Mülheim. . Schon am Sonntagmittag musste Hannelore Kraft dem Herald Tribune und einem schwedischen Korrespondenten des arabischen TV-Senders Al Jazeera Interviews geben. Wie sich die Ministerpräsidentin am Wahltag den Erwartungen gegenüber sah.

Zweifel gab es bis zuletzt. Ob die Stimmung sich nun wirklich in Stimmen wandelt, diese Befürchtung trieb etliche in der Mülheimer SPD noch am Samstag um, als Hannelore Kraft und Parteichef Sigmar Gabriel auf der Schloßstraße im Gedränge wahlkämpften. Gabriel, der Bauch-Politiker, hatte da aber schon so ein Gefühl, verteilte gegen seine Gewohnheit sogar rote Rosen und obendrein großherzig Komplimente; in dem Fall an die Piraten, die auf dem Kurt-Schumacher-Platz nicht schlecht staunten, als Gabriel sie beschied, sie hätten eindeutig „die besten Plakate“. Die besten Werte hatte dann die SPD. So flächendeckend, dass mancher sich an alte Zeiten erinnert fühlte und Unterbezirks-Vorsitzender Lothar Fink bremsen musste.

Hannelore Kraft hatte bereits am Mittag gespürt, was diese Wahl von den bisherigen unterscheidet. Als sie in der Erich-Kästner-Grundschule gemeinsam mit Ehemann Udo Kraft und ihrem Sohn Jan wählte, da drängelten sich an die 50 Fotoapparate und TV-Kameras in Dümpten, bis hin zum dänischen Fernsehen. Die Herald Tribune war interessiert zu erfahren, wie Kraft die globale Finanzkrise sieht, und der arabische Fernsehsender Al Jazeera schickte einen schwedischen Korrespondenten, der die Volkswirtin auf englisch über die europäische Schuldenkrise interviewte.

Udo Kraft klebte und ersetzte Wahlplakate

Gleichwohl war die 50-Jährige den Tag über nur von Anspannung, nicht von Nervosität gezeichnet. Immerhin hatte sie in 40 Tagen Wahlkampf alles getan, was schier zeitlich möglich war, 80 Städte und Kreise besucht und zwei Drittel aller SPD-Kandidaten persönlich begrüßt. Die Aussicht, NRW zurückzuholen, wie es im kollektiven Gefühl der Partei Ausdruck findet, entfaltete Wirkung. Ihr Mann, Udo Kraft, war in den letzten Wochen des öfteren in Mülheim gesehen worden, wie er die Themen-Plakate der SPD klebte und abgerissene ersetzte.

Am späten Mittag, als sie kurz im Gerd-Müller-Haus Stopp machte, wollte Kraft von Prozentfuchserei und Gedankenspielen über Mehrheitsverhältnisse sichtlich gelöst aber schon nichts mehr wissen. „Ich will einfach nur gewinnen“, sagte sie den um die letzten Wähler ringenden und telefonierenden Parteifreunden aufmunternd, bevor sie das Parteibüro für einen Fernsehmarathon verließ, der erst spät am Abend endete.

Es war nur ein halber Scherz.