Mülheim. Das Junge Theater wagt sich an die absurden Geschichten von Daniil Charms und verzichtet weitgehend auf Sprache und setzt auf ausdrucksstarkes Spiel

Mutig sind sie ja, die Akteure des Jungen Theaters, aber sie haben auch Talent und nach mehreren Jahren auch viel Spielpraxis. So lassen sie sich kurz vor dem Spielzeitende auf das Wagnis ein, Motive aus Geschichten von Daniil Charms unter dem Titel „Vorstellung“ zur Premiere zu bringen.

Mut erforderte es deshalb, weil sich die fünf Akteure zur äußersten Beschränkung durchrangen: Keine Requisiten, ein äußerst sparsames Bühnenbild, vor allem aber kaum Sprache. Und damit nicht genug. So verzichten sie noch auf eine durchgehende Handlung und ein aufeinander bezogenes Spiel ist äußerst rar, es gibt kaum Blickkontakte untereinander. Da findet jemand keinen Platz, immer wenn er sich setzen will, ist der Platz belegt. Aber er zögert auch zu lange, weil er sich nicht entscheiden kann. Er findet keinen Platz, der gut genug ist oder ihm entspricht. Später ein Familienfoto. Aber sonst wirken sie fast autistisch auf sich fixiert.

Die Schauspieler haben nichts, hinter dem sie sich verstecken können. Sie müssen die 50 Minuten ganz auf ihre Kräfte vertrauen, ihren Körper, ihre Gesten, ihren Blick und ihre Ausstrahlung. Und es ist noch nicht einmal komisch.

Der Ausdruck ist eindrucksvoll

Aber es funktioniert. Der Ausdruck ist eindrucksvoll, wenn etwa Jan Gilles wie ein Klappmesser mit dem Arm nach vorne schnellt und mit finsterer Miene ins Publikum blickt oder Carlotta Salamon sich krumm gebückt bewegt und so zerschunden wirkt, dass man sich um sie Sorgen machen müsste. Es ist eine Freude zu verfolgen, wie in den Jahren das Spiel der Truppe gereift ist. Auch wenn sich immer neue Fragen stellen, die am Ende nicht gelöst werden, man sieht ihnen einfach gerne zu. Vermutlich hat ihnen das Pirandello-Projekt „Kaos“ besonders gut gefallen, wo Theaterchef Roberto Ciulli auf weiten Strecken auf die Kraft des Spiels vertraute.

Mit bei Kaos war als Schauspieler auch Khosrou Mahmoudi. Der 43-jährige gebürtige Iraner hat mit den Jugendlichen intensiv Körperarbeit trainiert, angefangen mit schweißtreibendem Aufwärmtraining. Das ist für den Schauspieler das Wichtigste. „Wer seinen Körper nicht im Griff hat, kann auch nicht richtig sprechen“, erklärt Mahmoudi, der als Ciullis Regieassistent arbeitet. Es gibt mehrere Posen an dem Abend, die man bei Ciulli schon mal gesehen hat. So wird das Stück auch zu einer Verbeugung vor dem Mentor.

Skurrile und absurde Geschichten

Schon der Rückgriff auf den Autor Charms verdient Respekt. Wer kennt ihn schon? Es gibt ein Reclam-Heftchen mit seinen skurrilen und absurden Geschichten, aber auch wunderbare Kinderbücher. Der 1905 geborene Russe fiel bei den Sowjets in Ungnade, wurde mehrfach inhaftiert und verhungerte schließlich 1942 bei der Belagerung Leningrads durch die deutschen Truppen.

Die Bedrohung durch ein mächtiges System schimmert oft durch seine Texte, ebenso wie materielle Not und Entbehrung. Ein Freund rettete seine Texte auf einem Schlitten, den auch die Schauspieler im Eröffnungsbild über die leere Bühne ziehen.

Die ersten Minuten wie auch die letzten ist die Bühne stockdunkel. Robin Kaiser erzählt als Charms, dass er zwei Mal geboren sei. Der Vater habe gewollt, dass er in der Silvesternacht geboren würde. Zwei Mal habe sich die Mutter am ausgezählten Tag verweigert. Im dritten Anlauf sei er aber Monate zu früh gekommen. Da habe ihn der Vater wieder zurück in den Leib der Mutter gestopft. Eine Geschichte über das Sterben schließt den Kreis. Aber auch das gelingt nicht recht. „Das Leben hat mit einer mir unbekannten Methode den Tod besiegt.“ Schön wär’s.