Mülheim. Millardenschwere Wirtschaftshilfen sind vom Verfassungsgericht angehalten. SPD-Chef Klingbeil stellte sich beim Besuch bei Mülheims Stahlguss.

Während nahezu zeitgleich vor dem Werkstor von Thyssenkrupp in Duisburg Tausende Beschäftigte von Stahl- und Chemieindustrie in Sorge um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze demonstrierten, war der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Freitag nur wenige Kilometer entfernt in Mülheims Friedrich-Wilhelms-Hütte bemüht, den Scherbenhaufen zusammenzufegen, den das Verfassungsgerichtsurteil für die geplanten staatlichen Wirtschaftshilfen hinterlassen hat. Dabei sendete Klingbeil ein klares Signal.

In der jüngeren Vergangenheit war Mülheims FWH Stahlguss GmbH häufig schon auserwählte Adresse für hochrangigen Besuch aus Berlin. Vor Klingbeil waren in den vergangenen zwei Jahren schon Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzler Olaf Scholz vor Ort – eben auch, um das Signal zu senden, dass in Berlin die immense Bedeutung industrieller Fertigung „made in Germany“ in Zeiten der mannigfacher Krisen nicht aus dem Blick geraten werde.

Mülheims Friedrich-Wilhelms-Hütte hat schwere Zeiten mit einer Insolvenz hinter sich, wuchs zuletzt aber beständig. Rund 300 Beschäftigte arbeiten dort wieder.
Mülheims Friedrich-Wilhelms-Hütte hat schwere Zeiten mit einer Insolvenz hinter sich, wuchs zuletzt aber beständig. Rund 300 Beschäftigte arbeiten dort wieder. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

In dieser Mission tourt denn auch SPD-Chef Klingbeil dieser Tage durchs Ruhrgebiet. Er war bei Thyssenkrupp, bei MAN, am Freitagmittag nahm er sich gut zwei Stunden Zeit, um sich mit dem Mülheimer Bundestagsabgeordneten Sebastian Fiedler und anderen Genossen den komplexen wie ausgefeilten Stahlguss-Fertigungsprozess in der 212 Jahre alten Friedrich-Wilhelms-Hütte vor Augen führen zu lassen: Hinter verschlossenen Türen sprach Klingbeil auch mit Hütten-Geschäftsführer Lars Steinheider über die Realisierbarkeit staatlicher Hilfen, damit energieintensive Unternehmen wie die Mülheimer Hütte im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss verlieren.

Milliarden wollte die Bundesregierung hierfür zur Verfügung stellen, das Finanzierungspaket dazu hat das Bundesverfassungsgericht aber nun für verfassungswidrig erklärt. Insbesondere auf die Hilfen zur Entlastung bei den Stromkosten aber hofft auch Mülheims Hütte. FWH-Geschäftsführer Lars Steinheider machte am Freitag deutlich, dass das von der Ampel geplante Entlastungspaket, dass den Strompreis für die Industriebetriebe auf rund sechs Cent pro Kilowattstunde drücken soll, existenziellen Charakter auch für die Gießerei in Mülheim habe.

Mülheims Hütte: Ohne staatliche Hilfe „kurzfristig in Schwierigkeiten“

Laut Auswertung der internationalen Energieagentur zahlt die deutsche Industrie aktuell fast dreimal so viel pro Megawattstunde Strom wie Konkurrenten etwa in den USA oder Kanada. Deutlich günstiger sei Strom auch für die Industrie in Frankreich und anderswo, fordert Steinheider Hilfen für seine Branche von rund 600 Gießereien am Standort D, um international konkurrenzfähig bleiben zu können. In den deutschen Gießereien arbeiteten rund 70.000 Menschen. In ihnen werde zwar nur rund ein Prozent der deutschen Wertschöpfung erzielt. Betrachte man aber die gesamten Wertschöpfungsketten, so steckten die hochwertigen deutschen Gießerei-Produkte in derart vielen Anwendungen, dass diese an über 90 Prozent der Wertschöpfung im Land ihren Anteil hätten.

Lars Klingbeil besichtigt Stahlgießerei der Wilhelms-Hütte

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Ohne die Hilfen zur Transformation, so der FWH-Geschäftsführer, drohe auch Mülheims Hütte „kurzfristig in Schwierigkeiten zu kommen“. Zwei Drittel der nötigen Energie für den Hüttenbetrieb speist sich aus Gas. Aber auch sieben Millionen Kilowattstunden Strom brauche man jährlich für seinen Produktionsprozess. Vor Ausbruch des Ukraine-Krieges habe man die Kilowattstunde noch für rund fünf Cent bezogen. Aktuell sei man bei 20 Cent, bei Berücksichtigung der Stromsteuersenkung immer noch bei 18,5 Cent. Leicht auszurechnen, dass es sich hier um einen millionenschweren Wettbewerbsnachteil gegenüber Konkurrenten handelt aus Ländern, in denen die Strompreise für die Industrie auf, fünf, sechs Cent gedrosselt sind.

Deutschland hat eine stolze Industrie und wir werden alles dafür tun, dass dies so bleibt.
Lars Klingbeil, Bundesvorsitzender der SPD

Als SPD werde man einen Schwerpunkt darauf legen, der deutschen Industrie gute Rahmenbedingungen im internationalen Wettbewerb zu schaffen, versprach SPD-Vorsitzender Klingbeil am Freitag. „Deutschland hat eine stolze Industrie und wir werden alles dafür tun, dass dies so bleibt.“ Die Position manch eines Wirtschaftsweisen, die Abwanderung von Industriebetrieben in andere Länder verschmerzen zu können, „wird nie die Position der SPD sein“.

Industrielle Wertschöpfungsketten seien im Land zu halten, damit Deutschland nicht in Abhängigkeiten anderer Länder gerate. „Wir müssen alles in Europa halten, was wir hier brauchen“, so Klingbeil. Das sei auch nötig, um die Energiewende zu stemmen, zeige der Besuch in Mülheims Hütte, wo Komponenten höchster Stahlgüten etwa für Energietrassen, für Geothermie oder Windkraft hergestellt werden.

Heißer Stahl fließt in Mülheims Friedrich-Wilhelms-Hütte in eine Gussform.
Heißer Stahl fließt in Mülheims Friedrich-Wilhelms-Hütte in eine Gussform. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Klingbeil: „Es darf keine politische Kraft wollen, dass wir die Arbeitsplätze hier verlieren“

Klingbeil zeigte sich trotz der aktuell durch das Verfassungsgericht aufgerissenen Milliardenlöcher in der Finanzierung von Krisenfolgen und wirtschaftlicher Transformation zuversichtlich, dass die Milliarden aus Berlin doch fließen können. Mit dem Nachtragshaushalt für 2023 sei ein erster Schritt getan. Bei allem weiteren müsse es „schnell zu einer Lösung kommen“. Mit dem Bundeskanzler sei verabredet, noch in diesem Jahr jene Lösung für den Etat 2024 herbeizuführen. „Die Investitionen in den klimaneutralen Umbau dürfen nicht gestoppt werden. Es darf keine politische Kraft wollen, dass wir die Arbeitsplätze hier verlieren“, appellierte Klingbeil.

Mülheims Hütte setzt auch darauf. Nach überstandener Insolvenz vor zwei Jahren und mit neuen Eigentümern hat sie sich – nicht nur dank Rüstungsaufträgen – prächtig gemausert. Die Mitarbeiterzahl ist von 200 auf 300 gestiegen, der Umsatz von rund 25 auf voraussichtlich 40 Millionen Euro in diesem Jahr. „Wir wachsen kontinuierlich und haben ein sehr großes Interesse daran, den Standort Mülheim langfristig auszubauen und die Mannschaft hier zu halten“, sagt Geschäftsführer Steinheider. Dafür rauche man aber, „ganz klar“: den sogenannten Brückenstrompreis.

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