Mülheim. Da steht plötzlich die Feuerwehr an der Tür und erklärt die eigene Wohnung für unbewohnbar. So passiert jetzt in Mülheim-Styrum. Der Hintergrund.
Schreck in der Morgenstunde für die Bewohner des Hauses Moritzstraße 68 in Styrum. Überrascht werden sie an jenem Tag von einer Brandverhütungsschau der Feuerwehr, die ihnen nicht angekündigt worden ist. Wirklich ernst wird es wenig später. Die Bauaufsicht erklärt Inhabern von Eigentumswohnungen im dritten und vierten Stock, dass sie innerhalb von drei Stunden ausziehen müssten.
„Meine Frau rief mich an. Ich habe dann sofort freigenommen und bin hergekommen, um mich um die Sache zu kümmern und mit unserem Verwalter von Haus & Grund Kontakt aufzunehmen“, erzählt Abdullah Yener. Schließlich habe er zwei kleine Kinder (zwei Jahre, fünf Monate). So Hals über Kopf raus aus den eigenen vier Wänden – schwierig für die vierköpfige Familie. Wo sollen sie so schnell unterkommen? Die Wohnung soll wohl verplombt werden. „Dann kommt man ja an nichts mehr dran.“
Bewohner des Mülheimer Hauses von Brandschau komplett überrascht
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Dieter Korbmacher wohnt in der zweiten Etage, darf in seiner Wohnung bleiben. Er wundert sich aber, warum man seinen Nachbarn nicht mehr Zeit geben kann. Und warum sofort Gartenbauer anrücken und Teile des Zauns rund um ihr Grundstück abreißen. „Man hat uns erklärt, dass die Zufahrt für die Feuerwehr ansonsten nicht gegeben ist.“ Überrascht quittieren die Bewohner auch, dass hinter dem Haus Platten gelegt werden müssen, „falls ein Feuerwehrwagen mal dort halten und seine Drehleiter ausfahren muss“.
Jenseits des früheren Zauns (neben den Wegen), so erläutert die Bauaufsicht, liegen Rasengittersteine, die von Gras überwuchert und daher seit langem nicht mehr zu sehen sind. „Wir haben gar nicht gewusst, dass die da liegen und dabei wohnen wir schon über 30 Jahre hier“, sagt Dieter Korbmacher. „Wir sind 2019 hier eingezogen, da war das alles schon so. Die Thematik kam nie auf“, berichtet Abdullah Yener.
Erst am späten Nachmittag kommt die Entwarnung: Bewohner dürfen bleiben
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Nun müssen die Rasengittersteine freigelegt, der Zaun an dieser Stelle versetzt werden. Bis all das fertiggestellt ist, muss auf der Rückseite des Hauses ein Gerüst aufgestellt werden, damit die Bewohner des dritten und vierten Obergeschosses fliehen können, sollte ein Feuer ausbrechen. Dieses Gerüst kann an jenem Mittwochnachmittag aber nicht mehr errichtet werden. Daher sollen die Bewohner raus aus ihren Wohnungen, eine von ihnen weiß noch gar nicht davon, kann telefonisch nicht erreicht werden.
Am späten Nachmittag kommt dann doch Entwarnung: Der Verwalter und ein Mitarbeiter der Bauaufsicht haben eine andere Lösung gefunden – ein Security-Dienst wird beauftragt, über Nacht im Hausflur Wache zu schieben und es zu melden, falls ein Feuer ausbricht. Die Kosten dafür, für das Gerüst und alle Arbeiten müssen die Wohnungseigentümer selbst tragen. Schon tagsdrauf sind Gerüstbauer am Werk, um den notdürftigen Brandschutz sicherzustellen.
Brandschutz: Gesetz schreibt regelmäßige Prüfung bestimmter Gebäude vor
Für die städtische Bauaufsicht erklärte deren Leiter Axel Booß im Nachgang das Prozedere. Jene Überprüfung des Wohngebäudes sei rechtlich verpflichtend, geregelt im Gesetz über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG). Dort heißt es in Paragraf 26, dass eine Brandverhütungsschau durch die Feuerwehr spätestens alle sechs Jahre in Gebäuden vorzunehmen ist, in denen eine große Anzahl von Personen bei einem Brand gefährdet wäre.
Für die Feuerwehr konkretisierte Sprecher Florian Lappe, dass „nach örtlicher Gefährdungsanalyse Wohngebäude mit fünf und mehr Obergeschossen regelmäßig der Brandverhütungsschaupflicht unterliegen, sofern diese Gebäude zum Beispiel über notwendige Feuerwehrzufahrten und Feuerwehr-Aufstellflächen zur Sicherstellung des erforderlichen zweiten Rettungsweges verfügen, über Löschwassereinrichtungen (zum Beispiel Steigleitung) [...] oder über bei der Feuerwehr aufgeschaltete Brandmeldeanlagen“.
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Bauaufsicht: Wir müssen bei Gefahr in Verzug handeln, wir sind persönlich haftbar
Schon bei einem früheren Fall hatte Booß als oberster Bauaufseher der Stadt erklärt, dass seiner Behörde bei gravierenden brandschutztechnischen Mängeln, die im Fall der Fälle Todesgefahr bedeuten könnten, wegen Gefahr in Verzug gar nicht anders könne, als betroffene Bewohner kurzfristig zur Räumung aufzufordern, wenn man die Situation bis zur Beseitigung der Mängel – wie in Styrum geschehen – nicht mit Behelfslösungen entschärfen könne. Bleibe die Bauaufsicht in solchen Fällen untätig, könnten Mitarbeitende persönlich haftbar gemacht werden.
An der Moritzstraße in Styrum, so stellte Booß noch einmal dezidierter dar, sei der Brandschutz für einige (nicht alle) Wohnungen in den oberen Etagen nicht gegeben gewesen, weil frühere Feuerwehr-Zufahrten über- und zugewachsen seien oder Zäune den Weg versperrt hätten. In dem Haus, einem Vierspänner, in dem sich um den zentralen Hausflur je Etage vier Wohnungen reihten, seien die nord- und südwestlich sowie die südöstlichen Wohnungen ab dem 3. Obergeschoss im Brandfall nicht erreichbar gewesen.
Auf die Mülheimer Wohnungseigentümer kommen nun einige Kosten zu
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Mit dem Aufstellen der Gerüsttreppe als zweiten Rettungsweg, was bereits am Donnerstag angegangen worden sei, müsse nun niemand seine Wohnung verlassen. Die Hausverwaltung habe nun die Möglichkeit, neue Feuerwehr-Zufahrten und Aufstellflächen zu planen und zu errichten. Erst danach könne die Gerüsttreppe wieder abgebaut werden. Die Hausverwaltung dürfte dies nun in Eile angehen, um die Kosten für die Wohnungseigentümer so gering wie möglich zu halten.
„Brandverhütungsschauen sind laufendes Geschäft der Feuerwehr. Eine Terminabstimmung erfolgt von Seiten der Feuerwehr mit der Hausverwaltung“, sagt Booß zum Ärger der Bewohner darüber, dass die Feuerwehr plötzlich vor der Tür gestanden habe. Die Feuerwehr könne es nicht leisten, alle Bewohnerinnen und Bewohner zu informieren. Das sei dann Sache der Hausverwaltung.