Mülheim. Gerade einmal ein Viertel der Mülheimer Straßen sind im grünen Bereich. Seit Jahren werden Sanierungen aufgeschoben. Was auf die Bürger zukommt.
Wie schlecht es um die Schienen und Straßen – kurzum: die Verkehrsinfrastruktur – in Mülheim bestellt ist, kann zwar jeder im Alltag selbst nachvollziehen. Jetzt aber hat die Stadt die Erfahrung und das Gefühl mit frischen Zahlen untermauert. Im Mobilitätsausschuss legte Bau- und Stadtentwicklungsdezernent Felix Blasch das ganze Ausmaß des Investitionsstaus auf Antrag der SPD offen. Manchem verschlug die schonungslose Realität die Sprache.
Denn unmissverständlich wurde, welche Welle auf die Ruhrstadt zurollt: Rund 70 Prozent aller Mülheimer Straßen sind in einem alarmierenden Zustand und müssten entweder instandgesetzt oder aber vollständig erneuert werden. Gleich 33,68 Prozent – das sind 1,877 Millionen Quadratmeter Verkehrsfläche – stehen auf Rot.
Mehr als eine halbe Milliarde Euro allein für Mülheimer Straßen nötig
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Und das bedeutet. Sie sind eigentlich nicht mehr zu flicken, erklärte Blasch, sondern zu erneuern. Doch das kostet: 200 Euro pro Quadratmeter bei Straßen im roten Bereich – sie allein machten bereits rund 375 Millionen Euro aus. Mit 80 Euro pro Quadratmeter schlagen die „Gelbflächen“ (gut zwei Millionen Qm) zu Buche. Hierfür setzt Blasch rund 160 Millionen an. In Summe ist das ein Investitionsstau von konkret 535.690.600 Euro.
Nur wenig besser ist der öffentliche Nahverkehr dran. Hier wäre allein für Mülheim eine Investition von 322,5 Mio. Euro in Gleise, Stromversorgung, Betriebs- und Leittechnikeinrichtungen notwendig. Die Ruhrbahn hat in ihrer Wirtschaftsplanung darauf bereits mit einer Investition von insgesamt 200 Millionen Euro bis 2031 reagiert. Etwa ein Drittel davon sind allerdings Fördermittel.
Warum die Ruhrbahn besser dasteht
So will die Ruhrbahn mit rund 96,7 Mio. Euro die Infrastruktur erneuern, rund 49,2 Mio. fließen in „sonstige Fördermaßnahmen“ etwa die Barrierefreiheit. Etwa 40,6 Mio. Euro sind für neue Busse und Stadtbahnfahrzeuge gedacht und rund 13,5 Mio. für „sonstige betriebliche notwendige Investitionen“.
Gut 857 Millionen Euro wären notwendig um Straße und Schiene in Mülheim auf den neusten Stand zu bringen. „Das ist deutlich mehr, als ich erwartet habe“, muss Axel Hercher, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen, erst einmal durchatmen. Mit rund vier Millionen im Jahr, die Mülheim für seine Straßen derzeit beiseitegelegt hat, ist das nicht ohne eine deutliche Förderung durch Land und Bund nicht zu schaffen, sagt Hercher.
Selbst dann nicht, wenn Mülheim ab 2024 nicht mehr in der Haushaltssicherung sein wird. Denn auf die Ruhrstadt warten zu viele Baustellen auch an Schulen – „und wir wollen die einen nicht gegen die anderen ausspielen“.
Mülheim wird künftig noch mehr flicken müssen statt zu erneuern
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„Wir werden künftig mehr flicken müssen“, vermutet Hercher und sieht die Kommune unter Zeitdruck. Denn aus „gelben Straßen“ werden bald schon rote, schlimmstenfalls könnten auch Straßen gesperrt werden, die im schlechten Zustand sind. Es gäbe die Möglichkeit, dass Mülheim über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz Zuschüsse von Land und Bund erhalten könne, so Hercher, „ich bin aber nicht sehr optimistisch, dass die Städte damit künftig über dreistellige Millionenbeträge für ihre Infrastruktur verfügen werden.“
Die Auswirkungen des Investitionsstaus sind in Mülheim seit Jahrzehnten zu beobachten: Waren 2004 nur gerade einmal 17 Prozent der Straßen im roten Bereich, sind es heute rund 33. Der Anteil an „grünen“ Straßen ging im selben Zeitraum um zehn Prozentpunkte von 36 auf rund 26 zurück – besonders drastisch ist dies in den vergangenen sieben Jahren zu beobachten.
Weniger Kosten durch mehr Radwege?
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Also Sparen bei den Straßen? Siegfried Rauhut, verkehrspolitischer Sprecher der CDU, sieht dafür kaum eine Möglichkeit, selbst unter dem Aspekt der Verkehrswende hin zum günstigeren Fahrrad: Die Straßen seien in der Regel selten ,zu breit’, sondern man benötige meist mehr Platz für zusätzliche sichere Radwege, mehr Begleitgrün, so Rauhut: „Man kann sehen, dass die Kommunen für den Erhalt der Infrastruktur und die Verkehrswende unterfinanziert sind.“
Das Ziel müsse daher sein, zu priorisieren und ein Sanierungskonzept zu erarbeiten. Und dies in Kürze, mahnt Rauhut, denn die Baupreise steigen derweil weiter an, „in zwei Jahren können aus 200 Euro pro Quadratmeter 210 werden“.
Hoffnungsvoller sieht Rauhut, der auch im Aufsichtsrat der Ruhrbahn ist, die Lage des Nahverkehrsunternehmens. „Wir müssen sicher stellen, dass Busse und Straßenbahnen sicher und pünktlich sind. Mit 200 Millionen Investition sind wir auf einem guten Weg, zumal ein Großteil der Summe bereits etatisiert ist.“ Doch auch hier gilt: Je später investiert werde, desto teurer wird es.