Mülheim.

Ein ungewöhnliches Versprechen für einen Theaterabend: „Die besten Szenen werden wir heute Abend nicht zeigen, denn die könnten wir alle nicht ertragen“, raunt Fabian Hinrichs hintersinnig zu Beginn von René Polleschs „Kill your Darlings!“. Wenn die besten Szenen gezeigt würden, könne er als Schauspieker ja nie wieder auftreten und das Publikum nie wieder ins Theater gehen.

Zu sehen war das Stück, das an der Berliner Volksbühne im Rahmen eines Fatzer-Projektes entstand, nun im voll besetzten Ringlokschuppen als Beitrag zu den Zweiten Mülheimer Fatzer Tagen. Wie in dem Brecht’schen Fragment geht es bei Pollesch um das Verhältnis von Individuum und Kapitalismus, um die Suche nach Liebe unter gesellschaftlichen Zwängen. Die Bezüge zu Brecht sind bei Pollesch sparsam gesetzt, aber unübersehbar. Vorne baumelt die typische Brecht-Gardine als Vorhang, und im Hintergrund der ansonsten leeren Bühne steht ein Karren, wie ihn normalerweise Mutter Courage zieht. Doch um politische und ökonomische Thesen geht es Pollesch diesmal nicht. Er schickt seinen einzigen Darsteller Fabian Hinrichs los, um einen Blick hinter die Rollos ins Private zu werfen.

Wie Brecht mag auch René Pollesch Chöre. Diesmal repräsentiert sein Chor aber nicht das Proletariat oder wackere Kommunisten, sondern den Kapitalismus. Weil der aber in der bisherigen Theatergeschichte stumm blieb, hat Pollesch ihn als stillen Bewegungschor konzipiert und aus 15 ausgezeichneten jungen Turnerinnen und Turnern gebildet.

Der Kapitalismus sei heute ein Netzwerk, hören wir von Hinrichs, und deshalb haben die jungen Leute eben dieses Netzwerk zu bilden. Zu Beginn seilen sich Pollesch und einige Turner, angekündigt durch den Ruf „Mut! Wir springen!“, von der Decke ab. Hinrichs bewegt sich, bekleidet nur mit bunter Glitzerhose, im Laufe des knapp 90-minütigen Stücks zwischen diesen jungen Menschen, spricht mal reflektierend, mal im plakativen Betroffenheitsjargon. All das lässt die Schwierigkeit erahnen, passende Worte für das große Gefühl zu finden, und auch die Probleme der Liebe selbst.

Der Bewegungschor kommentiert, baut waghalsige Pyramiden, stellt eine Bank dar, auf der sich Liebende treffen, oder formt sich zu Stufen, über die Hinrichs hinweg trampelt. Dabei gelingen Pollesch einige wunderbare Bilder, etwa wenn von der Decke das Wasser pladdert und die Choristen in verblüffenden Posen durch die Pfützen gleiten. Eine ebenso anmutige wie unschuldige Szene, die kurz darauf gebrochen wird, als alle unter den Brecht-Karren fliehen und dort nur unzureichenden Schutz finden.

Ein kurzweiliger, komischer, assoziationsreicher Abend, den man am besten genießen konnte, wenn man von – wie ein großer Teil des Publikums – in augenzwinkernder Übereinstimmung mit Pollesch stand.