Mülheim. . Immer mehr Leiharbeit, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, Minijobs: Ulrich Dörr, DGB-Kreisvorsitzender in Mülheim, beklagt die rasante Verschiebung in der Arbeitswelt und warnt davor, dass vor allem für junge Menschen schwierige Zeiten kommen.

Volle Auftragsbücher, steigende Kurse, anziehende Gewinne, sinkende Arbeitslosenzahlen – Wirtschaft-Deutschland schreibt an der nächsten Erfolgsgeschichte. Von wegen, sagen die Gewerkschaften. Und sprechen von einer Realität, die für die Masse der Menschen ganz anders aussehe. „Wir erleben eine rasante Verschiebung in der Arbeitswelt, hin zu immer mehr Leiharbeit, hin zu immer mehr unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, hin zu immer mehr Minijobs“, klagt Ulrich Dörr, der IG-Metall-Bevollmächtigte und DGB-Kreisvorsitzende in Mülheim.

Fast jeder Zweite, so Dörr, befinde sich in einem Beschäftigungsverhältnis auf Zeit, bei den Neueinstellungen liege die Quote noch höher. Gerade für junge Menschen sehen die Gewerkschaften ganz schwierige Zeiten kommen „und das, obwohl fast täglich vom Facharbeitermangel geredet wird“. Sichere Beschäftigungsverhältnisse müssten wieder zur Normalität werden und nicht der Zeitvertrag, fordern Ulrich Dörr und Dieter Hillebrand, der DGB-Regionalvorsitzende. Die zuletzt auch in der Politik vermehrt auftauchende Klage, dass die Arbeitswelt der Befristungen eine Familienplanung verhindere, unterstreichen beide.

Ehemaliger Bergmann berichtet

Wie die Arbeitswelt für viele Menschen aussieht, sollen bei der Maikundgebung Betroffene erzählen. So kehrt der DGB in Mülheim zum ersten Mal von der Tradition ab, einen Funktionär oder einen Politiker in den Mittelpunkt der Reden zu stellen. Statt dessen wird ein ehemaliger Bergmann, der in die Leiharbeit rutschte, auf dem Kurt-Schumacher-Platz davon berichten, wie er behandelt wurde. Was prekäre Beschäftigung im Einzelfall bedeutet, stellt ein anderer dar, und ein junger Arbeitnehmer schildert, was es heißt, sich nach der Ausbildung mit Zeitverträgen über Wasser halten zu müssen.

Warum Betroffene? Auch deshalb, sagt Dörr, weil viele sich von der Politik nicht mehr verstanden fühlen. „In den vergangenen Jahren ist keine Politik für die Mehrheit der Menschen gemacht worden.“ Die Gewerkschaften, die wie viele gesellschaftliche Gruppierungen in den vergangenen Jahrzehnten an Mitgliedern verloren haben, verzeichnen wieder Zulauf, registriert Hillebrand. Rund 18.000 Mülheimer sind aktuell gewerkschaftlich organisiert, fast 10.000 davon gehören der IG Metall an, die gerade 350 neue Mitglieder gewinnen konnte.

"Junge Generation wird von Altersarmut betroffen sein"

„Keine Mitgliederorganisation kann heute noch so viel Kraft auf die Straße bringen wie die Gewerkschaften“, meint Dörr und ist überzeugt, dass diese Kraft nötigt sein wird angesichts der sich abzeichnenden Probleme. Nicht nur für die Leiharbeiter von heute mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro erwartet der DGB massive Schwierigkeiten bei der späteren Altersversorgung. „Auch die junge Generation wird später mal massiv von einer Altersarmut betroffen sein – wenn sich nichts ändert.“

Die Gewerkschaften sparen vor den Maikundgebungen traditionell nicht mit Brisanz. Dörr liefert Zahlen zum Beleg: Wer als Leiharbeiter 7,80 Euro in der Stunde erhalte, erarbeite sich in zehn Jahren einen Rentenanspruch von etwa 128 Euro monatlich. Immer mehr Rentner müssten sich später ihr Monatseinkommen von der öffentlichen Hand aufstocken lassen. Dabei benötigen heute schon in zunehmendem Maße Erwerbstätige Unterstützung zum Einkommen. 211,7 Millionen Euro gaben im vergangenen Jahr die Städte in NRW allein für die Beihilfe zu den Wohnkosten aus.