Mülheim. .
Zu wenige Ausbildungsstellen, zu schlecht vorgebildete junge Menschen, die nicht mal die Grundtugenden mit sich brächten – jene Aussagen scheinen Schnee von gestern zu sein. Am gestrigen „Tag der Ausbildung“ riefen Vertreter der Agentur für Arbeit, der Wirtschaft und der Städte Mülheim und Oberhausen den „Kampf um Talente“ aus, nach dem Motto: Wer zu spät auf Ausbildung setzt, den bestraft der Fachkräftemangel.
„Der Kampf um kluge Köpfe und gut ausgebildete Menschen“ habe längst begonnen, brachte Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld den Paradigmenwechsel am Ausbildungsmarkt auf dem Betriebshof der MVG vor geladenen Vertretern vorbildlich agierender Ausbildungsbetriebe auf den Punkt. IHK-Präsident Dirk Grünewald richtete noch deutlicher einen Appell an die Unternehmen: „Sie sollten jetzt zugreifen und ausbilden!“ 2013 komme noch der Doppelabiturjahrgang, danach werde der Nachwuchsmangel um sich greifen, für bestimmte Wirtschaftsbereiche werde es dann „echt schwierig“, frisches Blut ins Unternehmen zu bekommen. Schon jetzt suche der Einzelhandel, insbesondere im Lebensmittel-Segment, dringend Azubis. Im IT-Bereich seien ebenfalls reichlich Stellen frei. Für das Handwerk nannte Kreishandwerksmeister Jörg Bischoff baunahe Gewerke, auch die Elektro- und Kfz-Branche als Bereiche mit vielen freien Stellen.
Leistungsschwächeren Jugendlichen eine Chance geben
Mit den sinkenden Schülerzahlen, so die Feststellung der Agentur, geht auch die Zahl der „perfekten Bewerber“ zurück. Daraus schlussfolgert Agentur-Geschäftsführer Wolfgang Draeger: „Schulnoten und der erreichte Schulabschluss sollten heute nicht alleinige Auswahlkriterien sein.“ Arbeitgeber seien gut beraten, sich schon jetzt auf die demografische Entwicklung einzustellen und leistungsschwächeren Jugendlichen eine Chance zu geben. Auch versteckte Fähigkeiten von Bewerbern seien zu erkennen und zu fördern.
Zu den aktuellen Zahlen am Mülheimer Ausbildungsmarkt: Seit Oktober 2010 sind der Agentur 822 zu vergebende Ausbildungsstellen gemeldet worden, im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 2,6 %. Demgegenüber ist die Zahl der Bewerber, die Vermittlungshilfen angefragt haben, zwar überproportional um 10 % auf 937 junge Menschen angewachsen, so dass sich das rein statistische Verhältnis von 1,12 Bewerbern auf eine freie Stelle etwas schlechter darstellt. Doch Mülheims Nachwuchs ist nicht nur auf Mülheim fixiert. Da freute es gestern OB Mühlenfeld, dass in Oberhausen ein sattes Stellen-Plus von 16,5 % bei gleichzeitig leicht sinkenden Bewerberzahlen zu verzeichnen ist. Gleichwohl bleibt es dabei: In Oberhausen sieht es traditionell schlechter aus: Hier kommen trotz positiver Entwicklung immer noch fast zwei Bewerber auf eine freie Stelle.
"Ran an die Front!"
Noch sind im Agentur-Bezirk Oberhausen/Mülheim 1007 Lehrstellen zu vergeben. An die jungen Menschen mit Schulabschluss richtete IHK-Präsident Grünewald deshalb auch einen Appell: „Ran an die Front!“ Grünewald beklagt, dass zu viele Jugendliche nach ihrem ersten Schulabschluss nicht sofort in die Berufswelt drängten, sondern höhere Abschlüsse an Berufskollegs anstrebten. Im Vorjahr habe er einem Abschlussjahrgang einer Oberhausener Hauptschule als Pate zur Seite gestanden, nur deshalb sei es gelungen, überhaupt acht Schüler des Jahrgangs für eine sofortige Ausbildung zu begeistern. Zuvor hätten sich alle an Berufskollegs angemeldet. „Das können wir uns nicht erlauben“, so der IHK-Präsident.
Elisabeth Schulte als Geschäftsführerin des Unternehmensverbandes Soziale Dienste und Bildung fügte an: „Die Schüler müssen einfach ihre Chance ergreifen. Die Haltung ,Wir haben eh’ keine Chance’ ist schlichtweg falsch.“ Eltern seien aufgefordert, ihre Kinder bei der Berufsorientierung „entscheidend zu unterstützen. Sie kennen die Fähigkeiten, aber auch die Grenzen ihrer Kinder am besten.“