Mülheim. Das Interesse an Flüchtlingshilfe hat ein gefährliches Tief erreicht – Freiwillige erheben gar Ansprüche. Wie ein Mülheimer Verein einschreitet.
Eigentlich sind es kleine Dinge, Alltägliches, die sich die Geflüchteten in den Unterkünften Schumannstraße und Oberheidstraße wünschen. „Wir haben ein Mädchen, das in seiner Heimat Mazedonien Fußball gespielt hat. Das möchte es hier auch“, erzählt Anna-Maria Allegrezza, die für den Speldorfer Standort zuständig ist. „Oder Sprachkurse und Kita-Plätze sind auch immer ein Thema“, sagt Tara Abdo, die als studentische Hilfskraft im Centrum für bürgerschaftliches Engagement (CBE) arbeitet und regelmäßig in den Unterkünften vor Ort ist.
Alles Angelegenheiten und Wünsche, die sich mit etwas Zeit und Mühe regeln lassen könnten – wäre da nicht ein Haken. „Das Interesse an ehrenamtlicher Arbeit mit Geflüchteten ist extrem abgeflacht“, schildert Projektleiterin Allegrezza. Mehr noch: „Viele machen uns ganz deutlich, dass sie sich nur für Menschen aus der Ukraine engagieren wollen.“ Eine Unterscheidung, die das CBE ausdrücklich nicht mitmachen will. „Jemand wollte zum Beispiel einen Ausflug mit Kindern organisieren, aber nur mit denen aus der Ukraine“, berichtet Gilberte Mandel-Driesen, die den Standort Oberheidstraße betreut. „Da sind wir dann aber eingeschritten. Alle oder keiner.“
Mülheimer Verein blickt mit Sorge auf Ehrenamtlichen-Zahl
Offensichtlich, Ehrenamt lebt von dem Engagement und dem freiwilligen Einsatz der Menschen. Doch gerade in schnelllebigen Zeiten, die von Stress und vollen Terminkalendern geprägt sind, „ist das für viele nicht mit dem Alltag zu vereinbaren“, sagt Anna-Maria Allegrezza. „Immer wieder ziehen sich Leute zurück, weil sie sagen, dass sie doch nicht die nötige Zeit aufbringen können.“ Derzeit, so die beiden Projektleiterinnen, seien an der Schumannstraße rund 10 Ehrenamtliche und an der Oberheidstraße etwa 15 Ehrenamtliche aktiv. Bei etwa 100 Bewohnerinnen und Bewohnern in Speldorf und rund 200 in Dümpten eine ernüchternde Bilanz.
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Um ein flexibleres Engagement möglich zu machen, hat die CBE nun das Konzept der sogenannten „Impulspatenschaften“ ins Leben gerufen. Die Patenschaft sieht eine 1:1-Betreuung vor, „ganz niederschwellig“, sagt Tara Abdo. „Außenstehende unterschätzen oft, unter welchen Umständen Geflüchtete zu uns kommen.“ Vielfach spielten Traumata oder Depressionen eine Rolle, einige Menschen fielen ob der Reizüberflutung aus komplett neuem Umfeld und dem Verlust des alten Lebens in ein Loch. „Bevor es so weit kommt, wollen wir beim Ankommen helfen“, sagt Gilberte Mandel-Driesen. „Es geht um Teilhabe und Normalität.“ Allein schon das Gefühl, sich mit Menschen in der neuen Umgebung auszutauschen, sei für viele Geflüchtete viel Wert. „Es braucht nicht viel.“ Deshalb auch der Slogan: Eine Stadt, zwei Menschen, drei Treffen. „Es können natürlich auch mehr Treffen sein“, ergänzt Tara Abdo.
Mülheimer Flüchtlinge sollen durch Patenschaften involviert werden
„Und was wir immer wieder feststellen: Die Sprachbarriere spielt dabei keine große Rolle“, berichtet Bundesfreiwilligendienstlerin Jelena Ullrich. „Irgendwie kann man sich immer verständigen. Es geht nicht um Worte, sondern ums Menschliche.“ Die „Impulspatenschaft“ wird übrigens im Rahmen des Bundesprogramms „Menschen stärken Menschen“ vom Bundesministerium für Familie gefördert. „Mitmachen kann jeder ab 18 Jahren“, sagt Projektleiterin Mandel-Driesen. Vorerfahrungen seien nicht nötig. „Jeder kann seine Patenschaft so gestalten, wie er es möchte. Da lassen wir dem Tandem Freiraum und unterstützen im Hintergrund, wenn nötig.“
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Um einen Einblick in die Unterkünfte und das dortige Leben zu gewähren und Interessenten Fragen zu beantworten, veranstaltet das CBE sowohl in Speldorf als auch in Dümpten einen Tag der offenen Tür (Termine siehe unten). „Es werden Bewohnerinnen und Bewohner aber auch Ehrenamtliche vor Ort sein“, kündigt Anna-Maria Allegrezza an. „Dabei können alle Fragen rund ums Ehrenamt geklärt werden oder man kann sich einfach mal ein Bild machen.“ Für die „Impulspatenschaften“ soll der Fokus vor allem auf dem Speldorfer Standort liegen, da hier ein noch höherer Bedarf herrsche. „Aber wir freuen uns über jeden, der helfen will.“
Tag der offenen Tür: An der Schumannstraße 11 beginnt die Veranstaltung am Donnerstag, 1. Juni, um 15 Uhr und endet um 18.30 Uhr. An der Oberheidstraße werden die Pforten am Freitag, 2. Juni, von 14 Uhr bis 18 Uhr geöffnet.