Mülheim. Im Projektbeirat zur „Parkstadt Mülheim“ sollen kritische Stimmen Gehör finden – eigentlich. Offenbar will der Beirat den Unmut gedeckelt wissen.

Bis zu 800 neue Wohnungen, bis zu 60 Meter hohe Hochhäuser sollen auf dem ehemaligen Tengelmann-Areal in Mülheim-Speldorf entstehen. Für die heiße Phase, in der der Bebauungsplan dafür reifen soll, hat die Stadtspitze hohe Transparenz versprochen. Doch Informationen aus dem Projektbeirat, in dem auch Vertreter der kritischen Bürgerschaft zur Mitwirkung eingeladen sind, fließen sehr spärlich.

Mittlerweile drei Sitzungen des Projektbeirates hat es gegeben: am 24. Januar, am 23. Februar und zuletzt am 22. März. Im Gremium kommen nicht nur Vertreterinnen und Vertreter von Stadtverwaltung, Investor Soravia und den drei großen Ratsfraktionen CDU, Grüne und SPD zusammen. Auch das Netzwerk „Parkstadt Mülheim… aber richtig!“, der Speldorfer Bürger- und Kurverein, die Interessengemeinschaft Speldorf, der Broicher Bürgerverein, die Broicher Interessengemeinschaft und zwei Mülheimer Architekten sind von der Stadt eingeladen zum Austausch und zur Diskussion.

Politische Debatten im Planungsausschuss blieben zuletzt aus

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Sich als Investor für ein solches Beteiligungsformat zu öffnen, ist durchaus ungewöhnlich; Bürgerbeteiligungen sind im Verfahren sonst nur zum Start und kurz vor dem Satzungsbeschluss (zwingend) vorzusehen. Angesichts der Projektdimension und der laut gewordenen Kritik an einer massiven Bebauung inmitten der umliegenden Wohnquartiere ist die kontinuierliche Beteiligung der Interessengruppen aber wohl auch der Versuch, den Bürgerfrust zu kanalisieren, damit sich dieser nicht ungehemmt in der Öffentlichkeit breitmacht. Möglichst geräuscharm soll ein Konsens ausgelotet werden.

Das ist offenbar auch ganz im Sinne der Mülheimer Politik, die sich Anfang Februar etwa bei der Berichterstattung von Planungsdezernent Felix Blasch aus der konstituierenden Sitzung des Projektbeirates betont zurückhielt mit Positionierungen. Dabei hatte Blasch nicht mehr öffentlich preisgegeben als den Willen zu unterstreichen, kritischen Stimmen in einem geordneten Verfahren Gehör verschaffen zu wollen.

Parkstadt Mülheim: Kodex verpflichtet Beiratsmitglieder zu Verschwiegenheit

Aus dem Hinterzimmer der Planungspolitik dringt jene Kritik aber nicht hervor. Lediglich für die erste Sitzung des Projektbeirates ist ein Protokoll veröffentlicht. Hierin zu finden: ein Verhaltenskodex, der die Teilnehmer verpflichten soll zu einem „vertrauensvollen Austausch“ – aber eben auch dazu, „keine Tonaufnahmen, Fotos oder Meldungen aus den laufenden Sitzungen per Social Media o.ä. an die Öffentlichkeit“ zu spielen.

Protokolle soll es geben, darin enthalten sein sollen ausdrücklich auch Kontroversen. Doch veröffentlicht ist auf der städtischen Homepage weiterhin nicht das Protokoll zur zweiten Sitzung, die nun schon mehr als einen Monat zurückliegt. Es gebe noch „Änderungsbedarf an dem Protokoll“, stellte Dezernent Blasch dazu jetzt auf Nachfrage fest. Das Protokoll werde noch ergänzt und „in den nächsten Tagen erneut zur Abstimmung an die Beteiligten versandt“. Heißt: Auch zur öffentlichen Sitzung des Planungsausschusses an diesem Dienstag werden keine weiteren Protokolle aus dem Beirat präsentiert.

Parkstadt Mülheim – hier weitere Berichte

Netzwerk will nicht, dass Beirat als „Klüngelclub“ wahrgenommen wird

Zwei Presseverlautbarungen, die die Stadt zur ersten und zweiten Beiratssitzung herausgegeben hat, kratzen nicht mehr als an der Oberfläche. Es seien „unterschiedliche Perspektiven auf das Projekt und damit verbundene Themen erläutert und diskutiert“ worden, hieß es darin sehr vage oder, dass „Missverständnisse aus dem Weg geräumt und offene Fragen beantwortet“ worden seien. „Zudem wurde die Einfügung in die Struktur und Dichte bzw. Maßstäblichkeit des Stadtteils thematisiert“. . .

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Schon diese zweite Pressemitteilung soll die Stadt nicht mehr mit den Bürger-Organisationen abgestimmt haben. Das Netzwerk „Parkstadt Mülheim. . . aber richtig!“ ist bekanntlich angetreten für eine deutlich abgespeckte Bebauung des Areals, hat über eine Online-Petition mehr als 4000 Mülheimerinnen und Mülheimer hinter seinem Anliegen versammelt. Reiner Geßwein, der an der Hermannstraße wohnt, vertritt das Netzwerk im Projektbeirat und steht nun vor der Herausforderung, einerseits die Kritik der Anwohnerschaft in der Öffentlichkeit zu vertreten, andererseits sich an den Kodex des Beirats zu halten. Ein Spagat, für den er ausdrücklich betont, dass Transparenz „eines unserer vorrangigen Anliegen“ bleibe, damit der Beirat nicht als „Klüngelclub“ abgetan werde.

Mülheimer Netzwerk fordert breite öffentliche Diskussion ein

Setzen sich im Netzwerk „Parkstadt Mülheim. . . aber richtig!“ für eine deutlich weniger massive Bebauung des ehemaligen Tengelmann-Areals ein: (v.l.) Reiner Geßwein, Gerald Lux und Joachim Mahrholdt.
Setzen sich im Netzwerk „Parkstadt Mülheim. . . aber richtig!“ für eine deutlich weniger massive Bebauung des ehemaligen Tengelmann-Areals ein: (v.l.) Reiner Geßwein, Gerald Lux und Joachim Mahrholdt. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Das Netzwerk fordert Grundlagendaten bei der Stadt ein, etwa wartet es weiter auf die Zusammenfassung der Bürgerbeteiligung aus September 2022, die immer noch nicht veröffentlicht ist. Zunehmend wächst das Misstrauen gegenüber der Beteiligung im Beirat. „Dieser Beirat hat überhaupt kein Mandat“, sagt etwa Netzwerk-Vertreter Joachim Mahrholdt. Geßwein ergänzt, dass der Austausch im Gremium zwar begrüßenswert sei. Es dürfe aber nicht darum gehen, fernab einer öffentlichen Diskussion dort Kompromisse vorzubereiten, die später nur noch politisch abgenickt würden. „Alles ist dezidiert durchzuarbeiten“, fordert Geßwein etwa auch ein, dass die Politik „irgendwann mal übers Stöckchen springen und sich positionieren muss“.

Das Netzwerk versucht aktuell, über seine eigene Homepage, erreichbar unter www.parkstadt-muelheim-aber-richtig.de, selbst möglichst breit zum Projekt und über Alternativen zu informieren. Mahrholdt und Geßwein sehen die Gefahr, dass die Stadtverwaltung mit ihrem personell beschränkten Planungsdezernat überfordert sein könnte, Investor Soravia derart die Stirn zu bieten, dass nicht nur er Profit macht, sondern dieser auch herausspringt für die Stadtentwicklung im Ganzen und für die Nachbarschaft in Speldorf und Broich im Speziellen. Die Stadt müsse „wachwerden“, die Politik müsse sich tiefgehender mit der Materie beschäftigen.

So präsentierte Investor Soravia im September 2022 seine Pläne für die „Parkstadt Mülheim“. Die bis zu 60 Meter hohen Hochhäuser, die an Ort und Stelle des heutigen Technikums geplant sind, werden hier in ihrer Massivität nicht deutlich.
So präsentierte Investor Soravia im September 2022 seine Pläne für die „Parkstadt Mülheim“. Die bis zu 60 Meter hohen Hochhäuser, die an Ort und Stelle des heutigen Technikums geplant sind, werden hier in ihrer Massivität nicht deutlich. © Soravia

Parkstadt Mülheim: Überarbeiteter Entwurf soll wohl erst im Sommer vorliegen

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Planungsdezernent Blasch hingegen äußert sich zuversichtlicher. Der Projektbeirat biete die Möglichkeit, „bisherige Planungsschritte zu hinterfragen, Informationen zu teilen, Planungsgrundlagen gemeinsam zu besprechen, Ergebnisse von Gutachten zu diskutieren, weitere Anregungen einzubringen und letztlich auch dazu, die Veränderung des städtebaulichen Entwurfes vorzunehmen“. Die Mitglieder des Beirates sieht er als Multiplikatoren, die Informationen zum Verfahren an interessierte Bürger weitergeben.

Mülheims Baudezernent Felix Blasch
Mülheims Baudezernent Felix Blasch © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Der Bebauungsplanentwurf ist weiter im Stadium der Überarbeitung. Aufgrund der Komplexität und Größe des Vorhabens sei dies „nicht innerhalb von wenigen Wochen“ möglich. Nach Anregung aus dem Projektbeirat werde man die Planungsgrundlagen noch durch weitere Gutachten und Informationen ergänzen, geht Blasch aktuell davon aus, voraussichtlich erst im Sommer einen angepassten Entwurf in die Diskussion einbringen zu können.