Nach den Negativschlagzeilen über die Missstände in der Fleischindustrie, freuen sich Mülheimer Metzger über gestiegene Nachfrage der Kunden.

Hygieneverstöße, miese Arbeitsbedingungen, leidende Tiere: Der Tönnies-Skandal hat viele Verbraucher aufgeschreckt. Wer auf Billig-Wurst aus dem Supermarkt verzichten möchte und wissen will, wo Schnitzel und Salami herkommen, der kauft vermehrt beim Metzger um die Ecke ein. Mülheimer Fleischer profitieren von den Negativschlagzeilen um die Massenhersteller - und verzeichnen eine gestiegene Nachfrage.

Kunden stehen am Hofladen Schlange für Fleisch und Wurst

Gleich neben der A40 am Frohnhauser Weg liegt Mülheims kleines Bauernhof-Idyll: der Heißener Hof – einziger Betrieb der Stadt, der noch selbst Geflügel schlachtet. Hier können Kunden nicht nur sehen, wie die Hühner leben und Eier legen, bevor sie als Suppenhuhn im Kochtopf landen. Sie bekommen obendrein das Gefühl, als Konsument Teil eines natürlichen Kreislaufs zu sein - denn einen solchen strebt Inhaber Johann Steineshoff an. „Ich möchte den Betrieb nachhaltig führen, dazu gehört etwa, das Tier komplett zu verwerten und möglichst wenig Müll zu produzieren.“

Das Konzept geht auf. Vor dem Hofladen stehen die Kunden häufig bis nach draußen Schlange. Das hat auch mit Corona zu tun, schließlich dürfen nur maximal acht Leute zeitgleich in den Laden. Doch auch vor der Pandemie hatte Schlachtermeister Steineshoff gut zu tun. „Wir sind schon vor zehn Jahren mit Produkten aus eigener und regionaler Herstellung gestartet“, sagt der 31-Jährige, der den Familienbetrieb zusammen mit Schwester Katharina führt.

Kunden erkundigen sich vermehrt nach Herkunft des Fleisches

Seit dem Tönnies-Skandal sei die Kundenzahl noch einmal gestiegen, bestätigt Steineshoff. „Viele erkundigen sich zudem vermehrt nach der Herkunft des Fleisches.“ Geflügel züchtet und schlachtet Steineshoff selbst. Rind-, Wild- und Schweinefleisch bezieht die Familie von Bauern aus der Region, seit Jahren arbeiten sie mit einem kleinen Schlachtbetrieb aus Nettetal zusammen. Dieser liefert das Fleisch nach Mülheim, Johann Steineshoff zerlegt, portioniert und verwurstet es.

„Unser Rindfleisch stammt vom Bauer Kamann aus Mülheim, dort können die Rinder in den Ruhrauen ein Leben in der Natur genießen.“ Das Schweinefleisch beziehe der Heißener Hof vom Pötterhof aus Bracht, wo die Tiere auf Stroh gehalten werden. „Auch unser Wildfleisch wird in den heimischen Wäldern geschossen - hier ist die Nachfrage besonders hoch“, so Steineshoff. Schon seit einigen Jahren gebe es den Trend, dass die Leute eher seltener Fleisch essen, dafür aber gezielt zum Bauern gehen und mehr dafür ausgeben.

Einem Naturverbund in Wachtendonk angeschlossen

Wolfhard Schacht schätzt, dass er seit den Negativschlagzeilen zehn bis 15 Prozent Kunden hinzugewonnen hat. „Wenn es einen Skandal gibt, kommen die Leute immer vermehrt zu uns als Metzger“, hat er im Laufe der Jahre beobachtet. Hier sei das Vertrauen größer. Der Fleischermeister betreibt die Biofleischerei Schacht an der Aktienstraße 288 seit 1990. „Seit 1992 sind wir dem Thönes Naturverbund in Wachtendonk angeschlossen.“ Nicht zu verwechseln mit dem Massenproduzenten Tönnies.

Zu Thönes gehören 170 Landwirte aus dem Umkreis, die sich zu einer artgerechten Haltung der Tiere verpflichtet haben. Jede Woche werden nach eigenen Angaben bis zu 700 Schweine, 40 Rinder und 3500 Geflügel „schonend geschlachtet“. „Man kann den Schlachtbetrieb besuchen und sich direkt vor Ort informieren“, weiß Schacht.

Haben die Tiere vor der Tötung Stress, wirkt sich das auf die Fleischqualität aus

Heinz-Günter Nieß in seiner Fleischerei Nieß in Heißen.
Heinz-Günter Nieß in seiner Fleischerei Nieß in Heißen. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Corona-bedingt habe es zunächst einen leichten Umsatzrückgang gegeben, sagt Heinz-Günter Nieß, der mit seinem Bruder Frank die gleichnamige Fleischerei an der Honigsberger Straße in Heißen betreibt. „Dies konnten wir durch Lieferdienste auffangen. Seit dem Tönnies-Skandal haben wir eine erhöhte Nachfrage.“ Die Kunden wollen genau wissen, wie die Tiere gelebt haben, wo das Fleisch herkommt. „Wir beziehen etwa unser Schweinefleisch vom Bauern im Brahm aus Essen-Kettwig, der dort das Ruhrtaler-Freilandschwein züchtet“, erklärt Nieß. Auch die Fleischerei Jakob in Saarn bietet das Kettwiger Freilandschwein an.

Auch sein Betrieb habe sich dem Thönes-Naturverbund angeschlossen, das Rindfleisch etwa stamme von mehreren kleineren Züchtern aus der Region. „Denn wir wollen keine Massentierhaltung.“ Haben die Tiere vor der Tötung Stress, wirke sich dies auf die Fleischqualität aus. „Unsere Züchter sind bis zum Schluss bei den Tieren.“ Die Höfe schauen sich die Brüder daher regelmäßig an.

Hohe Qualität kostet mehr Geld

Hochwertige Qualität koste natürlich mehr als die Wurst im Supermarkt, so Nieß. Eine bestimmte Klientel sei bereit, mehr für Fleisch zu bezahlen, jedoch schaue das Gros der Verbraucher doch auf den Preis, weiß der Fleischermeister. Letztlich sei es der große Appetit der Verbraucher auf Billigprodukte, der die Dumpingpreise zu verantworten hat.

Nieß rechnet vor: „Angenommen, ein Zehnerpack Grillwürstchen kostet 5 Euro im Supermarkt, macht abzüglich der Mehrwertsteuer 46 Cent pro Wurst. Daran wollen noch Lieferant und Supermarkt verdienen. Also kostet eine Wurst in der Herstellung etwa 18 bis 20 Cent. Da sollte man sich fragen: Was bekommt man dafür?“ Schließlich werden die Billigpreise zuletzt an die Futtermittelindustrie weitergegeben. „Das kann nicht mehr gesund sein“, glaubt Nieß. Und rät: „Wer bewusst genießen möchte, sollte sich stets über Herkunft und Produktion informieren.“ Sei es beim Metzger oder an der Supermarkttheke.