Mülheim. Den Besuch von OB Marc Buchholz bei einer Moscheegemeinde des verfassungsfeindlichen Atib-Verbandes diskutierte nun der Stadtrat. Mit Folgen.

Pflegt Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz (CDU) zu viel Nähe zu Rechtsextremisten und Judenhassern und verhilft er deren vom Verfassungsschutz beobachteten Organisationen dadurch dazu, sich salonfähig zu präsentieren? Hierüber debattierte jetzt Mülheims Stadtrat.

Bilder im sozialen Netzwerk dokumentieren den Besuch Buchholz‘ am 2. April in der Styrumer Atib-Moscheegemeinde an der Neustadtstraße. Zwei zeigen ihn mit Vertretern des Gemeindevorstands am gedeckten Tisch und inmitten der versammelten Gemeindemitglieder, ein anderes am mit Atib-Logo verzierten Sprechpult. Auch im soeben veröffentlichten NRW-Verfassungsschutzbericht wird die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (kurz: Atib) als verfassungsfeindlich und antisemitisch eingestuft, ihr wird eine große Nähe zu den rechsextremistischen Grauen Wölfen zugeschrieben. „Obwohl die Verbände“, so heißt es im Bericht unter andem mit Blick auf Atib, „in der Außendarstellung um ein gemäßigtes Auftreten bemüht sind, tragen sie ihre rechtsextremistische Ideologie innerhalb der Vereinsstrukturen offen zur Schau.“

Mülheims SPD-Fraktionschefin: OB relativiert verfassungsfeindliche Ziele der Atib

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Die SPD hatte Buchholz für seinen Atib-Besuch insbesondere über ihren Landtagsabgeordneten Rodion Bakum scharf kritisiert und eine Debatte dazu auch im Stadtrat angezettelt. SPD-Fraktionschefin Margarete Wietelmann warf dem OB hier vor, die verfassungsfeindlichen Ziele der Atib zu relativieren, wenn er die Menschen in der Styrumer Moscheegemeinde mir nichts, dir nichts davon losspreche, verfassungsfeindlich wie ihr Dachverband zu sein. Wietelmann verwies auf den Verfassungsschutzbericht, der eben auch die unterhalb des Dachverbands organisierten Atib-Vereine als Problem benennt. Nicht umsonst habe die Politik 2020 einen Antrag der Atib auf Zuschüsse, im Übrigen auf Intitiative von CDU-Mann Heiko Hendriks, mit breiter Mehrheit negativ beschieden.

Dass der OB sich damit rechtfertigt, mit allen Mülheimerinnen und Mülheimern im Gespräch sein zu wollen, will die SPD so nicht azeptieren. „Würde er auch mit Rechtsextremisten und Antisemiten reden, die ja auch Mülheimer sind?“, fragte Wietelmann. Der OB mache sich „praktisch zum Kronzeugen, wenn Atib sich künftig von dem Verdacht, verfassungsfeindlich zu sein, reinwaschen will“. Der Vorwurf naiven Handelns schwang mit in Wietelmanns Äußerungen. „Die Verfassungstreue einer Organsation ist nicht dadurch bewiesen, dass sie sich an einer Müllsammelaktion in Styrum beteiligt“, sagte sie. Der Besuch von Buchholz bei der Atib-Gemeinde sei geeignet, „all diejengen Menschen mit Migrationsgeschichte, die zu unserer freihitlich-demokratischen Grundordnung stehen, zu brüskieren“.

Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz am 2. April bei der Atib-Gemeinde in Styrum.
Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz am 2. April bei der Atib-Gemeinde in Styrum. © WAZ/Screenshot

Mülheims OB gesteht ein: „Es wäre gut gewesen, diese Bilder wären nicht entstanden“

Bevor Wietelmann ihre Kritik loswerden konnte, hatte sich der OB selbst das Wort erteilt, um eine fast zehnminütige Erklärung abzugeben. Dabei zeigte er sich nur in einem Punkt reumütig: „Selbstkritisch muss ich heute feststellen, dass die in den letzten Tagen veröffentlichten Bilder aus der Gemeinde dahingehend fehlinterpretiert werden, dass ich den Dachverband der Atib unterstützen würde“, sagte er da und: „Es wäre gut gewesen, diese Bilder wären nicht entstanden.“

Seinen Besuch bei der Atib-Gemeinde insgesamt rechtfertigte Buchholz, der sich persönlich diffamiert sieht, noch einmal: „Ich unterscheide zwischen dem Dachverband der Atib in Köln und den Menschen in unserer Stadt, die sich hier bei uns auch in einen interreligiösen Dialog aktiv mit einbringen wollen“, sagte er. So habe er unter anderem neben der Atib- auch die Ditib-Gemeinde besucht oder seinerzeit ein Gespräch mit Corona-Leugnern geführt, mit der „Letzten Generation“ oder auch „mit Repräsentanten verschiedener Länder – auch solcher, zu denen wir aufgrund unseres Demokratieverständnisses eine kritische Haltung einnehmen“. Er wolle gesprächsoffen für alle sein, „damit Wohlstand und ein friedliches Zusammenleben unsere Zukunft sind“. Das könne nur gelingen, „wenn wir weiterhin Gespräche miteinander und nicht gegeneinander führen“. Hierfür erntete der OB weitgehenden Zuspruch, gar von der AfD.

CDU kontert SPD-Angriff auf Mülheims Oberbürgermeister

Der SPD warf Buchholz eine „politische Skandalisierung“ vor, insbesondere der Landtagsabgeordnete Bakum sei hierbei „geschmacklos und ehrverletzend“ unterwegs, seine „aggressiven Angriffe“ auf ihn als OB seien „niederträchtig“. Dabei lasse sich nachvollziehen, dass Bakum selbst 2015 Kontakt zu einem kritisch zu sehenden muslimischen Verband gehabt und gar dafür geworben habe, ihm städtische Gelder zu geben.

Es war an CDU-Fraktionschefin Christina Küsters, dies näher zu benennen: Bakum hatte sich 2015 im Integrationstrat dafür ausgesprochen, der Islamischen Gemeinde Millî-Görüş städtische Zuschüsse zu gewähren. „Man habe diesen Verein kennengelernt und sei zu einem positiven Ergebnis gelangt“, ist Bakum im Protokoll wiedergegeben. Auch wenn sich Bakum noch am Donnerstag von seiner damaligen Einschätzung distanzierte - der Verein entstamme einer nationalistischen und judenfeindlichen Bewegung -, warf ihm Küsters vor, mit zweierlei Maß zu messen. Auch sei es unter damaliger SPD-Regentschaft dazu gekommen, dass die Atib-Gemeinde bei städtischen Veranstaltungen mit an Bord gewesen sei. Bürgermeister Markus Püll (CDU) ergänzte, er selbst und auch frühere SPD-Oberbürgermeister hätten schon die Styrumer Moschee besucht.

Das Bild aus dem sozialen Netzwerk Facebook zeigt Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz Anfang April mit Vertretern der Styrumer Atib-Gemeinde.
Das Bild aus dem sozialen Netzwerk Facebook zeigt Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz Anfang April mit Vertretern der Styrumer Atib-Gemeinde. © WAZ/Screenshot

Küsters nannte es „schäbig“, nun den OB für seinen Besuch bei der Atib-Gemeinde „durchs Dorf zu treiben“. Ihr CDU-Kollege Max Oesterwind sprach von Skandalisierung und Selbstdarstellung der SPD, was dazu tauge, Hetzern das Feld zu bereiten. Der Dialog, den der OB suche, sei wichtig, um auch „andere Meinungen zu verstehen“. Der SPD warf Oesterwind Hybris vor, wenn sie meine, entscheiden zu können, mit wem der OB sprechen dürfe und mit wem nicht. SPD-Mann Filip Fischer blieb dabei: Der Besuch des OB bei Verfassungsfeinden sei der Skandal, nicht die Thematisierung dessen durch seine Partei.

Nur noch Gruppen und Verbände einladen, die nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden

Doch wies die schwarz-grüne Koalition, die den OB mit ihrer Mehrheit im Rat trägt, Buchholz noch in derselben Sitzung in Schranken - und das mit einem Antrag, der letztlich bei Enthaltungen von AfD und MBI einstimmig durchging. Für den interreligiösen Dialog, den der OB für die Stadt wiederbeleben möchte, ist ihm nun zur Auflage gemacht, nur Glaubensgruppen und religiöse Verbände einzuladen, die nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Damit durchkreuzten CDU und Grüne die Ankündigung des OB, auch Vertreter der Mülheimer Ditib- und Atib-Gemeinden an den Runden Tisch zu holen. Sie dürfen laut Ratsbeschluss nun nur dazustoßen, wenn sie sich „von ihren Dachverbänden lossagen oder klar von deren Haltung distanzieren“.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Timo Spors, hatte zuvor die Kritik seiner Partei am Auftreten des OB sanft verpackt, aber deutlich gemacht. Als grüner Koalitionspartner diskutiere man mit Buchholz „durchaus immer wieder kritisch über die Frage: Mit wem reden wir?“ Dennoch, so Spors, sei das, wie die SPD das Verhalten des OB für eigene Zwecke auszuschlachten versuche, reines „Wahlkampfmanöver“. Spors appellierte an den Rat, sich besser in einer gemeinsamen Anstrengung zusammenzufinden: Es sei ein Fehler, nur danach zu sinnen, dem OB eine ungemütliche Ratssitzung zu bescheren. „Es geht darum, dass es ungemütlich für all die Feinde der Demokratie wird.“

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