Mülheim.

Die zerfahrene Debatte um den ÖPNV kennt nur eine klare Linie: Die Verwaltung will Straßenbahnen durch Busse ersetzen, kleinere Änderungen im Busnetz in Angriff nehmen und den Nachtbetrieb vorverlegen – nahezu unbeirrt bleibt sie auf ihrem Weg, den politischen Beschluss, bei der MVG zu sparen, umzusetzen. Ein politischer Konsens hingegen ist nicht absehbar.

Sparen tut not, Sparen tut auch weh. Das politische Mülheim tut sich schwer, der Verwaltung blindlings zu folgen. Das zeigen die vielen differierenden Vorschläge zur Ausgestaltung des künftigen Liniennetzes. Bis auf CDU und FDP, die sich aus unterschiedlichen Gründen bislang nicht mit eigenen Vorschlägen ins vom Wahlvolk aufmerksam verfolgten Getümmel gestürzt haben, stehen reichlich, auch kostspielige Vorschläge (Linie 102 bis Saarn) im Raum.

110 soll stillgelegt werden

Das größte strukturelle Sanierungspotenzial misst die Verwaltung bekanntermaßen dem Ersatz von Straßenbahn- durch Busverkehr bei. Die 110 soll stillgelegt werden, überdies die Strecke Hauptfriedhof bis Flughafen. Das Vorziehen des Nachtnetzes auf 22.30 Uhr soll 150.000 Euro bringen.

Wird es dafür eine politische Mehrheit geben? Zumindest im Fall der Straßenbahnlinie 110 rechnen Beteiligte mit mehrheitlicher Zustimmung zur Stilllegung, mindestens auf dem Streckenabschnitt zwischen Styrum bis Stadtmitte. Die geringe ÖPNV-Nachfrage, so ist zu hören, rechtfertige ja wirklich keine teure Straßenbahn-Infrastruktur. Busse reichten aus und böten die Option, das Ruhrstadion anzubinden. Undurchsichtiger die Gemengelage für die Strecke zwischen Stadtmitte und Hauptfriedhof. Hier konkurrieren einige Konzepte miteinander, die weiter Straßenbahnen dort verkehren sehen.

Runder Tisch politischer Kräfte

Hier setzen die Grünen an. Sie haben einen Runden Tisch politischer Kräfte initiiert, haben für den 28. Februar SPD, CDU, MBI und Piratenpartei zu einem Sondierungsgespräch eingeladen, um dem in Stein gemeißelten Konzept der Stadtverwaltung ein politisch mehrheitsfähiges Papier entgegenzusetzen.

Allein mit SPD und MBI sieht der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Axel Hercher, Möglichkeiten zur Übereinkunft. Festhalten wollen Grüne und SPD an ihrer Ablehnung der Pläne, schon ab 22.30 Uhr nur noch Nachtexpresse rollen zu lassen. Einig sind sie sich, dass die MVG dringend eine Qualitätsoffensive in Sachen Pünktlichkeit, Sauberkeit und Co. braucht. Denn, so Hercher: „Es geht doch nicht rein ums Sparen, sondern darum, das Defizit der MVG zu verringern. Das kann man auch schaffen, indem die MVG mit mehr Qualität mehr Fahrgäste gewinnt.“

Gemeinsame Strategie nicht ausgeschlossen

SPD-Planungspolitiker Claus Schindler unterstreicht die Gemeinsamkeiten mit den Grünen, sieht die Positionen auch für den südlichen Linienast der 110 nicht unüberbrückbar weit auseinander. Und wo Grüne und SPD sich relativ nah sind, könnten die MBI politische Mehrheitsbeschaffer sein. Fraktionssprecher Lothar Reinhard schließt eine gemeinsame Strategie nicht aus.

Mittlerweile zeigt sich auch die CDU bereit, in die Debatte einzusteigen. Fraktionschef Wolfgang Michels setzt aber eine feste Zusage des neuen Verkehrsdezernenten Peter Vermeulen voraus, dass dessen Haus absehbar den von der CDU geforderten Nahverkehrsplan vorlegen wird – auf Basis einer aktualisierten und umfassenden Bedarfsanalyse für den ÖPNV. In Sachen Straßenbahnersatz durch Busse, das macht Michels deutlich, könne die CDU den Verwaltungsplänen wohl folgen, „wenn der Fördergeber mitspielt. Heißt: Wenn die Bezirksregierung doch nicht, wie angedroht, Fördermittel in voller Höhe zurückfordert.

"Es wird gar nicht ernsthaft diskutiert"

Die Verwaltung hat den Auftrag, im März eine überarbeitete Beschlussvorlage zum ÖPNV in den Bezirksvertretungen zu präsentieren. Herbe Kritik erntet sie von Grünen, MBI und Piraten für ihren Umgang mit Bürgervorschlägen. „Zu mager“ falle die Bewertung aus, die diesen Namen gar nicht verdiene, bemängelt Axel Hercher (Grüne), dass die Verwaltung sich nicht einmal die Mühe gemacht habe, die Auswirkungen der Bürgervorschläge auf die Finanzierung und Fahrgastzahlen zu benennen. „Es wird gar nicht ernsthaft diskutiert, die Verwaltung weist Vorschläge einfach ab“, sagt Pirat Marco Welter. Lothar Reinhard (MBI) sieht ein Grundmakel: „Das Verfahren krankt daran, dass es zu lange nur auf informeller Ebene vonstatten ging. Jetzt heißt es bei der Verwaltung: Es ist so, weil es so ist und wir es immer so gesehen haben.“