viel Autokundschaft habe ich normalerweise“, schätzt er. Seit Mitte März ist das anders. Denn seitdem verlegt die medl Kanäle am Dickswall/Essener Straße. Mittlerweile ist das Baustellengebiet verkleinert, nur in Höhe Kämpchenstraße stehen noch die Zäune, planieren die Walzen, ärgern sich die Autofahrer – und leiden die Anlieger: „Seit Baustellenbeginn hält hier kein Auto mehr, das ist ein richtiger Verlust“, sagt der Kioskbesitzer und deutet auf die Fahrbahnsperrung vor seiner Tür. „Ich habe seit zwei Monaten schon keine Miete mehr gezahlt.“ Hinzu kommen Stromschulden von mehreren hundert Euro. „Vor der Baustelle lief das Geschäft ganz gut.“
Kasse und Zigaretten-Regal sind halbleer
Nun ist die Kasse halbleer. Genauso wie das Zigarettenregal gegenüber dem Verkaufsfenster. „Ich kann mir die Zigaretten nicht mehr leisten“, sagt Üzrek und lässt den Blick durch den Kiosk schweifen. Noch etwas hat sich seit Baustellenbeginn verändert: Eine feine Staubschicht überzieht Tresen und Fenster, Schokoriegel und Getränkeflaschen. „Alles ist vollgestaubt“, ärgert sich der Kioskbesitzer. Alle 14 Tage ist Fensterputzen angesagt.
Wovon Gebäudereiniger Pascal Skoric profitiert – theoretisch zumindest: „Früher habe ich hier alle vier bis sechs Wochen geputzt, jetzt bin ich alle zwei Wochen hier“, sagt er und fährt mit einer Flitsche über die dreckigen Scheiben. Zu seinen Kunden gehören mehrere Betriebe am Dickswall. „Für mich ist die Baustelle umsatzfördernd“, sagt der 28-jährige Selbstständige, „aber ich will keinen Profit auf Kosten anderer machen.“ Blanke Fenster gibt es daher zum Sonder-Baustellen-Preis. Man kennt sich eben.
Mit Baustellenrabatt hatte es auch das Elektrogeschäft Hase versucht. Nun ist das große Ladenlokal links neben dem Büdchen leer, das Geschäft umgezogen. Ganz so schlimm hat es den China-Imbiss Hot Wok 88 und die Pizzeria Don Camillo nicht getroffen. Aber beide klagen über Umsatzeinbußen im Zuge der Kanalarbeiten. „Der Ruf ist geschädigt“, sagt Pizzabäcker Concetto Sotera. „Die Leute denken: Ah, da ist die große Baustelle, Chaos, Stau, kein Parkplatz – und umfahren den Dickswall.“
Niemand erstattet den Schaden
Ähnlich ist der Tenor im Waschsalon an der Ecke Kämpchenstraße: „Durch die Baustelle können die Leute nicht parken“, sagt Inhaber Fehme Yayla. „Die Wäsche 500 Meter zu schleppen ist ihnen zu schwer, deshalb gehen sie woanders hin.“ Die Folge: 30 Prozent weniger Umsatz. „Und wer erstattet mir den Schaden?“, fragt Yayla.
Die Stadt nicht. Laut Straßen- und Wegegesetz „kann der Inhaber eines anliegenden Betriebes eine Entschädigung geltend machen, wenn durch Straßenarbeiten Zufahrten oder Zugänge für längere Zeit unterbrochen oder ihre Benutzung wesentlich erschwert werden (...) und dadurch die wirtschaftliche Existenz gefährdet wird“, heißt es vonseiten der Stadt. Es reiche nicht aus, „wenn die Straßenarbeiten lediglich das Parken vor dem Betrieb unmöglich machen“. Wobei Stadtsprecher Volker Wiebels Verständnis hat für die Wut der Anlieger: „Die leiden immer unter Baustellen“, sagt er. „Aber wir bauen ja, um die Situation zu verbessern.“ Und die Kanalarbeiten am Dickswall seien nun einmal nötig.
Üzrek hilft das wenig. Er überlegt, einen Rechtsanwalt einzuschalten. Oder den Kiosk zu verkaufen. „Wer sagt denn, dass das hier die letzte Baustelle war?“, fragt er. Auch wenn der Verkehr auf dem Dickswall laut medl am Samstag wieder normal fließen soll.