Mülheim. .

Die Mülheimer wollen ihre Straßenbahnen behalten, ja sogar am liebsten ausbauen – das ist die Quintessenz der ersten Bürgerbeteiligung zum ÖPNV-Netz am Montagabend in der sehr gut besuchten Aula der Realschule Stadtmitte.

Die Straßenbahn stehe für Großstadt und Komfort, argumentierten viele Bürger und kritisierten, sie müsse pünktlicher und vor allem sauberer sein. Doch in eine Debatte um die Qualität wollte sich weder die Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG) noch die Stadt verstricken lassen. Schließlich sollte es vornehmlich um zwei Dinge gehen: Die künftigen Einsparungen im Nahverkehrsnetz der Ruhrstadt den Bürgern möglichst nahe zu bringen und „Anregungen der Bürger“ aufzunehmen.

„Wir wissen genau, woher die Fahrgäste kommen, wohin sie fahren und warum sie dies tun“, versuchte Roland Jansen, Verkehrsplaner der Stadt, die Analysen, Fahrgastbefragungen und auch Befragungen von Mülheimer Haushalten auf den Punkt zu bringen.

Acht Millionen Euro

Doch im Ergebnis liefen sie auf eines hinaus: sparen. So will die MVG die in ihren Augen teuren, weil mit nur 1500 Fahrgästen am Tag unausgelasteten Bahnen der Linie 110 in Richtung Hauptfriedhof durch einen wohl günstigeren Bus ersetzen. Auch die 104 soll nicht länger bis zum Flughafen fahren – hierhin pendeln laut Zählung weniger als 1000 am Tag –, sondern ab Kaiserplatz erst von der Straßenbahn 112, später ab Hauptfriedhof von einem Bus übernommen werden.

Dieser Bus, wollte Jansen schmackhaft machen, verhelfe dem Süden zu einer direkten Anbindung an den Hauptbahnhof. So könne man rund 700 neue Fahrgäste gewinnen, glaubt der Verkehrsplaner. Und unterm Strich sparten diese beiden Linien allein acht Mio Euro an demnächst fälligen Investitionen in die Schiene. Weitere Senkungen der Betriebskosten brächte auch die Vorverlegung des Nachtnetzes auf 22.30 Uhr.

Investieren statt sparen

Den Mülheimern im Saal war das ein Schritt in die falsche Richtung. Einzig die Idee, die Straßenbahnlinie 102 wieder in Richtung Saarn zu führen, gefiel. „Mit fehlt die langfristige Perspektive: Weg vom Auto“, beklagte ein Bürger aber die vorgetragene Sparpolitik. Und gerade der Süden fühlte sich durch den möglichen Wegfall der Schiene weiter abgehängt. „2008 wollte man die 110 ausbauen“, reagierte ein Bürger, man habe die Schiene bis zur Oberen Saarlandstraße erneuert, „jetzt wollen Sie wieder zurückbauen: Wir brauchen eine verlässliche Verkehrspolitik.“

Das war der Startschuss für die von den Bürgern eingeforderte Qualitätsdebatte: Investieren statt sparen – damit würde man Fahrgäste gewinnen, sind viele überzeugt. Die Busse und Straßenbahnen „sind eine Zumutung: Alte und behinderte Menschen können häufig gar nicht einsteigen, die Heizung heult die ganze Fahrt“, gab eine Frau zu bedenken: „Das ist vielleicht der Grund, warum die Auslastung so schlecht ist.“ Die ältesten Fahrzeuge im Fuhrpark sind von 1977, räumte ein Sprecher der MVG ein.

Busse auf Probe

Man habe die Straßenbahnen „passiv abgewirtschaftet durch Nichtstun“, warf Pro-Bahn-Sprecher Lothar Ebbers der MVG vor. Die Potenziale des ÖPNVs würde auch das neue Konzept der Stadtverwaltung nicht erkennen: Die Fahrpläne seien überaltert, „sie haben ja nicht einmal die FH in ihrer Planung drin.“

Es war nicht der letzte Vorwurf in Richtung mehr Qualität. „Sie haben die Bedarfe nicht ausreichend analysiert“, kritisierte ein anderer Bürger. Mehrfach wurde an diesem Abend ein Wunsch laut: Bevor man die Schiene abschaffe, solle man erst ein Jahr lang auf diesen Strecken die Alternative Bus ausprobieren. „Mal sehen, ob sie damit Fahrgäste gewinnen.“