Mülheim. Ein Notstand bahnt sich an in der Pflege. Auch in Mülheim. Die Älteren “schmeißen den Laden“, Jüngere scheiden nach immer kürzerer Zeit aus. Zu hoch die Belastung, zu niedrig das Einkommen. Zwei Profis befragten 700 Pflegekräfte und Pflegebedürftige.

Wer pflegt uns morgen? Längst sprechen Fachleute in Mülheim nicht nur von Engpässen, sondern von einem Notstand, der sich anbahnt. Die jüngeren Pflegekräfte scheiden nach immer kürzerer Zeit aus, werfen das Handtuch. Zu anstrengend, zu unattraktiv in der Bezahlung ist der Beruf. Es sind die mittleren und älteren Jahrgänge, die den "Laden" noch aufrecht erhalten. Doch sollte sich an den Belastungen, an der Wertschätzung gegenüber diesem Berufsstand, nichts ändern, fürchten Martin Behmenburg und Oskar Dierbach das Schlimmste.

Die Beiden sind so etwas wie „alte Hasen“ in der Pflege. Seit Jahrzehnten sind sie an der Basis aktiv, im stationären wie im ambulanten Pflegebereich, sie kennen die Probleme des Alltags in Pflegeeineinrichtungen und erleben, wie sich vieles verschlechtert hat. Nicht weil die Mitarbeiter nachlassen. Im Gegenteil, sagt Dierbach, aber die Anforderungen nähmen zu, die Verwaltungsarbeit erreiche immer neue Spitzen. Es könne so nicht weiter gehen, sagen sie und wollen im Rahmen der jungen Arbeitsgemeinschaft „Dialog-Offensive-Pflege“ etwas ändern, vor Ort.

Bestandsaufnahme steht am Anfang

Die Bestandsaufnahme steht am Anfang: 700 Pflegekräftige, Pflegebedürftige und Angehörige wurden befragt, wie sie die Pflegesituation im Alltag bewerten, wie zufrieden sie sind, was sich ändern sollte. Ein Stück „Pionierarbeit“ ist das, Neuland nicht nur für Mülheim.

90 Prozent der Angehörigen und der Pflegebedürftigen erklärten bei der Befragung, dass sie ein „außerordentlich hohes Engagement“ der Pflegekräfte erkennen. Diese 90 Prozent sagen aber auch, dass die Pflegekräfte es dennoch nicht schaffen, sie so zu versorgen, wie sie es möchten. „Es reicht einfach vorne und hinten nicht aus“, sagt Dierbach. Ein verheerendes Urteil.

Besorgniserregend ist ein anderes: 66 Prozent der Pflegekräfte gaben an, dass sie sich durch ihren Berufsalltag gesundheitlich gefährdet sehen. Die Krankenquote ist in manchen Einrichtungen entsprechend hoch. Selbst jene, die gestern noch voller Elan dabei gewesen seien, seien plötzlich nicht mehr da, berichtet Dierbach. Selbstausbeutung in der Pflege, so Behmenburg, sei keine Seltenheit. Querbeet durch alle Einrichtungen berichteten die Pflegekräfte von „enormer Zeitnot“, unter der Pflege stattfinden müsste. „Die Menschen stehen am Limit.“ Und trotz dieser Belastungen mit gesundheitlichen Schäden erklärten 75 Prozent der Pflegenden, dass sie ihren Job gerne machten.

Kritik vieler Pflegekräfte

„Wir haben bewusst die Leute gefragt, die täglich an der Spritze stehen und fragen da nach Lösungen und nicht in Verwaltungsetagen“, sagen Dierbach und Behmenburg. Dahinter steckt auch die Kritik vieler Pflegekräfte, dass es auf der Behördenebene und in der Politik bisher nicht gelungen ist, die Krise in der Pflege zu stoppen.

Mitschuld an der Misere geben Behmenburg und Dierbach auch den Medien, die selten bis gar nicht über die gute Arbeit in Heimen berichteten, dafür mit Verfehlungen Einzelner, mit Defiziten und vermeintlichen Missständen Schlagzeilen machten. Auch die Medien hätten eine Verantwortung gegenüber dem Berufsstand, von dem jeder eines Tages abhängig sein könne.