Ruhrgebiet. Bundespräsident Steinmeier trifft im Ruhrgebiet Migranten der dritten Generation. „Wir sind integriert, wir wissen, wo es lang geht“, sagt einer.
Ein bisschen sieht es aus wie gutes altes Ruhrgebiet: Stahlarbeiter hantieren in ihren silbernen Hitzeschutz-Anzügen, Stahl fließt, Funken sprühen, Gase brennen, Flammen schlagen aus der Gussform. Aber im 211. Jahr ihres Bestehens benutzt die Friedrich-Wilhelms-Hütte in Mülheim längst keine fossilen Brennstoffe mehr, und der Rohstoff, der zu Stahl wird, ist zu 100 Prozent Eisenschrott. „Eigentlich sind wir ein Recycling-Betrieb“, sagt Geschäftsführer Lars Steinheider. Gutes neues Ruhrgebiet.
Der spektakuläre Stahlguss ist am Dienstag die Morgengabe der Region an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender. Sie sind in einer ganz anderen Sache unterwegs, aber in der Friedrich-Wilhelms-Hütte dennoch nicht verkehrt: Rund 100 der 214 Beschäftigten sind Muslime, zu zwei Dritteln türkischstämmig. Und genau darum geht es heute: um ein Jubiläum des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens von Arbeitskräften. Und dann kamen Menschen.
„Eine Region, die wie kaum eine andere durch Zuwanderung geprägt ist“
„Wenn wir heute auf 60 Jahre des Abkommens zurückschauen, schauen wir natürlich auf die Menschen, die beigetragen haben zu Wirtschaft und Gesellschaft“, sagt Steinmeier: „Sie machten das Land zugänglicher, offener und wirtschaftlich stärker. Zugleich ist es die Würdigung einer Region, die wie kaum eine andere durch Zuwanderung geprägt ist.“
In mehreren Städten treffen die beiden am Dienstag Zuwanderer unterschiedlicher Nationalität und überwiegend aus der dritten Generation. „Als ich mit sechs Jahren zurück nach Italien musste, habe ich meinem Vater gesagt: Wenn ich volljährig bin, gehe ich zurück“, sagt der Versand-Disponent August Longo: „Mein Vater war dann so genial, dass er wieder mitgekommen ist.“
Fotoausstellung auf Zollverein dokumentiert die Lebenswelt der damaligen Gastarbeiter
Und, fragt Steinmeier in die Gesprächsrunde, was die Männer ihren Kindern raten, der heranwachsenden vierten Generation? „Wir haben es leichter als die erste und zweite Generation“, sagt Suat Yasar, Meister im Schmelzbetrieb der Hütte: „Wir sind hier geboren, wir sind integriert, wir wissen, wo es langgeht und wohin wir die Kinder führen müssen.“ Sein Größter, der 12-Jährige, besucht ein Gymnasium und will dann dringend zur Polizei.
Mit der Mülheimer Runde ist der Ton gesetzt für diesen Tag. Steinmeier und Büdenbender treffen Integrierte, Angekommene, Deutsche, halt nur mit Migrationshintergrund; Mühselige und Beladene treffen sie nicht. „Wir sind ein Land mit Migrationshintergrund geworden“, sagt Steinmeier und setzt alles in eins.
Auch interessant
In Essen, auf der Zeche Zollverein, besuchen die beiden eine Fotoausstellung. Arbeiten des Fotografen Ergun Cagatay, der 1990 die Lebens- und Arbeitswelt von Gastarbeitern und Gastarbeiterinnen tausendfach dokumentierte. Hier, in der Vergangenheit, darf es ungemütlich werden. Durch die Bilder „kann man lernen, dass wir nichts schönzureden haben“, sagt der Bundespräsident. Die Bedingungen für die erste Generation seien „ausgesprochen schwierig gewesen“.
Bundespräsident und Vereinsvorsitzender sprechen von Fußballer zu Fußballer
20 Kilometer weiter östlich merkt man dann, dass Steinmeier selbst ein Fußballspieler war; wie die TuS seines Heimatdorfes Brakelsiek sich seiner erinnert, klingt ein bisschen wie die Beschreibung des Politikers Steinmeier: „Mittelfeld, sehr verlässlich, seine technischen Möglichkeiten waren begrenzt, aber seine Pflicht hat er mehr als erfüllt.“
Und so steht er nun auf der Platzanlage, die der türkischen Fußballverein „Türkiyemspor Bochum“ sich mit dem FC Bochum teilt. Von Frank-Walter Steinmeier zum Vorsitzenden Ceyhan Sahingöz geht es nun von Fußballer zu Fußballer: Wie sich zwei Vereine auf einer Anlage die Trainingszeiten teilen, wer wann welchen Platz belegt - es hat hier einen Rasenplatz und einen Ascheplatz. „Ascheplatz bedeutet offene Knie“, sagt Steinmeier.
Flüchtling aus Guinea findet Lehrstelle bei einem Sponsor von Türkiyespor
Bei Schwarztee und Baklava plaudert man an einem langen Tisch am Rasenplatz über Ehrenamt und die Integrationskraft des Sports. Das Ehrenmitglied Yasemin Pilinski etwa ist da, ihr Vater Mustafa Güngör hat sich aufgerieben für den Verein und die Integration, war Schöffe bei Gericht, war im Ausländerbeirat und war Betriebsrat bei Opel. „Damals hat Opel drei Vereine gesponsert: AC Milan, FC Bayern und Türkiyemspor“, sagt Trainer Kenan Dalman. Das ist ein kleines bisschen hingebogen, aber die Pointe ist natürlich gut.
Auch interessant
Auch Oberbürgermeister Thomas Eisfeld greift das Integrationsthema auf: Fußball sei eine große Hilfe gewesen 2015: „Es ist ein Unterschied, ob jemand ein Flüchtling ist oder ein Flüchtling, mit dem man schon mal unter der Dusche stand.“ Am Tisch ums Eck sitzt gerade das beste Beispiel dafür: Amadou Diallo kam als minderjähriger Flüchtling aus Guinea, er fand zu dem Fußballverein und danach eine Lehrstelle. Er lernt in einem Bauunternehmen - das Sponsor ist von Türkiyespor.