Mülheim. Wird der neue Mülheimer Nahverkehrsplan die Verkehrswende bringen? Welche Stadtteile gewinnen? Unterwegs mit dem Grünen-Vorsitzenden Timo Spors.
Wer am 1. Juli 2023 in einen Mülheimer Bus steigt, wird seine gewohnten Wege zum Ziel umdenken müssen: Zusammenhängende Haltestellen werden auf verschiedene Linien aufgeteilt, neue Verbindungen zu wichtigen Punkten aber auch gestärkt. Der Nahverkehrsplan will mit neuen Ansätzen den ÖPNV in Mülheim verbessern – und dabei sparen. Geht das? Wir haben das künftige Netz mit dem Grünen Mobilitätsausschussvorsitzenden Timo Spors einem Realitätscheck unterzogen.
Und der startet am wohl meist diskutierten kritischen Punkt: in Selbeck. Mit dem 753, der aktuell noch einmal in der Stunde an der Stooter Straße anhält, geht es Richtung Saarn und dann zum Oppspring, wo junge Selbecker zur Luisenschule aussteigen. Ab Juli 2023 aber endet dieser in Saarn an der Haltestelle „Alte Straße“. Wer zum Oppspring will, muss vorher am Lehnerfeld nahe Saarner Kuppe in den neuen Ringbus V1 umsteigen, der alle halbe Stunde fährt.
Schulen profitieren vom neuen Ringbussystem
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Schulbusse sollen nach Ansicht von Schwarz-Grün das Kappen des 753 kompensieren. Der Ersatzverkehr könne jedoch auf der Rückfahrt nachmittags aufgrund unterschiedlicher Schulendzeiten aufwendig werden, räumt Spors ein.
Die Änderung der Selbecker Linie 753 ist aber beispielhaft für das neue hierarchische System aus schnellen Bahnen und zwei Metro-Buslinien, die im 15-Minuten-Takt ins und aus dem Stadtzentrum führen. Das hat Nach- und Vorteile. Denn dem Ringbus V1, der jeweils einen Halbkreis über den Norden und Süden zieht, fällt nun eine besondere Rolle zu. „Das Umsteigen am Lehnerfeld in den V1 bietet den Vorteil, dass nun auch vom Süden die Saarner Kuppe direkt an die Luisenschule angeschlossen wird“, erklärt der Grüne Mobilitätsexperte Spors.
Gleichzeitig ist Speldorf und vom Norden aus ebenso Heißen mit dem Oppspring direkt verbunden. Und weitergehend führt die Ringbuslinie etwa im Mülheimer Norden zu weiteren Bildungseinrichtungen wie der Gustav-Heinemann- und der Willy-Brandt-Gesamtschule. „Es macht für unsere Koalition Sinn, den Nahverkehr in Zusammenhang mit dem Bildungsentwicklungsplan zu bringen“, argumentiert Spors für eine bessere Erreichbarkeit von weiterführenden Schulen aus allen Stadtteilen.
Gewohnte Routen brechen auf, machen aber auch schnellere Linien möglich
Dafür ist es allerdings auch notwendig, die langen und schnellen Routen über kurze Erschließungsbusse mit den Quartieren zu verbinden. Das führt an anderen Stellen zu Stückwerk, wie sich an der Tour des 134er durch Speldorf zeigt: Die verbindet das Hafengebiet (Saalestraße) im Bogen über die Duisburger Straße durch den Speldorfer Westen mit dem Friedhof, Saarn und schließlich Mintard.
Die neue Linie E6 lässt den Speldorfer Westen mit dem Friedhof komplett runterfallen. Nur noch die Linie 124 wird als Metrobus den Friedhof und danach den Aschenbruch und Blötter Weg bedienen. Das bedeutet für manche Broicher, Saarner und Speldorfer aber wenigstens einen Umstieg. Für Pendler in Speldorf könnte sich die Umstellung aber lohnen, denn die Metrobusse verkehren im 15-Minuten-Takt. „Den M1 nach Saarn wollen wir zu den Berufspendelzeiten von 7 bis 9 Uhr sogar in einem Siebeneinhalb-Minuten-Takt fahren lassen“, sagt Spors.
Doch das kann komplex enden: Dümpten war bislang mit Heißen und Essen-Erbach direkt über die Linie 136 verbunden. Künftig endet die an der Freiherr-vom-Stein-Straße. Dort steigt man um in die Ringbuslinie V1 nach Heißen. Weil die sich aber an Heißen Kirche in eine Süd- und Nord-Linie aufspalten wird, müssen alle nach Essen erneut den Bus wechseln.
Frage nach Verlierern des neuen Nachverkehrsystems
„Ja, das sind in dem Fall viele Umstiege“, räumt Spors ein, „aber was sind die tatsächlichen Fahrbeziehungen? Fährt jemand etwa regelmäßig von Dümpten nach Erbach oder von Mintard zur Peterstraße nach Speldorf?“ Die Teilstrecke nach Essen zumindest stuft die Ruhrbahn als rot ein – also mit einer Tagesauslastung von unter zehn Prozent. Die Koalition gibt die Verbindung dennoch nicht auf, „es macht Sinn, den Anschluss nach Haarzopf und Erbach zu halten“, glaubt Spors.
Gibt es Verlierer des neuen Systems, das der Verkehrswende in Zeiten von Energiekrise und Klimawandel neuen Antrieb geben müsste? Auf den ersten Blick zumindest scheint Mülheim links der Ruhr mit zwei Straßenbahnlinien (901, 102), zwei schnellen Metro- und drei Verbindungslinien ein Profiteur des neuen Plans zu sein. Styrum und Dümpten im Norden hingegen müssen mit je einer Straßenbahn und einem Verbindungsbus auskommen. Der Osten hat die U18 und den V1. Holthausen und Raadt haben jüngst endgültig ihre Straßenbahnverbindung zum Flughafen verloren, der Kahlenberg-Ast gilt zumindest bei der CDU als überflüssig.
Noch offene Mobilitätsfragen bei Parkstadt und Flughafen
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„Beim Flughafen müssen wir den Planungswettbewerb im Oktober abwarten, damit wir wissen, was uns städtebaulich erwartet. Wie bei der Parkstadt auch, prüfen wir alle Mobilitätsvarianten“ – so sind für Spors auch mit dem neuen Plan nicht alle Pflöcke für einen guten Nahverkehr eingeschlagen: „Alles, was wir planen, muss mit dem Ziel der Klimaneutralität 2035 vereinbar sein.“
Für den Vorsitzenden des Mobilitätsausschusses stehen aber mit dem Aufbrechen alter Strukturen neue Wege offen: Heimaterde beispielsweise werde über den Ringbus deutlich besser an die übrige Stadt angebunden. Spors glaubt an die neue systemische Betrachtung, statt wie bisher in einzelnen Linien zu denken: „Wenn wir einmal diese Hierarchie und Beziehungen von Bahnen und Bussen umgesetzt haben, können wir zukünftig viel einfacher Angebote verbessern, indem wir zum Beispiel die Taktungen an einzelnen Stellen erhöhen.“