Mülheim. Rund um den Mülheimer Schloßstraßen-Kiosk trinken sich Suchtkranke durch den Tag. Die Szene hat sich verlagert. Geschäftsleute beschweren sich.
Seit einem halben Jahrhundert gibt es den Kiosk auf der unteren Schloßstraße, und bis vor etwa einem Jahr wurde dort kein Alkohol verkauft, höchstens Kaffee und Cola. Nach Betreiberwechseln hat sich das geändert. Mittlerweile tummelt sich in der Nähe des Häuschens, am Eingang zur U-Bahn-Station Stadtmitte, eine bunt gemischte Trinkerszene.
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Tagsüber hängen dort weniger Leute herum, gegen Abend wird es oft lauter, lebhafter, härter. „Ich hab da schon 15 Leute sitzen sehen“, sagt Gerd-Wilhelm Scholl, der für die Mülheimer Bürger-Initiativen (MBI) als sachkundiger Bürger in verschiedenen Fachausschüssen aktiv ist. Außerdem ist er der Bruder von Dorothea Schaaf, die genau diese Bude 46 Jahre lang als Zeitungskiosk geführt hat, bewusst alkoholfrei, um bestimmte Kundschaft fernzuhalten. Im Sommer 2021 ging sie in den Ruhestand. Den Wandel der Mülheimer Innenstadt hatte sie wahrgenommen und offen bedauert.
Trinkerszene ist umgezogen auf die untere Schloßstraße in Mülheim
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Nun übernimmt dies ihr Bruder. Gerd-Wilhelm Scholl - und nicht nur er - stellt eine Verlagerung der Trinkerszene fest, die er darauf zurückführt, dass man am Kiosk jetzt Alkoholisches kaufen kann. „Das Problem ist“, ergänzt Scholl, „dass Passanten, wenn reichlich Alkohol geflossen ist, blöd angegangen und auch schon mal beschimpft werden.“ Das sei eine unschöne Sache, „die auch dem Erscheinungsbild der Schloßstraße nicht gut tut“.
Ein Besuch vor Ort. An einem warmen, trockenen Spätsommertag, in der Mittagszeit, halten sich etwa acht, zehn Personen am Zugang zur U-Bahn auf, auch einzelne Jugendliche darunter. Die Umrandung wird zum Sitzen genutzt, zwei Männer scheinen fast zu schlafen, ihnen ist das Kinn auf die Brust gesunken. Die Baumkübel dienen zum Abstellen von Getränkeflaschen. Andere Personen lagern vor dem Geschäft von Lederwaren Langhardt, wo kleine Bäume mit einer steinernen Umrandung umgeben sind. Komplette Bierkästen werden dort geparkt. Ein Mann mit Totenkopf-T-Shirt kommt schwankenden Schrittes aus dem Treppenabgang zur Tiefgarage. Dort sind die Betonfliesen dunkel-fleckig. Es riecht nach Urin.
Auch dem städtischen Ordnungsamt ist die Verlagerung der Szene bekannt, deren Schwerpunkt früher am Nordausgang des Hauptbahnhofes lag. Erst im vergangenen Herbst hatte die SPD ein Alkoholverbot im Bahnhofsbereich in die Diskussion gebracht, begründet damit, dass sich Bürger von Betrunkenen belästigt fühlten. Nun bestätigt die Stadt, dass sich „die Trinkerszene (ca. 5-10 Personen)“ in die Nähe des Kiosks auf der Schloßstraße verlagert habe. „Allerdings halten sich dort auch Menschen aus der Drogen- und Obdachlosenszene auf.“
Billige Getränke vom nahe gelegenen Netto-Markt
Anziehungskraft übe nicht nur die Bude aus, sondern auch der Netto-Discount gegenüber der Haltestelle Stadtmitte, wo Bier und Hochprozentiges billiger sind. Wo die Flaschen direkt vor dem Eingang geleert werden dürfen, was am Kiosk - eigentlich - verboten ist. Dort dürfe zwar Alkoholisches verkauft werden, erklärt das Ordnungsamt, „der Betreiber ist aber verpflichtet, darauf zu achten, dass sich im Sichtbereich oder in unmittelbarer Nähe keine Personen zum Verzehr der alkoholischen Getränke aufhalten.“
Betreiber der traditionsreichen Bude ist Hamer H., der den Kiosk nach eigener Auskunft erst vor wenigen Monate übernommen hat. Hat es es schon bereut? Er nickt. Bestimmten Leute verkaufe er keinen Alkohol mehr, auch sein Mitarbeiter wisse Bescheid. „Einige holen sich hier ein Bier, bleiben ruhig und gehen nach Hause. Das ist okay. Aber den Leuten, die hier trinken, geben wir nichts mehr“, so der Kioskbetreiber. Wohl wissend, dass sich die Suchtkranken dann bei Netto eindecken oder am Kiosk auf der Friedrich-Ebert-Straße.
Kioskbetreiber: Fast täglich Stress, auch „Familienprobleme“
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„Fast jeden Tag gibt es Stress und Theater“, sagt H. Es seien auch „Familienprobleme“, die hier auf der Straße ausgetragen werden. Größere Unruhe hat es erst am vorletzten Wochenende wieder gegeben. Der Kioskbetreiber spricht von einer „Schlägerei mit Messern und fliegenden Flaschen“, mit mehreren Verletzten. Die Polizei bestätigt zwar einen Einsatz am 28. September gegen 21.15 Uhr an der Zentralhaltestelle Stadtmitte, hat aber keine Belege für das, was H. schildert.
Nach Auskunft einer Sprecherin haben zwei Jugendliche und ein Mann gegenüber der Polizei erklärt, Unbekannte hätten ihnen unter Androhung von Gewalt ein Fahrrad stehlen wollen. Es sei eine größere Gruppe gewesen, einige mit Flasche in den Händen. Es sei aber beim versuchten räuberischen Diebstahl geblieben, so die Polizeisprecherin weiter, und eine Person leicht verletzt worden. Allerdings: Als die Einsatzkräfte eintrafen, waren die Täter auch schon weggelaufen. Die Fahndung läuft.
Geschäftsleute beschweren sich regelmäßig beim Ordnungsamt
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Die Situation belastet auch die wenigen verbliebenen Läden in diesem Bereich der Mülheimer Innenstadt. Das Ordnungsamt bestätigt, dass regelmäßig Beschwerden von Geschäftsleuten kommen, vor allem von den besonders betroffenen Läden in unmittelbarer Nähe. „Es wird unter anderem beklagt, dass der Treppenbereich zur Tiefgarage oft zur Verrichtung der Notdurft genutzt wird und Kunden durch die Anwesenheit der alkoholisierten Menschen abgeschreckt werden.“ Beschwerden über Belästigungen oder Pöbeleien lägen dem Kommunalen Ordnungsdienst nicht vor.
Kioskbetreiber H. sagt dagegen, er habe einen „sehr sehr guten Kontakt“ zu Polizei und Ordnungsamt. Es gebe regelmäßige Kontrollen, und wenn er anrufe, sei in wenigen Minuten jemand vor Ort. „Aber wenn dauernd die Polizei hier steht, kommen meine normalen Kunden nicht mehr.“
Als Lösungsvorschlag steht jetzt erneut ein Alkoholverbot für neuralgische Punkte der Mülheimer Innenstadt im Raum - wie es etwa vor fünf Jahren schon für den Kurt-Schumacher-Platz erwogen und von der Stadt verworfen wurde. Begründung damals: Reiner Alkoholkonsum stelle noch keine Gefahr dar. Gerd-Wilhelm Scholl, Bruder der früheren Kioskbetreiberin, sagt: „Man könnte versuchen, die Trinkerszene unten in der Stadtmitte aufzulösen. Aber es ist schwierig. Am Stadthafen wollen die Leute sie auch nicht haben.“