Mülheim. .
Ein Herrengedeck alleine macht nicht satt. Auf diese vereinfachte Formel lässt sich der Wandel in der Gastronomie bringen: Für Kneipen, die nur eine Getränkekarte und vielleicht noch eine Frikadelle auf die Hand im Angebot haben, wird es zunehmend schwerer, sich gegen die Konkurrenz mit Küche durchzusetzen. Auch Mülheimer Gastronomen machen einen Wandel bei den Wünschen der Gäste aus.
Die Nachricht sorgte Mitte April für Diskussionen an den Theken: Seit 2001 hat in Deutschland jede vierte Kneipe dicht gemacht. Mülheim jedoch stellt sich – rein statistisch – gegen das Kneipensterben: Die Stadt vergab 2011 gar zwölf Prozent mehr Schankkonzessionen als im Vorjahr. Jedoch rät Stadtsprecher Volker Wiebels, diese Zahlen mit Vorsicht zu bewerten: „Es kann sein, dass es eine Gaststätte 50 Jahre lang gab und dann ein Jahr lang renoviert wurde.“ In diesem Fall sei die Gastronomie an dieser Stelle nicht neu, aber eben die dazugehörende Konzession.
Abseits der nackten Zahlen spüren auch Mülheims Wirte einen Wandel in der Gastronomie. „Früher ging man nach dem Pütt ein Bier und einen Korn trinken. Das gibt’s heute natürlich nicht mehr“, sagt Rüdiger Sterz, Inhaber des „Krug zur Heimaterde“. Natürlich hätten Eckkneipen weiterhin ihre Berechtigung, natürlich hätten sie weiterhin Kundschaft – aber eben nicht mehr so viel wie früher.
"Die Leute wollen mehr Abwechslung"
Dem stimmt Jörg Thon zu. Der Vorsitzende der Mülheimer Ortsgruppe des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) ist zudem Geschäftsführer im Bürgergarten sowie im Ratskeller und weiß: „Eckkneipen, die nur Getränke, aber keine Speisen anbieten, haben es schwer.“ Wer heute in die Gaststätte geht, möchte auch essen – und am besten immer anders.
Das hat auch Ursula Kalthoff erlebt, die ihre Gaststätte in Speldorf im 40. Jahr führt: „Die Leute sind verwöhnter als früher. Sie wollen mehr Abwechslung.“ Also wechseln bei ihr die drei bis vier Gerichte des Mittagstisches täglich; für die Kegelclubs, die regelmäßig kommen, wird eine Sonderkarte immer neu zusammengestellt. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum die Geschäftsführerin sagen kann: „Wir sind zufrieden.“
Tiere müssen draußen bleiben
Auch Rüdiger Sterz hat sich an die Ansprüche der Gäste angepasst: Seit er vor fünf Jahren den Krug in der Heimaterde übernahm, renovierte er und nahm „Brunch“ ins Angebot. Mit den frischeren, helleren Räumen kam auch ein inhaltlicher Wandel: Tiere müssen seitdem draußen bleiben. „Wir haben viel Geld reingesteckt, da kann ich keine Tiere mehr reinlassen“, sagt Sterz mit Blick auf den Saal, bietet aber zugleich als alternative Ausstellungsfläche einen Pavillon draußen an – Wirte können es sich nicht leisten einen Gast zu vergraulen.
Und Brunch fällt wohl in den Bereich „Erlebnisgastronomie“, die laut Mülheims Dehoga-Chef Jörg Thon immer beliebter wird. Doch dieser Begriff ist dehnbar: „Das kann einfach nur gutes Essen und gute Atmosphäre sein, es kann aber auch Livemusik sein, eine Fußball-Übertragung oder ein Krimi-Dinner.“ Immer wichtiger wird zudem ein gemütliches Ambiente. „Der Gast möchte heute im Restaurant einen Wohnzimmer-Charakter haben“, weiß Jörg Thon. Die Leute wollen sich wie zu Hause fühlen. Und das könne letztlich auch die Rettung sein, meint Thon: „Die Eckkneipe, die das vermitteln kann, die wird überleben.“
Auch ohne Erlebnisgastronomie und Renovierung: „Ich kenne Kneipen, die boomen, und die sind seit 20 Jahren nicht gestrichen worden.“