Mülheim. Die Mülheimer SPD jubelt über ihren Wahlerfolg: „Auf der Straße erkämpft“. Die CDU kassiert ein „katastrophales“ Resultat und wirkt ratlos. Grüne erleichtert. FDP froh.
Der Landeserfolg der SPD hat seinen Ursprung in der Heimatstadt von Hannelore Kraft. Die Ministerpräsidentin legte nicht nur landesweit mit der SPD zu, sondern erst recht auch in Mülheim: Ein Plus von fast zehn Prozent gab es hier für sie. Klar, dass sie im Rathaus an der Ruhr jubelten, wo die Ergebnisse auf eine Leinwand geworfen wurden, vor der die SPD-Spitze die besten Stehplätze besetzte.
„Wie in den guten alten Zeiten“, triumphierte der Mülheimer SPD- Vorsitzende Lothar Fink, während er gemeinsam mit den Parteigenossen eintröpfelnde Einzelresultate aus Stimmbezirken jenseits der 60, ja sogar 70 Prozent krachend beklatschte. Auf 59,1 Prozent kam Hannelore Kraft bei den Erststimmen. 46 Prozent holte die SPD an Zweitstimmen, ebenfalls ein Plus von fünf Prozent. „Wir haben vier Wochen lang stark gekämpft“, sagte Fink, „und alles auf die Straße gebracht, was wir konnten. Unsere Kandidatin ist rübergekommen. Dieses einzigartige Ergebnis in Mülheim ist der Lohn dafür.“
CDU: Minus zehn Prozent, rund 10.000 Wähler weg
Da ließ sich mancher Genosse schon wieder eine Curry-Wurst schmecken, die es im Rathaus für zwei Euro gab. Der Aufstieg der SPD verlief fast parallel zum Absturz der CDU. Leere herrschte in deren Sitzungssaal, kein Christdemokrat weit und breit, als das Debakel erstmals über den Bildschirm lief. Minus zehn Prozent, rund 10.000 Wähler weg, nur noch 18,8 Prozent bei den Zweitstimmen – so tief sank die CDU in Mülheim bei einer Landtagswahl nie.
Wichtiger als ein Wahlprogramm
Kümmerer sein, umarmen können, Ehrlichkeit nicht nur ankündigen, sondern auch leben, wirklich zuhören, echtes Interesse zeigen und nicht nur vorspielen – vielen ist das wichtiger als irgendein Parteiprogramm. Gute Typen sind gefragt. Hannelore Kraft macht so seit vielen Jahren Politik. Sie hat in Mülheim die SPD mit hochgezogen, stärker als anderswo. Die Genossen haben sich nach den für sie miesen Ergebnissen bei der Kommunal- und der Bundestagswahl wieder im guten 40er-Prozent-Sektor etabliert.
Die CDU hat sich dagegen innerhalb der letzten sieben Jahre fast halbiert! Schlimmer geht es kaum. Selbst treue Anhänger wenden sich in Scharen ab, wissen nicht mehr, wofür die CDU steht. Schon nach der desaströsen Kommunalwahl setzte die CDU auf ein Weiter-So. Das geht nun nicht mehr.
Kämpfen, klare Standpunkte zeigen, auch wenn’s weh tun könnte – die FDP hat gezeigt, wie es geht und dass es sich lohnt. Die FDP mag dabei mit von der CDU profitiert haben, wie die SPD von dem Fast-Verschwinden der Linken in Mülheim.
Die Grünen, jenseits des kurzen Höhenflugs, fahren ein unverändertes Ergebnis ein und können zufrieden sein, müssen aber staunend zur Kenntnis nehmen, dass ein recht unbekannter Pirat besser abschneidet als ihre Ministerin am Ort.
„Katastrophal“, befand deren Spitzenkandidat Heiko Hendriks und hat keine rechte Erklärung dafür. „Die Menschen im Wahlkampf waren uns keineswegs feindselig gestimmt, sie wirkten nicht uninteressiert.“ Der CDU-Kreisvorsitzende Andreas Schmidt, sichtlich geknickt, erklärt die schwere Niederlage so: „Es ist uns nicht gelungen, gegen den Sympathie-Wahlkampf von Hannelore Kraft Inhalte zu setzen.“ Man sei mit keinem Thema zum Wähler durchgedrungen. Den sofortigen Rücktritt von Röttgen nennt er nur konsequent. Wie es weitergehen soll? In der CDU hat keiner an dem Abend nur die Spur einer Antwort.
FDP mit Plus von 3 Prozent
Währenddessen schlüpfte Franziska Krumwiede, Vorstandssprecherin der Mülheimer Grünen, strahlend durch die überschaubare Menschenmenge im Rathausfoyer. „Super“, sagte sie, „Rot-Grün geht weiter, ich bin ganz begeistert. Und die Angst vor den Piraten war überhaupt nicht begründet.“ Mit 12,4 Prozent bei den Zweitstimmen haben die Grünen bei dieser Landtagswahl auf Mülheimer Boden nur wenig eingebüßt. Die Piraten haben mit 7,2 Prozent hier in der Stadt allerdings auch zumindest einmal kräftig auf den Tisch gehauen. Öffentlich aufgetaucht sind sie beim Public Viewing im renovierten Rathaus aber nicht.
Schon kurz nach der Prognose gibt der FDP-Kandidat und -Kreisvorsitzende Christian Mangen das erste Interview einem Fernsehsender. Er freut sich über die Auferstehung der Liberalen in Rekordzeit. „Der Bürger hat unsere glaubwürdige Politik belohnt.“ Die FDP holte fast 9 Prozent der Zweitstimmen, ein Plus von drei Prozent. Darauf hätte vor vier Wochen noch keiner gewettet. Da kann man sich die Brötchen schmecken lassen.
Stimmen zum Wahl-Finale aus Mülheimer Sicht
Renate aus der Beek (SPD): Die Bodenständigkeit – dazu gehört auch ihre Sprache - , die Verlässlichkeit und das Zugehen auf Menschen machen einen großen Teil des Erfolges von Hannelore Kraft aus. Ich kenne sie jetzt seit 30 Jahren. Sie zeigt den Menschen: Ich bin eine von Euch! Sie gibt Persönliches preis und kümmert sich. Das danken Wähler“, meint die SPD-Bürgermeisterin.
Friedhelm Forst (CDU): Die CDU hat jede Menge Fehler gemacht, einen schlechten Wahlkampf geführt. Sie hat vor allem in keiner Weise die Senioren mit bedacht“, kritisiert der Vertreter der Mülheimer Senioren-Union. Und sie habe das wichtigste Thema nicht beachtet: Arbeitsplätze.“
Dr. Wolf Jürgen Richter (Grüne): Beruhigend, dass der Wahlkampf, so wie wir ihn betrieben haben, eigentlich zum gewünschten Ergebnis geführt hat“, findet es der Vorstandssprecher der Mülheimer Grünen. Allerdings schreibt er dies vor allem der Schwäche des gegnerischen Kandidaten zu: „Ich glaube, dass Röttgen kein Sympathieträger war. Aber gut ist: Wenn Rot-Grün es wieder schafft, wird man sich in den Koalitionsverhandlungen bestimmt schnell einigen.“