Mülheim.

Die Nacht der Industriekultur wächst und wächst auch im elften Jahr, „es gibt immer etwas Neues“, freut sich Extraschicht-Projektleiter Arne van den Brink sichtbar über den Zuspruch. Für das Wachstum auf rund 200 Events sorgt in diesem Jahr auch Mülheim: Als Neueinsteiger lässt Haus Ruhrnatur am 9. Juli auf der Schleuseninsel tief in das historische Wasserkraftwerk blicken. Außerdem mischt das Theaterfestival „Impulse“ kräftig mit, das zu diesem Zeitpunkt im Ringlokschuppen gastiert. Das ironisch überspitzte Motto der Beiträge auf dem Müga-Gelände: „Theater rettet die Welt.“

Dabei servieren MST und Ringlokschuppen, die das Areal Müga mit viel Theater bespielen, eine bittere Medizin gleich zu Beginn: Das Theater an der Ruhr ist an dem Performance-Aufgebot nicht beteiligt, mit der man eigentlich für die Theaterstadt Mülheim werben will (siehe Info-Box). Hat man diese jedoch geschluckt, geht das Programm runter wie ein Löffel Zucker: Die Impulse werfen das Künstlerkollektiv Gob Squad in den Ring – sein Beitrag „Saving the World“ inszeniert ein Medientheater aus TV-Formaten und Straßenkunst. Im Fokus: das Centro in Oberhausen als schützenswertes „Biotop“.

Tanzperformances zum Mitmachen

Wem das zu weit geht: Gleich daneben wird Reverend Billy eine flammende Predigt gegen den Kapitalismus halten und die Hamburger Art-Pop-Truppe „Hgich.t“ macht anarchischen Punk, „zwischen hoher Kunst und vollkommen blödsinnig“, sagt Impulse-Chef Tom Stromberg. Wem das hingegen zu wenig „lokal“ ist, der sollte sich die Beiträge des Mülheimer Seniorentheaters Spätlese anschauen, die mit den Jungen Performern des Ringlokschuppens ein Spiel um – laut Extraschicht – „weltumschweifende Fragen“ betreiben.

Mit im Gelände: die Tanzperformances der Mülheimer Compagnie Danse Automatique. „Die Gruppen streifen in Schwärmen herum, sie inszenieren kleine Geschichten, an denen sich das Publikum beteiligen kann“, fasst es MST-Mann Bernd Westhoff zusammen. Die Geisterstunde wird ein großes Feuerwerk einleiten.

Wassermuseum bietet viel Sand

Mit Lichtkunst lockt die Camera Obscura: Fotograf Hans-Werner Leidemann ermöglicht Besuchern mit einer Taschenlampe und dank langer Belichtungszeit, Botschaften auf ihre Porträtaufnahmen zu schreiben. Mit Licht zieht auch das Haus Ruhrnatur auf der Schleuseninsel die Besucher in den Bann: Das Wasserkraftwerk Kahlenberg taucht man in ein magisches Spiel aus visuellen Effekten. Kleinode der Industriefilmkultur serviert die „Kinemathek im Ruhrgebiet“ in einem Zirkuszelt nebenan: Fünf Image-Kurzfilme aus den 50er bis 80er Jahren dokumentieren den Strukturwandel. Im Haus selbst informiert eine Ausstellung zum Thema „Erneuerbare Energien“.

In die Wüste schickt ausgerechnet das Aquarius Wassermuseum seine Besucher. Vor dem Gebäude soll eine Oase aus viel Sand und wenig Wasser entstehen. Das Impro-Theater „Machart“ führt die Extraschicht-Karawane zu einem Orakel, einem Beduinen und einem Wüstenforscher. So erfährt man Wissenswertes über das Leben ohne Wasser und die Gewinnung dieses kostbaren Guts. Dazu gibt es arabische Popmusik zu hören.

Fahrradfreundliche Nacht der Industriekultur

Eine schöne Alternative gibt es zur Anreise per Bus und Auto: Die Mülheimer Extraschicht lässt sich bequem mit dem Drahtesel erkunden. Die Paritätische Initiative für Arbeit (Pia) bietet eine geführte, kostenlose Radtour zu den drei Spielstätten an. Das geht ganz spontan, anmelden muss man sich nicht, sondern lediglich eine der gut sichtbaren Stationen an einer Spielstätte aufsuchen. Mit einem so genannten Guide kann man im halbstündigem Rhythmus zum nächsten Veranstaltungsorte aufbrechen. 60 Drahtesel stehen in Mülheim zur Verfügung, bis zu 800 Menschen will die Pia an diesem Abend in Bewegung bringen.

Ambitionierte Radfreunde gehen natürlich gleich aufs Ganze: Der ADFC bietet eine kostenlose mehrstündige Tour vom Duisburger Innenhafen zum Haus Ruhrnatur und weiter am Theater Niebuhrg, Gasometer vorbei zur Zeche Lohberg. 65 Kilometer gilt es zwischen 18 und 3 Uhr zu bewältigen. Start ist am Philosophenweg 19 in Duisburg.