Mülheim. Pfarrer Pfeiffer nimmt Geflüchtete bei sich auf. Warum er jedem rät, es ihm gleichzutun, und was aus seinem ersten Mülheimer Schützling wurde.
Im Jahr 2015 begeben sich zwei Menschen auf eine Reise, die ihr Leben verändert. Einer von ihnen ist Pfarrer Christoph Pfeiffer. 17 Jahre ist er Seelsorger in Dormagen gewesen, hat in Bahnhofsnähe gelebt, in einem Brennpunkt gearbeitet, danach kurze Zeit in Wuppertal. In jenem Jahr zieht es ihn nach Mülheim-Saarn, in das alte Pfarrhaus mit dem verwunschenen Garten direkt gegenüber der urigen Dorfkirche. Ein neues Leben wird es sein, ganz anders als zuvor. Auch hier wird Christoph Pfeiffer an sieben Tagen in der Woche seinem Beruf nachgehen, der immer auch Berufung ist. Aber die Bahnhofsszene ist in Saarn weit weg.
5000 Kilometer entfernt im Iran. Auch dort macht sich ein junger Mann auf eine Reise. Er ist bereit, alles hinter sich zu lassen, was er kennt. Er schließt sein Geschäft ein letztes Mal ab. 19 Jahre ist er alt. Mit 16 hat er angefangen zu arbeiten. Mit 18 hat er seinen Handyladen aufgemacht, Verkauf und Reparatur. „Ich war so stolz auf meinen Laden“, sagt Reza heute. Auch bei ihm ist es der Glaube, der ihn fortträgt, nur auf eine ganz andere Weise. Reza, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung nennen mag, möchte zum Christentum übertreten. In einem Regime, dem wir gerade jetzt dabei zusehen, wie es Menschen foltert und tötet, die gegen ein selbst aufgestelltes muslimisches Sittengesetz verstoßen. Und seine sunnitische Familie? „Ich hatte Fragen, die sie nicht beantworten konnte“, sagt er dazu.
Ein Jahr später steht der junge Mann vor einer Tür in Mülheim-Saarn
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Als der arabische Frühling ausbricht, zieht es ihn mit dem Strom der Flüchtlinge fort. Immer in der Hoffnung, einen Ort zu finden, an dem er sicher ist, denn er weiß: „Bei Ungerechtigkeit kann ich meinen Mund nicht halten, aber im Iran musste ich Mund und Augen zumachen.“
Pfarrer Christoph Pfeiffer und Reza, der heute 26 ist, wären sich nie begegnet. Doch ein Jahr später steht Reza vor der Tür von Christoph Pfeiffer an der Holunderstraße in Saarn und findet Zuflucht im Pfarrhaus. Kennengelernt hatten sie sich in der Flüchtlingsunterkunft am Haus Jugendgroschen. „Er war immer mit einem Fahrrad unterwegs und irgendwann war das Fahrrad kaputt.“ Reza erzählt ihm von Konflikten mit muslimischen Geflüchteten wegen seines christlichen Glaubens. „Wir hatten nichts zu tun, lebten zu viert in einem Raum. Wir sollten dankbar sein, überhaupt dort zu sein, aber das war psychisch schwer auszuhalten“, sagt Reza heute über diese Zeit.
Obdach gewähren - das beschäftigt uns vor allem an Weihnachten
Pfarrer Christoph Pfeiffer taufte ihn damals und als er von seinen Problemen erfuhr, bot er ihm Zuflucht im Pfarrhaus an. „Das war mein Glück. Ich hatte endlich Ruhe, konnte Deutsch lernen. Die Sprache war der Schlüssel zu allem anderen“, erinnert sich Reza, der inzwischen einen gesicherten Aufenthaltsstatus hat.
Einem Fremden nach beschwerlicher Reise Obdach gewähren. Das ist ein Gedanke, der uns gerade an Weihnachten beschäftigt. Wem machen wir die Tür auf? Für wen ist Platz? Eigentlich beschäftigen uns diese Fragen als Gesellschaft immer wieder. Viele Menschen haben mit Beginn des Ukraine-Krieges beschlossen, Frauen und Kinder bei sich aufzunehmen und haben ihr eigenes Heim zu einem sicheren Ort für andere gemacht. Aber wie schafft man das? Wie behält man seine Privatsphäre? Wie verträgt sich das mit dem eigenen Gefühl von Sicherheit?
Aufnehmen und Schutz bieten – Mülheimer Pfarrer bezeichnet es als seine Berufung
Pfarrer Pfeiffer kann über all das viel erzählen, denn er hat schon in Dormagen immer wieder Menschen aufgenommen. Damals waren es Drogenabhängige, die den Weg zurück in ein geregeltes Leben finden wollten. „Das ist meine Berufung“, sagt er mit tiefem Ernst. Berufung, sagt er, das ist nicht etwas, was ein permanentes Hochgefühl verschafft, und nichts, was man sich selbst aussucht. Das ist eine Aufgabe, die einem das Leben stellt.
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Der Alleinstehende hat viele Aufgaben bewältigt in der Zeit in Dormagen. Immer wieder kam es unter den Obdachsuchenden zu Konflikten, Rückfällen, auch zu Beschaffungskriminalität. Aber aufgeben? Da ist der Seelsorger kompromisslos. „Ein Pfarrhaus ist ein Zufluchtsort. Jeder kann kommen, der Schutz braucht.“ Aber es muss Regeln geben und die müssen jedem klar sein. „Wer bei mir Zuflucht sucht, muss sich am Haushalt beteiligen, Hygiene ist wichtig, und sie müssen sich um Arbeit bemühen.“
Der Pfarrer hilft beim Papierkram und erklärt, wie die Deutschen ticken
In Saarn hat Pfeiffer immer wieder geflüchtete Männer aufgenommen und „nur positive Erfahrungen“ gemacht. Jeder habe Fuß gefasst und sei inzwischen in Lohn und Brot. „Ich rate jedem, ein halbes Jahr lang Geflüchtete bei sich aufzunehmen und es wie einen Schüleraustausch zu betrachten. Sie verlieren jede Berührungsangst vor fremden Kulturen“, sagt er.
Drei möblierte Gästezimmer stehen im Pfarrhaus für Menschen in Not bereit. Dazu ein eigenes Bad und eine Gemeinschaftsküche. Pfarrer Christoph Pfeiffer hilft beim Papierkram und erklärt ganz simpel, wie die Deutschen ticken. „Viele Konflikte im Miteinander entstehen, weil niemand den Geflüchteten erklärt, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Wenn es noch einen Schaffner im Bus gäbe, könnte er den Menschen erklären, was sich gehört und was nicht.“
Die wichtigste Regel lautet: Das Wohnen im Mülheimer Pfarrhaus ist kein Dauerzustand
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Die allerwichtigste Regel im Pfarrhaus lautet: „Richte dich nicht häuslich ein, das wird kein Dauerzustand.“ Reza blieb ein halbes Jahrs. Christoph Pfeiffer half ihm dabei, eine eigene Wohnung zu finden und legte ein gutes Wort für ihn ein. Inzwischen macht Reza eine Ausbildung zum IT-Elektroniker.
Im Moment ist es ruhiger geworden an der Holunderstraße. Doch immer wieder werden sich Menschen irgendwo auf der Welt auf die Reise machen, vielleicht gerade jetzt. Und diejenigen, die nirgendwo anders Schutz finden, dürfen auch weiterhin an die Tür des Pfarrhauses klopfen. Und Reza? Der hat sich darauf eingestellt, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Aber manchmal, da träumt er noch von seinem Laden. „Ich wache auf und denke: Gleich schließe ich die Ladentür auf.“ Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Das singen wir auch heute wieder. Manche machen es tatsächlich.