Mülheim.
Formell gesehen hat Mülheim neun Stadtteile. Das sind Altstadt I und II, Styrum, Dümpten, Heißen, Menden-Holthausen, Saarn, Broich und Speldorf. Doch wo ist Winkhausen abgeblieben? Oder Selbeck. Auch Raadter und Heimaterdler suchen sich in der Liste vergebens.
Und was ist mit „vergessenen“ Stadtteilen wie Fulerum oder Ickten? Offiziell tauchen diese Teile Mülheims nur im Kataster auf. Ob ein Herz für einen bestimmten Stadtteil schlägt, hängt aber vom Gefühl und nicht von der Gemarkung ab.
Thomas Lange würde sich selbst nie als Holthausener bezeichnen. „Ich bin Heißener.“ Obwohl sein Haus in der Mausegattstraße die Gemarkung Holthausen trägt. „Wenn man mich fragt, wo ich wohne, antworte ich: ,In Heißen’.“ Dort finde das Leben statt, dort gehe die Familie einkaufen, sei in Vereinen aktiv. „Holthausen ist viel zu weit weg.“
Gefühlte und offizielle Grenzen
Die Mausegattstraße ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Stadtteil-Identität nicht von offiziellen, sondern von gefühlten Grenzen abhängt. „Sie liegt genau an drei Grenzen zwischen Holthausen, Heißen und Fulerum“, weiß Rüdiger Lohmar, der im Amt für Geodatenmanagement zuständig ist für die Übernahmen ins Liegenschaftskataster. Er kennt sich also aus mit Grenzen und Gemarkungen.
Eigentlich müsse man zwischen drei Ebenen unterscheiden: der offiziellen Stadtteilbezeichnung, der Gemarkung im Kataster und der gefühlten Zugehörigkeit. Er erklärt: „Die Gemarkung und die Stadtteilbezeichnung sind nicht identisch.“ Immerhin gibt es 14 unterschiedliche Gemarkungen, aber nur neun Stadtteile. So kann ein Wohnhaus die Gemarkung Fulerum tragen, aber offiziell im Stadtteil Heißen stehen. Trotzdem würden sich wohl nur die wenigsten als Fulerumer bezeichnen. Dann schon eher als Heimaterdler.
Die gefühlten Grenzen sind im Gegensatz zu den offiziellen fließend. „Ich hatte schon viele Bürger bei mir, die glaubten, dass sie in Heißen wohnen, ihr Haus laut Grundbuchblatt aber in Fulerum steht.“
Alte Bezeichnungen sind geblieben
Die Einteilung der offiziellen Stadtteile liegt wohl in der Historie begründet. „Gemarkungsgrenzen wurden früh um alte Siedlungskerne gezogen“, weiß Lohmar. Im Laufe der Zeit sind Städte gewachsen – und so wuchsen auch die Stadtteilgrenzen ineinander. Die alten Bezeichnungen und Einteilungen aber blieben.
Christel von der Beys Herz schlägt für Ickten. Inmitten von Feldern und Wiesen liegt der Hof ihrer Familie, die bereits seit 1939 dort ansässig ist. Obwohl der Hof genau auf der Grenze zwischen Essen-Kettwig und Mülheim-Ickten steht, offiziell zum Stadtteil Menden-Holthausen gehört, würde Christel von der Bey sich selbst nie als Essenerin, Kettwigerin oder Mendenerin bezeichnen. „Ickten ist etwas Eigenes.“ Und: „In Ickten bin ich aufgewachsen, hier fühle ich mich verwurzelt.“
Der Stadtteil wird häufig als Niemandsland zwischen Essen und Mülheim wahrgenommen. Auch wenn es dort kaum Infrastruktur gebe, die Familie meist in Kettwig einkaufen gehe, die Kinder dort die Schule besuchten. „Das hier ist unsere Ecke, unsere Heimat.“
Icktener haben eben eine eigene Identität, genau wie Raadter oder Mintarder. Wer gefragt wird, wo er wohnt, wird den Stadtteil nennen, zu dem er sich hingezogen fühlt – sei es Selbeck, Winkhausen oder Eppinghofen. Am Ende bleiben alle eines: Mülheimer.