Mülheim. Weit weg von der Heimat arbeiten Cyril (39), Arshin und Aswin (19) in der Pflege. Der Job macht ihnen Spaß, doch Missverständnisse gibt es auch.

Rund 7700 Kilometer Luftlinie sind es, die das Ruhrgebiet vom südindischen Bundesstaat Kerala trennen. Eine Entfernung, die Cyril John (39), Arshin Joy (19) und Aswin Biju (19) bereit sind auf sich zu nehmen. Hier in Mülheim haben die drei Männer nicht nur einen Job oder die Aussicht darauf, sondern auch „die Hoffnung auf ein besseres Leben“, wie Cyril John sagt.

In Indien war der dreifache Vater 13 Jahre lang als Krankenpfleger tätig, arbeitete in der Inneren Medizin, aber auch in der Notaufnahme. „Viel Erfahrung“ bringe er mit, nutzte diese zuletzt in einem Seniorenheim im rheinland-pfälzischen Bingen, ehe er zur Contilia-Gruppe wechselte. Jedes Jahr im April und Oktober beginnen dort neue Auszubildende, im jüngsten Jahrgang 162, elf davon aus Indien, wie der Ausbildungsbeauftragte Alexander Siebrecht berichtet. „Zusätzlich haben wir neun ausgebildete Pflegekräfte aus Indien, die sich im Anerkennungsprozess befinden“, so der 47-Jährige. Diesen Prozess hat auch Cyril John durchlaufen. „Je nach Qualifikation verlangt die Bezirksregierung dann praktische oder theoretische Leistungen für die Anerkennung“, erklärt Alexander Siebrecht.

Pflege in Mülheim – lesen Sie auch:

Im Fall von Cyril John klappte das reibungslos, „ich konnte ohne weitere Seminare anfangen“. Am Anfang stehen hingegen noch die 20 Jahre jüngeren Arshin Joy und Aswin Biju. Die beiden jungen Männer, die ebenfalls aus Kerala stammen und sich dort in einer Sprachschule kennengelernt haben, leben seit drei Monaten in Deutschland. „Wir haben bei Google recherchiert, was es für Jobs gibt“, berichtet Arshin Joy. In Indien sei der pflegerische Beruf im Vergleich deutlich theoretischer, „man braucht viel medizinisches Wissen“. Das sei in Deutschland anders, „hier geht es um die Menschen“.

Damit sich angehende Pflegekräfte für eine Ausbildung in Deutschland qualifizieren, braucht es einen Sprachnachweis. „Mindestens auf B2-Niveau“, so Siebrecht. „Wir bemühen uns, mit allen Deutsch zu sprechen, da ist Praxis sehr wichtig.“ Die drei Männer aus Indien nicken bestätigend. „Wir haben ein Jahr lang Deutsch gelernt, bevor wir hergekommen sind“, sagt Aswin Biju, der aktuell seine ersten praktischen Erfahrungen im Kamillushaus in Essen-Heidhausen sammelt, dort in der Unfall-Orthopädie mitarbeitet. Die Heimat vermisse er kaum, „wir sind hier wie eine Familie“.

Mülheimer Pflegeschüler organisieren sich untereinander

„Wir“ meint die weiteren Pflegeazubis und -kräfte aus Indien, gerade aus dem aktuellen Jahrgang stammen alle aus Kerala, kennen sich schon aus der Sprachschule. „Manche wohnen auch zusammen, wir verbringen viel Zeit miteinander“, sagt Arshin Joy. „Die MWB hat uns bei der Wohnungsvermittlung unterstützt“, so Siebrecht. „Manche wohnen in WGs, andere alleine.“ Neben dem theoretischen, praktischen und sprachlichen Wissen gehe es aber auch um die kulturellen Unterschiede, über die in Workshops aufgeklärt wird, um Missverständnisse zu vermeiden.

„Wenn du einen Deutschen fragst, ob alles in Ordnung ist, kriegst du meist eine Antwort mit den Dingen, die gerade nicht so gut laufen“, zieht der Ausbildungsbeauftragte einen Vergleich. „Fragst du einen Inder, dann ist immer alles in Ordnung. Auch wenn es das eigentlich gar nicht ist.“ Eine Form der Höflichkeit, die vielen schwer fällt abzulegen. „Aber das kommt mit der Zeit.“ Andere Feinheiten seien dann Abweichungen in der Bezeichnung von Alltagsgegenständen, etwa der Bettpfanne. „Der technisch korrekte Begriff ist Steckbecken. Patienten sagen aber auch Topf, das muss man wissen.“

Alexander Siebrecht ist einer von drei Ausbildungsbeauftragten am St. Marien-Hospital in Mülheim.
Alexander Siebrecht ist einer von drei Ausbildungsbeauftragten am St. Marien-Hospital in Mülheim. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Mülheim soll neue Heimat für Familie John aus Indien werden

Ein Bereich übrigens, die in der indischen Kultur nicht bei den Pflegekräften, sondern der Familie liegt. „In Indien kümmert sich die Familie um Waschen und Füttern, das ist hier anders“, sagt Cyril John. Für ihn aber kein Problem – „mir macht der Job hier Spaß, auch wenn er ganz anders ist.“ Bevor es für den 39-Jährigen nach Deutschland ging, wanderte er nach Israel aus. „Dort konnte ich meine Familie aber nicht nachholen“, erzählt er. „Hier ist es viel besser für Familien.“ Läuft alles nach Plan, sollen die vierjährigen Zwillingstöchter, der fünfjährige Sohn und die Ehefrau im September langfristig nach Mülheim ziehen.

+++Leben mit chronischen Schmerzen: „Erkenne mich nicht wieder“+++

Und auch die Azubis Arshin Joy und Aswin Biju sehen ihre Zukunft in Deutschland. „Wir fühlen uns hier wohl. Es ist gut, dass man während der Ausbildung schon Geld verdient und später sogar studieren kann“, so Joy. Ab dem zweiten Lehrjahr steigen immer wieder Azubis der Contilia in ein duales Studium des Gesundheitsmanagements ein. Vielleicht auch eine Option für die beiden jungen Männer? „Mal sehen“, antworten sie bescheiden. „Erst mal wollen wir unsere Ausbildung gut machen“, sagt Aswin Biju. „Pflege ist nicht nur körperliche Hilfe, sondern mentaler Austausch.“