Mülheim. Trotz massiver Kritik trat Mülheims OB Marc Buchholz auf einer umstrittenen Gedenkveranstaltung für Erdbebenopfer auf. Was er dort sagte.
Trotz massiver Kritik im Vorhinein hat Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz (CDU) am Freitagnachmittag ein Grußwort bei einer Gedenkveranstaltung für die mehr als 50.000 Opfer des Erdbebens in der Türkei und in Syrien gesprochen. Der Kritikpunkt: Auf dem Flyer zur Veranstaltung wurden auch türkische Organisationen geführt, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Aus dem Grund hatten andere politische Vertreter aus der Stadt zuvor zum Boykott der Veranstaltung aufgerufen. Via Instagram verurteilten die Falken, die Grüne Jugend und die Jusos die Art der Gedenkveranstaltung. Es sei nicht akzeptabel, „wenn rechte Gruppierungen und Faschist*innen versuchen, die Opfer zu instrumentalisieren, um die Zivilgesellschaft zu unterwandern“.
Vorsitzender des Mülheimer Integrationsrates wirft OB „Doppelmoral“ vor
Kritik am OB äußerte am Freitag auch Mülheims DGB-Vorsitzender und SPD-Ratsherr Filip Fischer. Es sei „völlig pietätlos, sich mit Nationalisten und Rechtsextremisten gemein zu machen“, so Fischer zur Teilnahme des OB. Buchholz lasse sich politisch instrumentalisieren, verleihe der Veranstaltung, die klar im türkischen Vorwahlkampf zu verorten sei, mit seinem Grußwort eine Bedeutung, die ihr in dieser Form nicht zuteil werden dürfe. „Auch die größten Tragödien dürfen nicht dazu führen, dass man sich mit Faschisten verbrüdert“, so Fischer.
Der Vorsitzende des Integrationsrates, Hasan Tuncer, warf dem OB im Vorhinein „Doppelmoral“ vor. Von innerdeutschen Nationalisten grenze man sich strikt ab, „viele deutsche Politiker sind aber blind, wenn es um türkische Faschisten geht“. Er selbst habe den OB und dessen Büro Anfang der Woche mit der Kritik an der Gedenkveranstaltung konfrontiert, der OB mit seinem Büro sei aber immer weiter ins Schlamassel geschliddert, statt zurückzurudern.
Mülheims OB auf einer Veranstaltung mit Atib, Grauen Wölfen und Milli Görüs
Dementsprechend mit Spannung wurde die Rede des Oberbürgermeisters erwartet. Der OB stellte am Mikrofon klar: „Angesichts einiger nachträglich bekanntgewordener Mitveranstalter muss ich als Oberbürgermeister aber auch deutlich erklären, dass durch den Auftritt von Vereinen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, bereits jetzt eine Diskussion um demokratische Grundwerte entstanden ist, die ich nicht gutheißen kann.“ Für ihn stünde das Gedenken an die Opfer und deren Familien in Syrien und der Türkei im Vordergrund. „Gleich welcher Nationalität oder Religion, Muslime, Christen, Aleviten, Syrer, Türken, Kurden. . . alle sind betroffen“, so Buchholz.
Konkret ging es um drei Organisationen, die vom Verfassungsschutz als türkische Nationalisten beobachtet werden, die auf dem Flyer abgebildet waren: die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib), Graue Wölfe und die Milli-Görüs-Bewegung, die laut Verfassungsschutz die westliche „Ordnung des Unrechts“ durch eine islamische „Gerechte Ordnung“ ersetzen will.
Geschätzt 300 Menschen sind zum Rathausmarkt in Mülheim gekommen
Auf der Veranstaltung selbst waren keine Symbole dieser Organisationen zu sehen. Geschwenkt wurden türkische und deutsche Flaggen sowie eine syrische Flagge, die Belal Alkheder, Vorsitzende des Syrischen Vereins Gaik, mitgebracht hatte. Geschätzt 300 Menschen, überwiegend Familien, waren gekommen. Angesprochen erzählten sie überwiegend, dass sie durch ihre Gemeinde auf die Gedenkveranstaltung aufmerksam gemacht worden waren. Zu den Rednern zählte der türkische Generalkonsul Taylan Özgür Aydin, der hervorhob, dass mehr als 100 Lastwagenladungen an Hilfsgütern von Mülheimer Unternehmen und Privatleuten gespendet worden waren.
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Initiatorin gibt Kritik zurück an Mülheims Integrationsrat
Sengül Özdöl, zweite Vorsitzende der Fatih-Gemeinde, hat kein Verständnis für die Kritik an der Gedenkveranstaltung und zeigte sich im Gespräch mit der Redaktion enttäuscht, dass nicht mehr Vertreter der Mülheimer Politik erschienen waren. Özdöl wirft Kritikern wie Tuncer und Fischer ebenfalls „Doppelmoral“ vor, weil sie die Veranstaltung nun selbst dazu nutzten, Politik zu machen. Ihr alleiniges Anliegen sei es gewesen, eine gemeinsame Gedenkveranstaltung aller Menschen auf die Beine zu stellen, unabhängig von Weltanschauung und Religionszugehörigkeit. Dass Atib, Graue Wölfe und Milli Görüs vom Verfassungsschutz beobachtet würden, sei ihr erst am Donnerstag auf Hinweise hin bekannt geworden. Alle drei Organisationen seien auch nicht Mitveranstalter, sondern seien ursprünglich auf den Flyern aufgenommen worden, um das gemeinsame Gedenken zu unterstreichen.
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Warum, fragt Özdöl, hat der Integrationsrat nicht selbst eine solche Gedenkveranstaltung auf die Beine gestellt? Den OB nimmt sie in Schutz. Er habe seine Teilnahme in Anbetracht der vielen Opfer „aus dem Herzen heraus“ sofort zugesagt. „Es sind alles Menschen, die da gestorben sind“, betont Özdöl, dass das Gedenken frei von politischen Interessen sein soll. Hasan Tuncer, dem die Worte des OB auf dem Rathausmarkt ebenfalls zu Ohren gekommen waren, äußerte im Nachhinein gegenüber der Redaktion: „Der OB hat Haltung gezeigt und klare Worte gefunden. Ich bin stolz auf ihn, aber auch auf die Parteienlandschaft, die durch ihre Kritik ebenfalls klar Haltung gezeigt hat.“