550 bis 570 Euro mehr im Monat für den Altenheimplatz? Nach ersten Schätzungen in Mülheim ist das denkbar. Wer letztlich die höheren Löhne zahlt.
Der kürzlich erkämpfte Tarifabschluss im öffentlichen Dienst ist eine mächtige Herausforderung, das gilt auch im Bereich der Pflegeheime. Während sich das Personal über finanzielle Anerkennung seiner vielfach harten Arbeit freuen kann, müssen die Betreiber mit erheblichen Mehrkosten rechnen, die sie abwälzen werden. Genaue Berechnungen gebe es noch nicht, erklärt Alexander Keppers, Geschäftsführer der Mülheimer Seniorendienste, auf Anfrage. Wohl aber Schätzungen, und danach wird es saftige Preissteigerungen geben, die auch die Bewohnerinnen und Bewohner der drei städtischen Altenheime treffen.
Insgesamt leben rund 380 Menschen in den stationären Einrichtungen Haus Gracht, Haus Kuhlendahl und Haus Auf dem Bruch. Bereits jetzt bekämen etwa zwei Drittel von ihnen, 60 bis 70 Prozent, Sozialhilfe oder Pflegewohngeld, so Keppers. Dieser Anteil dürfte in den nächsten Jahren steigen. Denn die Mülheimer Seniorendienste müssen nach ersten Berechnungen bis 2024 Mehrkosten in Höhe von rund drei Millionen Euro schultern, bedingt allein durch die Tariferhöhungen.
Mülheimer Seniorendienste erwarten Lohnsteigerungen in Millionenhöhe
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Laut Geschäftsführer betrug die Lohnsumme im Vorjahr (2022) rund 16,6 Millionen Euro. Durch die steuerfreien Energieprämienzahlungen, die nun für 2023 tariflich vereinbart wurden, kämen etwa 811.000 Euro hinzu. Da diese Kosten im Rahmen der Pflegesatzverhandlungen refinanziert würden, steigen die Eigenanteile monatlich um circa 150 bis 170 Euro. Im Jahr 2024 kämen dann durch diverse Lohnsteigerungen weitere 2,2 Millionen Euro jährlich hinzu. „2023 und 2024 kommen damit in Summe circa drei Millionen Euro Mehrkosten zusammen“, so Alexander Keppers. Dadurch würden die Eigenanteile in den städtischen Pflegeheimen im kommenden Jahr um weitere 400 Euro monatlich steigen, das wären insgesamt etwa 550 bis 570 Euro monatlich mehr im Vergleich zu 2022. Die Erhöhungen werden allerdings voraussichtlich in zwei Stufen erfolgen.
Mit weiteren Preiserhöhungen sei durch die gestiegenen Energiekosten und die allgemeinen Kostensteigerungen zu rechnen, so der Geschäftsführer. Aus Trägersicht seien sowohl Inflation als auch die hohe Tarifanpassung „externe Effekte“. Das bedeute: „Diese Kosten müssen im Rahmen von Pflegesatzverhandlungen weitergereicht werden.“
Pflegeheim-Kündigungen wohl nur in Einzelfällen
Für die Bewohnerinnen und Bewohner heißt das allerdings in der Regel nicht, dass sie künftig 550 Euro mehr für den Pflegeheimplatz zahlen müssen. Erstens werden viele alte Menschen jetzt schon durch staatliche Hilfe entlastet. Zweitens zahlen die Pflegekassen Leistungszuschläge an die stationären Einrichtungen, diese sind gestaffelt von fünf Prozent (Aufenthalt maximal zwölf Monate) bis 70 Prozent (Aufenthalt mehr als drei Jahre).
„Mit Kündigungen rechnen wir in Einzelfällen“, erklärt Keppers. Es dürfte selten passieren, zumal die pflegebedürftigen Menschen kaum Alternativen haben und auch Häuser anderer Träger ihre Preise erhöhen werden. „Wir gehen davon aus, dass kurz- bis mittelfristig auch die an die Tarife angelehnten privaten Träger diese Anpassungen vornehmen werden“, so der Chef der Mülheimer Seniorendienste.
Stadt Mülheim erwartet Preiserhöhungen mit zeitlicher Verzögerung
Wie gravierend die Preissteigerungen letztlich für die Bewohnerinnen und Bewohner werden, ist noch nicht ausgemacht. Ebenso lässt sich schwer abschätzen, wie viele Seniorinnen und Senioren, die stationär gepflegt werden, durch die Erhöhung der Eigenanteile künftig auf Sozialleistungen angewiesen sein werden. Von Seiten der Stadt Mülheim gibt es hierzu bislang nur vorsichtige Äußerungen. Man rechne mit Preiserhöhungen und Kostensteigerungen, könne dazu aber aktuell „keine belastbaren Aussagen treffen“, erklärt Stadtsprecherin Tanja Schwarze auf Anfrage.
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Entscheidend seien die Vergütungsverhandlungen, die der Landschaftsverband Rheinland (LVR) und die Pflegekassen mit den Einrichtungen führen. „Aus Erfahrung wissen wir, dass es dabei nach Tarifabschlüssen zu deutlichen Zeitverzögerungen kommt. Prognosen gibt der LVR erst wieder bei seiner jährlichen Versammlung zum Thema im Oktober/November 2023 ab.“
Eigenanteile steigen in allen Einrichtungen, nicht nur in städtischen Heimen
Alexander Keppers, Chef der Mülheimer Seniorendienste, stellt generell klar: „Grundsätzlich sind Pflegeeinrichtungen darauf angewiesen, diese Kosten vollumfänglich weiterzureichen, da in diesen Dimensionen keine Deckungsbeiträge erwirtschaftet werden.“ So hätten die Mülheimer Seniorendienste im Jahr 2022 eine Gesamtleistung von rund 26 Millionen Euro verzeichnet, bei einem Jahresüberschuss von nur 4000 Euro. Ohne Erhöhung der Pflegesätze drohten daher Verluste in Höhe der Tarifsteigerungen, sprich: rund drei Millionen Euro.
Dass perspektivisch nicht nur die Bewohner städtischer Einrichtungen betroffen sein werden, verdeutlicht Heinz-Jürgen Heiske, Geschäftsführer der katholischen Contilia Pflege und Betreuung GmbH, die in Mülheim vier Altenheime betreibt. Er teilt mit: „Der neue Mindestlohn, die allgemeinen Preissteigerungen sowie Tarifabschlüsse führen in allen Pflegeeinrichtungen zu erhöhten Entgelten und damit verbunden auch zu höheren Eigenanteilen.“