Mülheim. Mülheims Verwaltung steckt in einer tiefen Personalkrise: Schlechtere Arbeitsbedingungen und undurchsichtige Beförderungen sorgen für Unmut.

Es murrt nicht nur in Mülheims Verwaltung, es herrscht sogar enormer Unmut über unbesetzte Stellen und die daraus resultierende Arbeitsverdichtung. Betroffen sind etliche Verwaltungsbereiche von der IT bis zur Bauplanung und der Ausländerbehörde. Die Folge? Nicht nur drängende Entwicklungen etwa der Innenstadt, des Verkehrs und Klimas bleiben liegen und Mülheims Ruf leidet, sondern Mitarbeiter zieht es in andere Städte, wo sie bessere Bedingungen finden. Der Frust hat viele Gründe, auch eine undurchsichtige Beförderungspolitik angesichts eines nunmehr dreijährigen Krisenmodus beklagt mancher.

Keine Frage: Mülheim steckt in einer tiefen Personalkrise. Zur Personalversammlung der Stadt Mülheim vor einigen Tagen nahm der Personalratsvorsitzende Dirk Neubner kein Blatt vor den Mund: Seit drei Jahren seien die städtischen Beschäftigten einer dauerhaften Belastung ausgesetzt – „Zeit zum Durchpusten? Fehlanzeige. Glauben wir, eine Krise bewältigt zu haben, schlittern wir ungebremst in die nächste“, resümierte Neubner in der Versammlung. Denn die Personaldecke sei zu dünn, weil Stellen unbesetzt blieben und Fachpersonal sich selbst auf ausgeschriebene Personalverstärkungen nicht bewerben würde.

Betroffen vom Fachkräftemangel: Von IT bis Ausländerbehörde

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Die so steigende Arbeitsbelastung führe zu krankheitsbedingten Ausfällen und Überstunden. Betroffen sind etwa das Sozialamt, Jobcenter, Ausländeramt, Amt für Kinder, Jugend und Schule, Gesundheitsamt, zählte Neubner auf. Aber auch Tiefbauamt, Planung, Immobilienmanagement. Die Lage im Rathaus sei „ernüchternd“ denn im vergangenen Jahr 2021 blieben 470 Stellen und damit jede fünfte unbesetzt. In den kommenden Jahren werden zudem 35 Prozent der Beschäftigten die Verwaltung aufgrund des demografischen Wandels verlassen. „Wir haben ein ausgewachsenes Problem, geeignetes und qualifiziertes Personal zu finden“, stellte Neubner fest.

Doch das ist nur die Spitze des Eisberges: „Darüber hinaus haben wir das Problem, unser eigenes zu halten“, machte der Personalratsvorsitzende deutlich: „Wir laufen auf eine nachhaltige Personalkrise zu, wenn wir nicht beizeiten gegensteuern.“

Klebeeffekte durch Verbeamtung, ÖPNV-Ticket und „frisches Obst aus der Region“

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Nur wie? 3,5 Millionen Euro müsse die Stadt noch im Bereich Personal bis Ende 2023 einsparen – so ist es im sogenannten Stärkungspakt für die Kommunen festgelegt. Doch der Pakt hat die Verwaltung spürbar geschwächt. Für Neubner könnten diese Einsparungen nicht absurder sein: „Was wir derzeit brauchen, ist eine Strategie, um Personal zu gewinnen und zu halten. Solche Maßnahmen erfordern finanzielle Aufwendungen.“

Denn Bewerber könnten es sich inzwischen aussuchen, wie viel Geld sie verdienen möchten. Besonders im Bereich Technik und IT. Und wesentlicher noch: wo sie es verdienen wollen.

Ein sichtbares Zeichen der städtischen Personalkrise sind die andauernden langen Menschenschlangen vor dem Ausländeramt an der Leineweberstraße in diesem Jahr und auch in den Jahren zuvor.
Ein sichtbares Zeichen der städtischen Personalkrise sind die andauernden langen Menschenschlangen vor dem Ausländeramt an der Leineweberstraße in diesem Jahr und auch in den Jahren zuvor. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Offenbar nicht in erster Linie in Mülheim: Bei Fragen zur Verbeamtung, zum Homeoffice, zu vergünstigten Nahverkehrstickets, Fahrradleasing liege die Stadt im Hintertreffen oder bei einem „kostenlosen Angebot aus frischem Obst – klimaneutral und nachhaltig aus der Region. Kann belächelt werden, ist aber schon Standard bei einigen Arbeitgebern“, betont Neubner. Es gehe um die Gewinnung und Haltung des Personals, „den Klebeeffekt nach der Ausbildung zu erhöhen und die Identität mit unserem Rathaus zu festigen“.

Probleme auch beim Nachwuchs

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Kleben allerdings bleiben auch die Auszubildenden nur überwiegend: 63 Prozent – konkret 45 von 72 – Azubis waren im gehobenen Dienst (Bachelor of Laws) im vergangenen Jahr noch übrig, obwohl Mülheim grundsätzlich jeden übernimmt, der die Prüfung besteht. Andere Städte sind weitaus weniger „großzügig“.

Doch selbst hier bestätigte der Vorsitz der Jugend- und Ausbildendenvertretung, dass die meisten Azubis bei einer Befragung angegeben hatten, schon einmal über einen Abgang nachgedacht zu haben. Mülheim sei zwar „ein wenig entspannter und freundlicher“ als andere Städte wie Essen. Doch an erster Stelle entscheiden sich junge Leute nach anderen Kriterien: Verbeamtung, Mitspracherecht, die Möglichkeit von Homeoffice, kostenloses ÖPNV-Ticket und die Frage, ob die Stelle gefällt.

Und hier habe Mülheim gegenüber anderen Städte wie Essen, Oberhausen, Leverkusen oder Hamm immer wieder das Nachsehen, wie die Jugend- und Ausbildendenvertretung durch ihre Analysen bestätigt sieht.

Anreize sorgen für Frust bei Alteingesessenen

Für den Anreiz und „Klebeeffekt“ bei zu neu besetzenden Stellen gewährt die Stadt inzwischen Fachkräftezulagen im Bereich der technischen Berufe und im Immobilienmanagement. Doch gerade hier fehlt den langjährigen Mitarbeitenden das Augenmaß: Ein zusätzliches Dezernat mit Referenten und Vorzimmer stieß in den unteren Gehaltsgruppen sauer auf, wo man Beförderungen verzögert sah. Und auch die Zulagen für „die Neuen“ sorgen für Unmut, wie Mitarbeitende gegenüber der Redaktion angeben.

„Die Reaktionen liegen auf der Hand: Es entsteht Frust, der Wechselwille zu anderen Arbeitgebern wird entfacht oder es werden Bewerbungen im eigenen Hause hervorgerufen, die anderswo Vakanzen entstehen lassen“, bestätigte ebenso Neubner auf der Personalversammlung.

Thema „Verbeamtung“ soll erneut diskutiert werden

Dem Vorwurf der „Mauschelei“ bei den Beförderungen tritt Neubner gegenüber der Redaktion jedoch deutlich entgegen: „In der Verwaltung entscheidet eine von Personalrat und Verwaltungsvorstand paritätisch besetzte Kommission. Entscheidend sind Bewertungskriterien auf Basis der Tarifverträge.“ Zu den Bewertungsmaßstäben gehören etwa die Größe von Bereichen sowie die Zuschnitte von Aufgaben. In Einzelfällen könnte es aber passieren, dass Mitarbeiter befördert werden und später Aufgaben verändert werden. Die Beförderung aber bleibe – ähnlich wie in der Privatwirtschaft – dann bestehen.

Verluste bei den Neuzuwächsen, Missmut und Abgang beim alteingesessenen Fachpersonal, 20 Prozent an unbesetzten Stellen – für den Personalratsvorstand ist klar, wohin die Reise künftig gehen muss: „Wir brauchen eine Strategie und ein Alleinstellungsmerkmal für Mülheim. Die Arbeitgeberin muss ihr Profil schärfen, um Personal zu gewinnen und zu halten.“ Dafür will Neubner auch das in der Kämmerei unbeliebte Thema „Verbeamtung“ neu anpacken, so dass übernommene Azubis im gehobenen Dienst zumindest die Wahl haben sollten. „Eine Nachwuchskraft, die uns verlässt, weil wir nicht verbeamten, ist eine zu viel“, mahnt der Personalratsvorsitzende. Erste Gespräche mit Oberbürgermeister Marc Buchholz seien auf offene Ohren gestoßen.