Mülheim. Die exorbitanten Preissteigerungen am Bau veranlassen Investoren dazu, Mülheimer Bauprojekte auf Eis zu legen. Welche Vorhaben betroffen sind.

Die immensen Preissteigerungen am Bau und die Zinsentwicklung haben zunehmend Auswirkungen auf Bauprojekte in Mülheim. Auch Großprojekte stehen vor dem Aus oder sind zumindest vorerst auf Eis gelegt.

Die Preise für den Neubau konventionell gefertigter Wohngebäude in Deutschland sind nach jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamtes im Mai 2022 um 17,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Dies, so heißt es, sei der höchste Anstieg der Baupreise seit Mai 1970. Hinzu kommt eine zunehmende Finanzierungsnot, weil die Zinsen deutlich steigen. Laut dem Vorstand der Genossenschaft Mülheimer Wohnungsbau (MWB), Frank Esser, muss sein Unternehmen im Vergleich zum Jahresbeginn schon jetzt mit Zinsen in dreieinhalb- bis vierfacher Größenordnung kalkulieren.

Mülheimer Wohnungsbau startet nicht den Vertrieb von 40 Einfamilienhäusern

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Und MWB stellt tatsächlich Projekte auf den Prüfstand. Erst jüngst habe man sich alle laufenden und projektierten Vorhaben angeschaut und neu bewertet, so Esser. Das Ergebnis: Zumindest ein Großprojekt im Bauträgergeschäft geht die MWB nicht wie geplant an. Der Vertriebsstart für die 40 geplanten Einfamilienhäuser in der autofrei konzipierten Siedlung an der Scheffelstraße im Dichterviertel ist zunächst einmal auf Ende des Jahres geschoben.

Frank Esser, Vorstand des Mülheimer Wohnungsbaus.
Frank Esser, Vorstand des Mülheimer Wohnungsbaus. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Neue Bauprojekte seien „derzeit sehr riskant, weil die Kosten schwer abschätzbar sind“, so der Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft. Das gelte insbesondere im Bauträgerbereich, aber auch für den Bau von Häusern mit Mietwohnungen. Esser macht die Probleme am Beispiel der Scheffelstraße deutlich, wo seit Frühjahr die Baugenehmigung für die Einfamilienhäuser vorliegt und die Bauanträge für ein benachbartes betreutes Wohnen und für ein Wohngemeinschaftsprojekt gestellt seien.

Kosten für Investitionsprojekte lassen sich heute nicht sicher kalkulieren

Für die Siedlung habe die MWB zwar keine Probleme, eine Firma für die Rohbauarbeiten zu finden, so Esser. Doch seien die potenziellen Auftragnehmer aufgrund der labilen Marktsituation nicht einmal mehr bereit, bei einem Angebot die Stahlpreise zu garantieren. Was ein solches Projekt dann letzten Endes kosten werde, lasse sich heute nicht sicher kalkulieren.

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In einem Bauträgergeschäft, das mit einer Marge von rund zehn Prozent gerechnet werde, sei das Risiko derzeit einfach zu hoch, am Ende mit einem Minus rauszugehen, wenn man die Häuser schon jetzt zu einem Fixpreis vermarkte, so Esser. Dann womöglich ein Millionen-Minus einzufahren, sei nicht zu verkraften, obwohl die Genossenschaft finanziell gut dastehe.

Auch die Mülheimer Sparkasse spürt die Unsicherheit von Bauträgern

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Auch Finanzierer wie die Sparkasse, die ebenfalls im Bauträgergeschäft unterwegs sind, spüren die Unsicherheit von Investoren. Einige seien nun schon so weit, erst nach der Fertigstellung von Immobilien in den Vertrieb gehen zu wollen, sagt Andreas Weymanns, der für die Sparkasse das Bauträgergeschäft verantwortet. Dann wüssten sie wenigstens, zu welchen Kosten die Bauten tatsächlich entstanden seien, so deren Überlegung.

Schon zuletzt hatte die MWB für die Reihenhäuser am Rande des Dichterviertels Kaufpreise von 600.000 Euro kalkuliert. Und Käufer sind mit höheren Finanzierungskosten konfrontiert. Erwerber mit einem durchschnittlichen Einkommen könnten die Kostensteigerungen „nicht auffangen“, sagt Esser. Ein Grund für die SWB als größtes, als städtisches Wohnungsbauunternehmen, gar vorerst das Einfamilienhaus-Projekt an der Gneisenaustraße für unbestimmte Zeit nicht weiterzuverfolgen.

SWB verzichtet vorerst auf Eigenheim-Bau an Mülheims Gneisenaustraße

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Hier, wo die SWB 1951 erstmals als Bauherrin Wohnraum geschaffen hatte, sollten anstelle der überkommenen alten Mehrfamilienhäuser zwölf großzügig geschnittene Doppelhaushälften à 180 Quadratmeter Wohnfläche entstehen. Noch im August vor einem Jahr kalkulierte SWB-Chef Andreas Timmerkamp dafür mit einem ohnehin stolzen Verkaufspreis von 650- bis 700.000 Euro je Eigenheim. Nach all den Preissteigerungen sei man nun auf 850.000 Euro gekommen, so der SWB-Geschäftsführer. „Im Moment werden wir das nicht umsetzen, und wir wissen auch noch nicht, ob wir es machen“.

Hier an der Gneisenaustraße will die SWB alte Mietshäuser abreißen, um neu zu bauen. Das Vorhaben, dort Doppelhäuser zu bauen, ist aber zunächst auf Eis gelegt, weil eine Doppelhaushälfte aktuell mit 850.000 Euro kalkuliert wird.
Hier an der Gneisenaustraße will die SWB alte Mietshäuser abreißen, um neu zu bauen. Das Vorhaben, dort Doppelhäuser zu bauen, ist aber zunächst auf Eis gelegt, weil eine Doppelhaushälfte aktuell mit 850.000 Euro kalkuliert wird. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Inflation und weitere negative Auswirkungen des Ukraine-Krieges: MWB-Chef Esser befürchtet, „dass wir in eine tiefe, schlimme Rezession reinrutschen“, die Jahre andauern werde und gegen die die Auswirkungen der Lehman-Brothers-Pleite 2008 mit folgender Finanzkrise „ein Kaffeekränzchen“ gewesen sein könnte. „Es wird viele Geisterprojekte geben“ - Esser prophezeit, dass viele Bauträger Abstand nehmen werden von Investitionsprojekten.

200-Millionen-Projekt am Rhein-Ruhr-Zentrum wackelt bedenklich

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Man denke auch, mal fernab vom Wohnungsmarkt, an das einst auf 200 Millionen Euro taxierte Großprojekt zur Modernisierung von Rhein-Ruhr-Zentrum (RRZ) und angrenzendem Stinnes-Hochhaus. Hier prüfen die ursprünglichen Investoren wegen Finanzierungsschwierigkeiten aktuell gar den Weiterverkauf von Einkaufscenter und Büroturm.

Entsprechend Düsteres hat der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen festgestellt. Demnach haben bei einer im Mai veröffentlichten Umfrage 64 Prozent der befragten Wohnungsunternehmen angekündigt, Neubauprojekte verschieben zu müssen. Ein Viertel der Unternehmen sehe sich gar gezwungen, die Projekte komplett aufzugeben. Die Bedingungen am Markt haben sich seither weiter verschärft.

Immobilien-Experten der Sparkasse Mülheim nicht so skeptisch: „Worauf warten?“

Christian Hechler, Leiter beim Sparkassen-Immobilienservice.
Christian Hechler, Leiter beim Sparkassen-Immobilienservice. © Sparkasse Mülheim

Für die Immobilienservice-Abteilung der Sparkasse sehen deren Leiter Christian Hechler sowie der im Bauträgergeschäft verantwortliche Andreas Weymanns zwar auch eine ernste Lage mit vielen Unwägbarkeiten bei Bau-Investitionen infolge des Ukraine-Krieges. Sie wollen aber nicht den Teufel an die Wand malen. „Worauf warten?“, fragt Weymanns die Investoren. „Ich brauche nicht darauf warten, dass die Preise sinken.“ Es macht für ihn keinen Sinn, „Grundstücke einfach auf Halde zu legen und zu warten“.

Die städtische Baubehörde sieht den Trend aktuell noch nicht bei sich ankommen. Man verzeichne zumindest bisher keine vermehrte Rücknahme von Bauanträgen. „Mir ist bisher nur von einem Investor bekannt, dass er aufgrund der steigenden Zinsen und Baupreise mit dem Voreigentümer über den Grundstückskauf neu verhandeln wollte, was eine öffnende Klausel im Vertrag ermöglichte“, so Axel Booß, Leiter des Amtes für Bauaufsicht und Denkmalpflege. Es handele sich dabei durchaus um „ein Bauprojekt von großem Volumen, aber auch keines in der Größe der aktuell sehr großen Vorhaben im Stile Tengelmann oder RRZ“, so Booß.

Immobilien-Experten: Top-Qualität in Top-Lagen Mülheims findet weiter Käufer

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Alle Marktteilnehmer müssen sich laut Sparkassen-Experten an die neuen Gegebenheiten anpassen. Weymanns glaubt, dass Topqualität in Toplagen auch im Zuge der Preissteigerung noch Käufer findet und somit ein lohnenswertes Geschäft für Bauträger sein kann. Gerade weil in Mülheim aktuell auch sehr wenig neue Wohnungen im Angebot seien, die Nachfrage aber nach wie vor da ist. Das Geschäft der Sparkasse mit Immobilienkrediten laufe zwar schwächer als zuvor, weil für einige potenzielle Käufer die Preisentwicklung den Traum vom Eigenheim zerstört habe, aber es laufe immer noch gut.

Die Sparkasse selbst hat laut Hechler weiterhin zum Ziel, bis Mitte 2023 fünf bis sechs Bauträgermaßnahmen an den Markt zu bringen. Auch er glaubt, dass hochmoderner Wohnungsbau mit hoher Energieeffizienz weiter seinen Markt hat, wenn auch wohl die Zeiten wie zum Jahreswechsel vorbei seien, wo es der Sparkasse innerhalb von nur zwei Monaten gelungen sei, neun hochwertige Wohneinheiten am Broicher Waldweg an Mann und Frau zu bringen.

Erzielbare Preise von Gebrauchtimmobilien sinken laut Sparkasse

Eine Trendwende im Vergleich zur Zeit vor dem Kriegsausbruch sieht Hechler im Bereich der Transaktionen von Gebrauchtimmobilien. Hier versuchten aktuell noch zahlreiche Verkäufer, auf hohem Niveau Kasse zu machen, und müssten nun merken, dass die potenziellen Käufer nicht mehr bereit seien, so hohe Preise zu zahlen wie noch vor wenigen Monaten. Die Zeiten des exorbitanten Preisanstiegs mit Bieterverfahren im Verkaufsprozess seien gestoppt, so Hechler. „Wir verkaufen jetzt die ersten Objekte unter dem ursprünglich aufgerufenen Preis.“

Diese Vorhaben will die MWB durchziehen

Die Entwicklung im Dichterviertel ist vorerst auf Eis gelegt, andere Bauvorhaben will der MWB laut Vorstand Esser durchziehen. Dazu zählt der Bau von 36 Senioren-Wohnungen am Kuhlendahl. Ebenso will die Genossenschaft mit der Graf-Recke-Stifung eine betreute Wohneinrichtung für junge Erwachsene an der Parsevalstraße errichten. Das Gelände sei gerodet, man erwarte die Baugenehmigung.

Fast vollendet sind die Arbeiten am Wenderfeld, wo die Kita am 1. August ihren Betrieb aufnehmen soll und der Plan ist, die vier neuen Einfamilienhäuser im Herbst an die neuen Eigentümer zu übergeben. Noch ein Projekt, das die MWB laut Frank Esser in diesem Jahr versuchen will zu starten, ist an der August-Schmidt-Straße verortet: Dort sollen ein Doppelhaus und vier Reihenhäuser entstehen.