Mülheim. Nachbarn vernetzen sich, um die Mülheimer Parkstadt-Pläne zu kippen – das befürchtete „Hochhaus-Ghetto“. Warum sie an ihren Erfolg glauben.
Das Netzwerk gegen die Mülheimer Parkstadt-Pläne ist noch eine überschaubare Gruppe. Etwa 15 Aktive seien sie, sagt Prof. Dr. Gerald Lux, der als Sprecher fungiert. Doch hinter sich fühlen sie den Schub von Tausenden und treten entsprechend selbstbewusst auf. 4378 Menschen haben ihre Online-Petition gegen das Vorhaben des Investors Soravia unterzeichnet, darunter 4093 aus Mülheim. Gerald Lux schätzt, dass knapp 80 Prozent der Unterstützer aus Speldorf und Broich kommen – so wie er und seine Mitstreiter.
Beim Ortstermin auf dem ehemaligen Tengelmann-Areal erscheinen sie zu sechst. Neben Gerald Lux (44), Professor für Gesundheits- und Sozialmanagement, ist seine Ehefrau Evelyn Lux (47) dabei, Fotografin, mit Tochter Mara Münch (21), Schülerin. Dazu gesellen sich IT-Berater Michael Taube (55), der pensionierte Gesamtschulleiter Reiner Geßwein (66) und Dr. Hans-Peter Winkelmann (61), international erfahrener Klimaexperte und „Broicher Bürger 2017“. Winkelmann argumentiert besonders wortreich gegen die Parkstadt-Pläne, er hält sie für grundlegend verfehlt und sagt: „Die Planung hört an den Tengelmann-Mauern auf, ohne zu berücksichtigen, was auf der anderen Straßenseite passiert.“
Mülheimer Netzwerk fordert: Parkstadt-Bebauung auf acht Etagen begrenzen
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Das Netzwerk nennt sich „Parkstadt Mülheim - aber richtig“ und hat seine erfolgreiche Online-Petition auf zwei Forderungen zugespitzt: Die Hochhäuser, die entlang der Liebig- und Wissollstraße geplant sind, sollen maximal acht Etagen hoch gebaut werden dürfen. Und: Auf dem Gelände sollen höchstens 400 neue Wohnungen entstehen. Zur Begründung heißt es: „Dies würde den Ausbau der Parkstadt nicht gänzlich verhindern, aber dafür Sorge tragen, dass sich die Parkstadt in das bisherige Stadtbild einfügt, ein Verkehrskollaps und eine Ghettoisierung vermieden werden könnten.“
Der Siegerentwurf des städtebaulichen Wettbewerbs, auf dem das Planungsverfahren fußt, sieht demgegenüber drei Punkthochhäuser mit maximal 18 Geschossen vor und bis zu 800 neue Wohneinheiten in der Parkstadt. „Das wären Pi mal Daumen 2000 Menschen“, überschlägt Hans-Peter Winkelmann und verknüpft diese Perspektive mit kritischen Fragen: „Wo sollen die herkommen? Wie soll die Ver- und Entsorgung geregelt werden?“ Es fehle – neben anderem – eine durchdachte verkehrstechnische Anbindung.
Masterplan erarbeiten, wie für andere Entwicklungsgebiete in Mülheim
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„Man hätte das Areal mit Hilfe eines Masterplans vernünftig planen müssen“, meint Winkelmann, so wie es für andere große Entwicklungsgebiete in Mülheim durchaus geschehe – er nennt beispielhaft das Vallourec-Grundstück oder die „Weststadt“, das riesige Areal an der Ruhr zwischen Innenstadt und Styrum. Bei der Parkstadt sei dagegen undurchsichtig, wer die Kriterien für die anfangs zehn Entwürfe entwickelt habe, kritisiert das Netzwerk, zudem seien alle Konzepte ähnlich: Bestand der alten Tengelmann-Zentrale, See in der Mitte und massive Bebauung. Aus welchen Gründen der österreichische Investor Soravia in Mülheim derart freie Bahn bekommt, darüber können die Aktivisten nur spekulieren.
Wie massiv die geplanten Bauwerke wirken, „welche Klötze dahin kommen“, wollen die Kritiker mit Hilfe einer eigenen Visualisierung verdeutlichen, die sie über die Online-Petition gestellt haben. „Nach aktueller Planung wären es 14 Häuser mit Höhen von mindestens 25 Metern“, erklärt Gerald Lux.
Beherrschendes Thema in Broich und Speldorf: „Die Leute sind alle entsetzt“
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Deutlich wird: Der gut besuchte Info-Markt zur Parkstadt am 9. September im früheren Tengelmann-Casino war für viele Anwohner ein Schlüsselerlebnis – wie für die meisten Aktiven im Netzwerk auch. Sie leben in der Ulmenallee, im Nelkenweg, auf der Friedhof- oder Bülowstraße, besitzen überwiegend Wohneigentum und sind auch von dieser Sorge getrieben, die Michael Taube ehrlich äußert: „Dass die Werte unserer Immobilien sinken, wenn in der Nachbarschaft ein sozialer Brennpunkt entsteht.“ Die Parkstadt sei in Broich und Speldorf das beherrschende Thema, sagt Hans-Peter Winkelmann: „Selbst wenn man nur zum Friseur geht: Die Leute sind alle entsetzt.“
Grundsätzlich werde begrüßt, dass auf dem Gelände endlich etwas passiert, das er und viele andere noch aus Kindertagen als „verbotene Stadt“ kennen. „Doch ohne Beteiligung der Öffentlichkeit kann es nicht laufen. Dagegen wehren wir uns.“ Richtig findet er beispielsweise, dass die Tengelmann-Zentrale erhalten bleibt und neu belebt wird, bezeichnet ihre Vermietung jedoch als konzeptlos, „Resteverwertung“.
Italienische Gastronomie im Kesselhaus: „Das finde ich gut“
Mara Münch, Vertreterin der jungen Generation in Broich und Speldorf, findet es sehr schade, dass das Technikum wieder abgerissen werden soll, das sich zur Anlaufstelle gut besuchter Ausstellungen entwickelt hat. Die 21-Jährige meint, das Gebäude sollte weiterhin für die Menschen in Mülheim genutzt werden: „Man müsste die Kultur hier mehr einbinden, mehr für die Gesellschaft tun.“
Ihre Mutter Evelyn Lux kann den Parkstadt-Plänen bislang überhaupt nichts abgewinnen, wie sie sagt. Höchstens dies: „Dass eine italienische Gastronomie in das ehemalige Kesselhaus einziehen soll – das finde ich gut!“
Netzwerk ist optimistisch, dass die Parkstadt-Pläne noch kippen
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Wie es mit der Petition weitergeht, skizziert Gerald Lux: Alle Mülheimer Ratsmitglieder seien angeschrieben und über die bisherige Arbeit des Netzwerkes informiert worden. In Kürze werde die Plattform „openPetition“ auf die Ratsherren und -frauen zukommen, jede Person um eine Stellungnahme bitten. Das Netzwerk „Parkstadt Mülheim – aber richtig“ appelliert an die Verantwortung der gewählten Vertreter.
Werden die Parkstadt-Pläne noch kippen? Michael Taube sagt: „Ich bin guter Dinge.“ Den Rückmeldungen aus Mülheimer Parteien hätten sie entnommen, dass viele Lokalpolitiker dagegen sind. „Vielen sind erst jetzt die Augen aufgegangen, denen waren die Dimensionen gar nicht klar.“ Reiner Geßwein ergänzt noch, mit Blick auf die Krisenzeit, die viele Bauprojekte hemmt: „Ich glaube gar nicht, dass es in dieser Form noch finanzierbar ist.“
„Gar nichts dagegen, wenn Herr Soravia sich hier eine goldene Nase verdient“
Was die Netzwerker sich wünschen? Eine runderneuerte Planung, unter Aspekten der Nachhaltigkeit. „Wir brauchen Grün in der Stadt, keinen Beton.“ Ein zukunftsweisendes Vorzeigeprojekt für das ganze Ruhrgebiet, wie es anfangs versprochen war. „Da wären wir dabei“, sagt Hans-Peter Winkelmann und fügt hinzu: „Ich habe auch gar nichts dagegen, wenn sich Herr Soravia hier eine goldene Nase verdient. Aber er soll etwas Gutes für Mülheim schaffen.“