Mülheim. Einige Neuerungen birgt der aktuelle Entwurf für den Mülheimer Nahverkehr – und Fragen. Woran ein Beschluss noch in diesem Jahr scheitern kann.

Seit gut drei Jahren ringen Politik und Stadtverwaltung um ein neues Nahverkehrskonzept, das vor allem Geld sparen und trotzdem schnell und bequem zum Ziel führen soll. Die aber könnten schon wieder überholt sein. Denn spätestens die Energiekrise hat mit dem Neun-Euro-Ticket die Frage nach ,attraktiven’ Bus- und Bahnverbindungen völlig neu gestellt. Am ÖPNV zu sparen läuft aktuell völlig gegen einen bundesweiten Trend, den öffentlichen Nahverkehr eher auszubauen. Vergibt Mülheim die Chance auf eine Verkehrswende?

Axel Hercher, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen, sieht zumindest zukünftig schnellere Verbesserungsmöglichkeiten gegeben, weil man das Mülheimer Netz im neuen Plan strenger in Hauptlinien sowie Nebenlinien unterteilt habe, die diese Hauptstränge bedienen sollen. Über angepasste Taktzeiten etwa könne man Busse und Bahnen künftig häufiger fahren lassen, wenn sich der Bedarf zeige. Voraussetzung sei aber weiterhin, dass Bund und Land auch mehr Mittel für eine Verkehrswende zur Verfügung stellen, so Hercher.

Neuheit Ringbusse soll Nachfrage steigern

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Auch in anderen Bereichen erkennt der Grüne ein Zukunftspotenzial: Immerhin ist die als lukrativ bewertete Bahn nach Saarn im aktuellen Entwurf nur für den ÖPNV-Bedarfsplan der Landesregierung vorgeschlagen. Von dem konkreteren neuen Ringbusverkehr, der künftig als Linie 129 und 139 in zwei Halbkreisen quer durch die Stadtteile im Mülheimer Norden und Süden führen soll, verspricht sich Hercher aber eine steigende Nachfrage.

Auch sieht der Grüne Verkehrsexperte durchaus positive Anpassungen an aktuelle Bedarfe, die durch eine Bürgerbefragung zutage kamen: So soll etwa die Linie 151 nicht mehr eingestellt werden, sondern künftig vom Heißener Rhein-Ruhr-Zentrum bis zum Kettwiger Markt führen. Da auf der Route ein Altenheim liegt, soll zumindest ein Stundentakt bestehen bleiben, wenn auch wohl nur für eine gewisse Zeit am Tag.

Kahlenberg-Ast Mülheim: als Bahn Geschichte, als Bus aber weiter gedacht als bisher

Die umstrittene Kappung der Linie 104 vor dem Kahlenberg-Ast steht im Plan nun fest. Sie soll an der Wertgasse enden. Von dort aus jedoch soll die Buslinie 130 weiter die Strecke bedienen: Der Kahlenberg-Ast werde nicht aufgegeben, versichert der Plan.

Im März 2022 hatten SPD und Tramvia vehement gegen eine Streichung der Linie 104 auf dem Kahlenberg-Ast protestiert, v.l.: Andre Kasberger (SPD-Fraktion), Rainer Nelbach (Tramvia), Michael Bolder (Tramvia) und der Landtagsabgeordnete Rodion Bakum.
Im März 2022 hatten SPD und Tramvia vehement gegen eine Streichung der Linie 104 auf dem Kahlenberg-Ast protestiert, v.l.: Andre Kasberger (SPD-Fraktion), Rainer Nelbach (Tramvia), Michael Bolder (Tramvia) und der Landtagsabgeordnete Rodion Bakum. © FUNKE / Foto Services | Gerd Wallhorn

Die Buslinie 130 macht zudem am Kahlenberg ganz neue Direktverbindungen auf: So sind die Anwohner in Richtung Innenstadt direkt an den Hauptbahnhof angeschlossen sowie in Gegenrichtung an den Hauptfriedhof, Flughafen und das Rhein-Ruhr-Zentrum.

So will Mülheim das Busfahren attraktiver machen

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Als Gewinn für den Mülheimer ÖPNV werten die Planer auch die Maßnahmen für die Infrastruktur: Neben drei Mobilstationen schon in diesem Jahr, soll der Nahverkehr durch verschiedene Maßnahmen beschleunigt werden. Dazu zählen etwa Busspuren, Grüne Welle oder dass Fahrer keine Fahrscheine mehr verkaufen sollen. Ebenso soll die Umstellung auf Wasserstoffbusse – schon ab 2024 sollen sechs, danach bis 2033 jährlich etwa vier hinzukommen – die Attraktivität des Nahverkehrs verbessern.

Mit einem Dienstleistungsauftrag will Mülheim verbindliche Qualitätsziele mit der Ruhrbahn vereinbaren und diese jährlich überprüfen. Dazu zählen etwa Grenzwerte für Fußwegentfernungen zu Haltestellen von 300 Metern Luftlinie, eine maximale Fahrzeit zwischen Innenstadt und Stadtbezirkszentren von zwölf Minuten, und eine maximale Umsteigezeit zwischen Straßenbahn und Bus sowie Bus und Bus von fünf und drei Minuten.

So bricht die Neuaufstellung der Buslinien mit alten Gewohnheiten, doch insgesamt, so heißt es im Entwurf, rechne man mit geringen Kundenverlusten von nur einem Prozent.

SPD Mülheim sieht Probleme im Grundsätzlichen und in Details

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Ein Beschluss für einen neuen Nahverkehrsplan bis Ende 2022 scheint dennoch eine knappe Sache zu werden. Auch deshalb, weil im Mobilitätsausschuss, wo der neuste Stand vorgestellt wurde, Corona und Energiekrise für die SPD ein Anlass waren, dem neusten Entwurf so nicht zustimmen zu wollen. Eigentlich müsste man in den Nahverkehr investieren, statt zu streichen, kritisierte sie.

Sprecher André Kasberger meldete zudem etliche Veränderungswünsche etwa auf verschiedenen Linien an. So sollte die Linie 753 von Selbeck nicht in Saarn enden, sondern wenigstens bis zum Friedhof Broich geführt werden. Denn dort sei auch eine Infrastruktur gegeben, damit ein Fahrer Pause machen könne. „Wir haben uns Gedanken gemacht“, wies Carsten Trojahn (SPD) den Vorwurf zurück, in die Fundamentalopposition zu gehen. Die SPD kritisierte außerdem einen nach der Neuaufstellung weiterhin vorhandenen Parallelverkehr der Buslinie 130 und der Bahn 112 auf der Zeppelinstraße sowie den Nachtexpressverkehr insbesondere nach Essen-Kettwig.

Im vergangenen Sommer hatten CDU und Grüne Vorschläge für den Nahverkehr eingereicht, welche die Stadt eingearbeitet hat. Der Grüne Timo Spors zeigt den damaligen Plan der Linienführung.
Im vergangenen Sommer hatten CDU und Grüne Vorschläge für den Nahverkehr eingereicht, welche die Stadt eingearbeitet hat. Der Grüne Timo Spors zeigt den damaligen Plan der Linienführung. © Dennis Vollmer

Auch für Mülheims CDU und Grüne stellen sich noch viele Fragen

Zu viel ist aber auch aus Sicht der Koalition der CDU und Grünen noch zu klären: Wie sind die Taktzeiten für die einzelnen Bus- und Straßenbahnlinien genau? Und wie sind diese an Wochenenden geplant? Die konkreten Liniensteckbriefe aber will die Stadt erst nach einem Beschluss vorlegen. Für Axel Hercher ist dagegen diese Frage für einen Beschluss essenziell, denn das neue System verlangt mehr Umstiege, um zum Ziel zu kommen und ist deshalb mehr denn je darauf angewiesen, dass Anschlüsse gut abgestimmt sind.

Ferner sollten ursprünglich mehr On-Demand-Busse im Nachtverkehr eingesetzt werden. Davon aber ist im Plan nunmehr keine Rede mehr, stattdessen warnte die mit der Planerstellung beauftragte Ingenieursgruppe IVV sogar vor On-Demand-Alternativen, die weitaus weniger kostendeckend führen (zwischen zehn und 20 Prozent) als der normale ÖPNV (bis zu 60 Prozent).

Beschluss noch in diesem Jahr wird eine knappe Sache

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Von der Umbenennung von Haltestellen bis hin zum Wlan-Angebot in Bussen fehlten den Grünen im NVP-Entwurf notwendige Antworten zu Fragen, die sie bereits im September auf drei DIN-A4-Seiten eingereicht hatten, jedoch bis heute nicht in den Entwurf eingeflossen sind. Die Zeit aber tickt.

Um noch in diesem Jahr zu einem Beschluss zu kommen, dieser ist Voraussetzung für eine Umsetzung bis Sommer 2023, müssten die Antworten wohl zeitnah vorliegen. Denn nicht nur soll der Nahverkehr in den drei Bezirksvertretungen besprochen werden, sondern auch im Mobilitätsausschuss am 1. Dezember. Ohne Vorberatung aber könnte ein Ratsbeschluss weit weg rücken auf den 2. März 2023.