Mülheim. Fachkräftemangel in der Pflege? Eine Mülheimer Schule kennt ein Mittel dagegen. Hier werden ausgebildete Kräfte aus dem Ausland fit gemacht.
In Deutschland werden sie händeringend gesucht, in ihrer aber Heimat sehen sie keine Perspektive für sich: Fachkräfte in der Pflege. An einer Mülheimer Pflegeschule pauken derzeit einige von ihnen, die Bosnien, Serbien oder Nigeria den Rücken gekehrt haben, um ihre Diplome hier anerkennen zu lassen und im Ruhrgebiet arbeiten zu können.
Sie spricht von einer Katastrophe und untermalt ihre Schilderungen mit energischen Handbewegungen. So konnte sie, wollte sie auf gar keinen Fall weiterarbeiten, sagt Abigail. Die 35-Jährige stammt aus Nigeria, hat in ihrem Heimatland als Hebamme und Krankenschwester gearbeitet. Zuletzt war sie auf der Intensivstation eines Privatkrankenhauses tätig, erzählt die Mutter einer kleinen Tochter. Doch selbst da, wo mehr Geld für die medizinische Versorgung da sein sollte als in öffentlichen Krankenstationen, sah sie nahezu täglich: Mangel an lebenswichtigen Medikamenten, zu wenig Material, oft Stromausfall. „So kann man nicht für Menschen sorgen, zu viel Geld versickert durch die Korruption“, ist Abigail überzeugt.
Krankenschwester aus Nigeria ist frustriert über ihre Heimat und will in Deutschland helfen
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Es habe sie zutiefst frustriert, dass gebrauchtes Material, das sie im Privatkrankenhaus genutzt hat, notdürftig gereinigt ans öffentliche Krankenhaus weitergeschickt wurde. Als sie als Hebamme unterwegs war, musste sie mitten in der Nacht gebärenden Frauen weit draußen in einem Dorf helfen: „Es gab keinen Strom, kaum Licht, aber zumindest heißes Wasser.“ Diese Unzulänglichkeiten und keine Aussicht auf Besserungen haben die 35-Jährige bewogen, einen weiten Weg auf sich zu nehmen.
Sie wollte in ein Land, in dem sie ihre Profession, ihr Verständnis von Pflege umsetzen kann. So kam die Nigerianerin nach Deutschland, absolviert gerade den ersten Anpassungslehrgang für ausländische Pflegefachkräfte in der im Januar eröffneten Katholischen Schule für Pflegeberufe KKS auf dem ehemaligen Tengelmann-Areal in der Parkstadt. Ein Anpassungslehrgang ist eine Maßnahme, um die Gleichwertigkeit einer ausländischen Berufsausbildung festzustellen. Lehrgangsziel sei es, dass die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung des Berufes nachweisen.
Ausgebildete Fachkräfte verlassen ihre Heimat, um in Deutschland zu arbeiten
Dass diejenigen Pflegekräfte, die den großen Schritt gewagt haben und für bessere Arbeitsbedingungen nach Deutschland gekommen sind, jetzt die neuen, farbenfrohen Räume der KKS in der Parkstadt mit Leben füllen, lässt die Augen von Schul- und Standortleiterin Elia Garcia leuchten. Begeistert erzählt die Schulleiterin, die einst selbst als Krankenschwester begann: „Man spürt, wie sehr sie ihre Profession leben wollen, wie sehr sie mit Herz und Seele in der Pflege tätig sind.“ Und welches umfangreiche Wissen die Teilnehmenden schon mitbringen. Denn hier sitzen ausgebildete Fachkräfte, eben solche, die in Deutschland reihenweise gesucht werden.
Abigail, die heute bereits auf der Intensivstation des Essener Elisabeth-Krankenhauses arbeitet, wenn sie nicht die Schulbank in der Parkstadt drückt, ist nicht alleine mit ihrer Motivation, ihre Heimat zu verlassen, um andernorts ganz neu anzufangen. Auch Eldina (23) und Amar (25) aus Bosnien sowie Miljana (28) aus Serbien lernen gerade in der Parkstadt. Auch sie waren mit den Bedingungen in ihren Heimatländern nicht einverstanden. „Wer arbeiten wollte, wurde nach seiner politischen Einstellung gefragt“, sagt eine von ihnen. Was das bei der Pflege für eine Rolle spielen solle, fragt die junge Frau. Unter diesen Voraussetzungen wollte sie ihre Kinder nicht großziehen, ihre Qualifikation, die sie bereits über Jahre im Beruf aufgebaut hat, nicht ungenutzt lassen.
Pflegeschüler arbeiten bereits in Krankenhäusern und bei Pflegediensten im Ruhrgebiet
Wenn sie nicht die Schulbank drücken, arbeiten sie bereits in Pflege-Einrichtungen, etwa der Trägergesellschaft Contilia, wie im Essener Elisabeth-Krankenhauses oder in der ambulanten Pflege des Philippusstiftes. „Alle haben schon einen Arbeitgeber“, sagt Schulleiterin Garcia.
Die jungen Leute genießen es sichtlich, gebraucht zu werden. Amar, vor 25 Jahren in Essen geboren, dann aber als kleines Kind mit seiner Mutter zurück nach Bosnien gegangen, erzählt: „Hier sprechen die Leute oft schlecht über den Pflegeberuf, es heißt, wir würden nur putzen. Dabei stimmt das nicht: Wir helfen den Leuten, gesund zu werden.“ Ihm habe die Verbindung zu seiner Geburtsstadt Essen, wo nach wie vor sein Vater lebte, geholfen, hier einen Neustart zu wagen.
Gewisse Sprachkenntnisse sind notwendig, um Pflege-Lehrgang in Mülheim zu durchlaufen
„In Bosnien weiß niemand zu dieser Möglichkeit richtig was, es ist nicht einfach.“ Die Unzulänglichkeiten in Bosnien hätten ihn dazu bewogen zu gehen. Obwohl er zwei Abschlüsse hat - als Altenpfleger und als Krankenpfleger - habe er für sich dort keine Perspektive gesehen, sagt der 25-Jährige. „Dann besser hier, sonst bleibt man immer auf einem niedrigen Niveau.“ Heute arbeitet Amar auf der Kardiologie und fühlt sich - das betont er mehrfach - akzeptiert.
Was alle eint, bestätigt Schulleiterin Garcia, ist eine hohe Sprachkompetenz. Um an einem Anpassungslehrgang für ausländische Pflegefachkräfte teilnehmen zu können, müssen die Bewerber gewisse Sprachkenntnisse vorweisen, um aufgenommen zu werden. Eldina etwa ist seit rund zwei Jahren hier und erzählt, dass sie bereits in ihrer bosnischen Heimat Deutsch gelernt habe. Sicher gebe es in der Pflegeschule manchmal Verständigungsschwierigkeiten, da helfe es ihr, dass im Unterricht viel durch Beispiele erklärt wird.
Mülheimer Schule für Pflegeberufe stockt Aus- und Weiterbildung noch auf
Schul- und Standortleiterin Elia Garcia und Stephanie Kamp, die den Standort der Pflegeschule KKS in Essen leitet, sind dankbar, dass die Teilnehmenden des Anpassungslehrgangs den Schritt gewagt haben, um ihr Ideal von Pflege umsetzen zu können und hier die Lücken füllen, die der Fachkräftemangel in Pflegeeinrichtungen reißt. Stephanie Kamp ist dabei überzeugt, dass das Verfahren keine Einbahnstraße ist: „Sie haben ein hohes Reflexionsvermögen, haben viel erlebt in ihrer Biografie und bringen ein anderes Verständnis von Pflege mit - davon lernen wir viel.“
Die KKS plant bereits weiter für die Zukunft: Ab September starten dort erstmalig Ausbildungsgänge zur/zum anästhesietechnischen Assistent/in und zur/zum operationstechnischen Assistent/in an der dafür geschaffenen ATA/OTA-Schule der KKS in der Parkstadt. Perspektivisch sollen auch Anpassungslehrgänge für Physio- und Ergotherapeuten aus dem Ausland geschaffen werden.
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