Mülheim. Der Essener Landwirt Alexander im Brahm (27) leitet künftig die Geschäfte der alteingesessenen Fleischerei Nieß aus Mülheim. Wir stellen ihn vor.
Nächstes Jahr steht wieder ein Jubiläum an für die Fleischerei Nieß: Stolze 119 Jahre gibt es den Familienbetrieb am Heißener Markt schon. Seit vier Generationen ist der Betrieb in den Händen der Familie Nieß. Jetzt wurde es Zeit für einen Wechsel: Bereits im Juli hat Alexander im Brahm (27) den Betrieb übernommen.
Nachfolger stammt nicht aus der Familie, ist aber auch kein Unbekannter in Mülheim
Im Brahm ist für die Familie Nieß kein Unbekannter. Seit fünf Jahren beliefert er den Heißener Betrieb mit seinen ,Ruhrtaler Landschweinen’. Auf einem großen Flatscreen im Ladengeschäft kann man denen beim Toben zuschauen – ein Imagefilm als Herkunftsnachweis: Fast wie ein echter Blick in den Kettwiger Schweinestall.
Überhaupt wird beim Betreten des modern eingerichteten Ladenlokals sofort klar: Um sich von der Konkurrenz der Discounter abzusetzen, setzt die Fleischerei schon lange nicht mehr einzig auf einen guten Namen, Stammkunden und Tradition: „GeNießer-App“, Lieferservice und eine Produktpalette, zu der längst nicht mehr nur Fleisch- und Wurstwaren zählen, richten sich erkennbar an ein junges Publikum.
Mülheimer Fleischerei Nieß bleibt auch zukünftig ein Familienunternehmen
Dennoch ist im Brahm mit seinen 27 Jahren ein ganz schön junger Chef – und als studierter Landwirt noch dazu ein Quereinsteiger. Kann das gut gehen? Bei Heinz-Günter Nieß (60), der die Leitung bislang mit seinem Bruder Frank innehatte, besteht da kein Zweifel. Weil sich in der Familie kein Nachfolger finden ließ, ist Heinz-Günter Nieß heilfroh, einen so engagierten Nachfolger gefunden zu haben, mit dem er geschäftlich bereits seit Jahren eng verbunden ist. Und die insgesamt 45 Mitarbeiter dürften es auch sein.
Wichtig zu betonen ist der Familie Nieß, dass sich außer dem Wechsel an der Spitze erst einmal wenig ändert: Die Brüder Frank und Heinz-Günter Nieß bleiben zuständig für die Produktion, Frank Nieß’ Frau Bettina leitet weiter den Verkauf und die nächste Generation steht mit deren Sohn Tim Nieß (22) auch schon bereit.
Der absolviert gerade seine Ausbildung zum Fleischer und soll dann perspektivisch für die Produktion zuständig sein. In seiner Klasse ist übrigens einer von vieren: Das Fleischerhandwerk plagt schwere Nachwuchssorgen.
Kettwiger Jungbauer hatte mit Anfang 20 schon eigene Marke etabliert
Es ist also ein sanfter Übergang, „aber die Weichen für die Zukunft sind gestellt“, erklärt Heinz-Günter Nieß. Mit seinen Ruhrtaler Landschweinen hat im Brahm gemeinsam mit seiner Verlobten Theresa Ostermeier in den letzten Jahren maßgeblich zum Erfolg der Fleischerei beigetragen. Mit ihrer Marke sind die beiden, die sich während des Studiums in Osnabrück kennengelernt haben, bereits mit Anfang 20 ihren eigenen Weg gegangen.
Zwar sind beide auf dem Bauerhof groß geworden und bei den im Brahms aus Essen-Kettwig wird die Schweinemast sogar schon in der vierten Generation betrieben. Bislang geschah das allerdings konventionell.
Große Schnittmengen mit Mülheimer Fleischerei: Qualität, Regionalität, Transparenz
Mit den freilaufenden Schweinen haben die beiden den Fokus auf Tierwohl, Transparenz und Regionalität gelegt – und so mit der Fleischerei Nieß früh einen passenden Geschäftspartner gefunden. Mittlerweile finden sich ihre Produkte auch in den Regalen einiger lokaler Supermärkte.
Man wirbt mit dem Versprechen: „Mehr Schwein kann ein Schwein nicht sein“, und dass das Thema Tierwohl den beiden am Herzen liegt, wird im Gespräch dann auch schnell deutlich: „Bei uns sie die Schweine das ganze Jahr über draußen und können sich frei bewegen. Das macht die Tiere natürlich auch robuster. So kommen wir auch ohne Antibiotika aus“, erklärt Ostermeier.
Vieles bleibt beim Alten in Mülheim: Never change a winning team
„Ich werde hier vor allem für das Kaufmännische zuständig sein. Da will ich der Produktion auch gar nicht reinreden. Die wissen auch viel besser, was sie tun als ich“, gibt der gelernte Landwirt freimütig zu. Mit der Zeit will er sich dann in alle Bereiche einarbeiten. Für die Ruhrtaler Landschweine bleibt er weiterhin verantwortlich; Alexander im Brahm hat sich einiges vorgenommen.
Wie man in Mülheim über den Fleischtellerrand hinaus denken will
Für die Zukunft hat man allerdings schon einige Ideen: „Bei Fleischersatzprodukten sind wir gerade in der Probierphase und schauen, welche Pflanzen sich zur Verarbeitung gut eignen könnten“, erklärt Ostermeier. Noch sei es zu früh für die Vermarktung, aber man habe das Thema „definitiv auf der Agenda.“
Auch arbeite man derzeit schon an einem Konzept für einen Onlineshop und an entsprechend haltbaren Produkten, so im Brahm. „Allerdings wollen wir auch keine Waren anbieten, die voller Konservierungsstoffe sind.“
Mülheimer Team sucht Verstärkung
Derart hohe Qualitätsansprüche haben natürlich ihren Preis. Man hofft, dass die Kunden auch in diesen angespannten Zeiten bereit sind, den zu zahlen. Sorgen bereitet dem neuen Chef aber eher ein anderes Thema: Man sucht derzeit nach Verstärkung in allen Bereichen.
„Wer Lust am Produkt hat und körperlich arbeiten kann, ist herzlich willkommen“, so im Brahm. Man müsse sich allerdings voll auf den Betrieb einlassen wollen, ergänzt Ostermeier mit einem Augenzwinkern: „Wer sich Arbeit im Homeoffice wünscht, wird es schwer haben.“