Mülheim. Nach dem Abitur begann Alyssa Schwaner aus Mülheim eine Ausbildung in der Pflege. Dabei sieht die 18-Jährige auch einige Defizite in der Branche.

Vor wenigen Monaten hat Alyssa Schwaner am Gymnasium Heißen erfolgreich ihr Abitur absolviert. Dass es für sie nach der Schule aber zunächst nicht sofort an die Uni zum Studieren geht, wusste die 18-Jährige schon lange vorher, wie sie erzählt. Die Heißenerin hat sich für eine Ausbildung in der Pflege entschieden. „Die häufigste Reaktion, wenn ich davon erzähle, ist: ,Ich könnte das ja nicht!’“

Etwas unüblich, könnte man meinen; mit oder auch gerade trotz Abitur eine Ausbildung in der Pflege zu beginnen, zumal der Beruf seit Jahrzehnten einem Image-Problem unterliegt. Immer wieder machen sich Vertreterinnen und Vertreter der Branche öffentlichkeitswirksam für bessere Arbeitsbedingungen stark, wie etwa zuletzt Alexander Jorde oder Ricardo Lange. Mit der Corona-Krise war das Berufsbild in den Fokus gerückt – Klatschen von Balkons und aus Fenstern wich zunehmend nachdrücklicheren Forderungen nach besserer Bezahlung, auch schon für Auszubildende.

Mülheimerin sieht Forderungen als längst überfällig

Eine Debatte, die Alyssa „mit Interesse“ verfolgt hat, wie sie sagt. „Es ist schon viel geschehen in den letzten Jahren“, räumt die 18-Jährige ein. „Aber es gibt definitiv auch noch Verbesserungspotential.“ In vollem Bewusstsein über die Defizite des Berufes, entschied sich Alyssa aber doch für die Ausbildung in der Pflege – wieso? „Ich habe immer schon gerne Medizin-Serien geguckt“, erzählt die junge Frau fast schon ein wenig verschämt und lacht. In der Rolle der Ärztin habe sie sich aber nie wirklich gesehen. „Mir hat immer imponiert, dass das Pflegepersonal so nah an den Patienten dran ist.“

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Dieser Eindruck bestätigt sich für Alyssa, als sie in der zehnten Klasse das erste Schulpraktikum im St. Marien-Hospital absolviert und Pflegerinnen und Pfleger bei ihrer täglichen Arbeit begleitet. „Man steht in so engem Austausch mit den Menschen auf der Station, das erfordert viel Feingefühl“, sagt die 18-Jährige. Der Beruf werde aus ihrer Sicht permanent unterschätzt: „Es ist nicht nur Hintern abwischen. Es ist viel, viel mehr.“

Es gehe um Kommunikation auf Augenhöhe, darum, sich in sein Gegenüber einzufühlen und das zu spiegeln, was die Person gerade braucht. „Das kann Aufmunterung sein, aber manchmal auch einfach Distanz“, sagt Alyssa. „Wichtig ist es eben, auf die Leute einzugehen.“ Viele Außenstehende sähen in der Pflege nur das, was sie durch persönlichen Kontakt aus der Familie oder aus Medien mitbekommen, „und das sind eben oft Extremfälle“, die nicht die alltägliche Arbeit widerspiegelten.

Im schlimmsten Fall leiden Patienten und das Personal

Bei aller Freude, die ihr das Praktikum damals bereitet, stellt die Mülheimerin aber auch schnell fest, unter welch forderndem Pensum die Pflegekräfte arbeiten. „Es ist manchmal wirklich krass, wie wenig Zeit ist“, sagt sie. Der Fachkräftemangel sei in ihren Augen das größte Problem im Berufsfeld, denn „am Ende leiden im Extremfall die Patienten darunter und das Personal arbeitet sich kaputt.“

Eine bessere Bezahlung könne durchaus einen Anreiz schaffen, mehr junge Menschen für eine Ausbildung in der Pflege zu begeistern – auch wenn sie für Alyssa im Entscheidungsprozess rund um die Ausbildung keine Rolle gespielt habe. „Mir reicht das Geld fürs Erste, es ist genug zum Leben.“ Für die Dauer der Ausbildung plant Alyssa, weiterhin bei ihren Eltern zu wohnen und so viel Geld wie möglich anzusparen. Noch hält sie sich die Option offen, aber ein Studium schließt die 18-Jährige nach wie vor nicht aus. „Viele denken, eine Ausbildung in der Pflege ist wie eine Endstation. Das finde ich aber gar nicht, im Gegenteil“, so Alyssa.

Mülheimerin sieht Ausbildung nicht als Endstation an

Ihre Dozentinnen und Dozenten am neuen Institut für Pflege- und Gesundheitsberufe in der Parkstadt betonten immer wieder: „Nur weil ihr jetzt eine Ausbildung macht, habt ihr trotzdem Aufstiegschancen.“ Viele von ihnen hätten ihre Karriere ebenfalls mit einer Ausbildung in der Pflege begonnen und seien nach einem Studium in der Lehre gelandet. „Das könnte ich mir schon auch vorstellen“, sagt Alyssa. Bis dahin bleibt der 18-Jährigen aber noch etwas Zeit.

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Aktuell lernt sie an der Berufsschule sechs Wochen lang die Theorie kennen, ehe es zum ersten Orientierungseinsatz in das St. Marien-Hospital gehe. „Da bleibe ich dann drei Monate.“ Gibt es irgendetwas, das ihr Respekt einflößt? „Ich glaube, das erste Mal Blut abnehmen und die erste Spritze“, sagt Alyssa, sie fügt hinzu: „Vielleicht fällt es mir am Anfang auch schwer, einige der Schicksale nicht mit nach Hause zu nehmen. Man ist ja doch auch viel mit dem Herzen dabei.“

>>> Neues Institut für Pflege- und Gesundheitsberufe

  • Nach 30 Jahren an der Kaiserstraße werden Auszubildende des St. Marien-Hospitals künftig in Speldorf unterrichtet. Zum Oktober haben 50 junge Menschen die Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann aufgenommen. „Noch nie haben so viele junge Menschen ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann an der krankenhauseigenen Ausbildungsstätte begonnen“, heißt es von der Klinik.
  • Neben Schulräumen wurde auch ein Krankenzimmer eingerichtet, um in der Parkstadt möglichst nahe am Berufsalltag Theorie und Praxis vermitteln zu können. Mit dem Institut möchte das St. Marien-Hospital dem Pflegekraftmangel mittelfristig entgegenwirken.