Mülheim. Mülheims Wohlfahrtsverbände und Verbraucherschützer befürchten wegen der Energiepreis-Explosion soziale Notfälle. Gefordert seien Medl und Stadt.

Die Mitglieder der Mülheimer Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände (AGW) blicken mit großer Sorge auf den Herbst und Winter. Sie gehen davon aus, dass die gestiegenen Lebenshaltungs- und vor allem Energiekosten inklusive der Gasumlagen nicht wenige Mülheimer an ihre finanziellen Grenzen und darüber hinaus bringen werden. In einem Appell stellen sie Forderungen an die Medl und die Stadt auf. Beide haben noch am Freitag reagiert.

Dass Menschen in den kommenden Monaten verstärkt bei der Diakonie, Caritas, Awo, der Paritätischen, dem DRK und der Jüdischen Gemeinde um Hilfe bitten werden, ist für Michaela Rosenbaum, Geschäftsführerin der AWO, keine Frage: „Wir erwarten einen sprunghaft ansteigenden Beratungsbedarf von Ratsuchenden. Christiane Lersch, Leiterin der Mülheimer Verbraucherzentrale, weiß aus ihrer praktischen Arbeit, „dass Energieversorger teils sehr schnell damit sind, Strom und Gas abzustellen“.

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In einem ersten Schritt bereiten die Verbände deshalb ihre Mitarbeiter mit Schulungen auf die zu erwartenden Fragen und Themen vor.

Zudem soll die Vernetzung zwischen Verbraucherzentrale und den Wohlfahrtsverbänden verbessert werden. „Natürlich vermitteln wir Ratsuchende schon jetzt an andere Einrichtungen, aber es ist auch wichtig zu wissen: Welche Unterlagen brauchen die anderen. Was müssen die Klienten mitbringen, damit die Beratung naht- und problemlos weitergehen oder beginnen kann“, erläutert Mauno Gerritzen, der als Geschäftsführer des Paritätischen rund 40 Organisationen, Einrichtungen und Dienste vertritt.

Verbände fordern ein Bündnis auch mit Mülheimer Energieversorgern ein

Auch den Menschen in Mülheim stehen teure Zeiten bevor: Insbesondere durch die explodierenden Energiekosten drohen weitere Risse im sozialen Gefüge der Stadt.
Auch den Menschen in Mülheim stehen teure Zeiten bevor: Insbesondere durch die explodierenden Energiekosten drohen weitere Risse im sozialen Gefüge der Stadt. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Aus Sicht der AGW muss ein gemeinsames Bündnis mit der Kommune und weiteren Akteuren der Stadtgesellschaft, wie etwa Energieversorgern, geschlossen werden, um möglichst alle Mülheimer im Leistungsbezug frühzeitig zu erreichen und unterstützen zu können. „Für diese gesamtgesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe stehen wir gerne als Partner zur Verfügung“, signalisiert Birgit Hirsch-Palepu, Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes im Evangelischen Kirchenkreis, an Vertreter von Stadt, Verwaltung und Politik.

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Bei guten Worten und Appellen allerdings darf es aus Sicht der Wohlfahrtsverbände und der Verbraucherzentrale nicht bleiben: „„Wir brauchen ein Moratorium für Energieschulden“, fordert Lersch stellvertretend für die Kooperierenden. Und auch darin sind diese sich einig: Strom- und Gassperren während der aktuellen Krise dürfe es nicht geben.

Mülheims Medl sieht sich außerstande, Gas zu liefern, wenn Kunden nicht zahlen

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Jan Hoffmann als Vertriebsleiter des angesprochenen örtlichen Energieversorgers Medl zeigte sich am Freitag überrascht bis einigermaßen zerknirscht, dass die Sozialakteure und die Verbraucherzentrale einen öffentlichen Appell an seinen örtlichen Energieversorger richteten, ohne vorab einmal das Gespräch zu suchen. Die Medl sei für einen Austausch offen, machte Hoffmann gleichzeitig aber auch klar, dass sein Energie-Unternehmen nicht in der Lage sei, bei ausbleibenden Zahlungen der Kunden einfach weiter das teure Gas zu liefern. Rechnungen in Supermärkten und Restaurants seien auch zu bezahlen, sagte er.

Für Hoffmann ist der Staat gefragt, die extremen Schieflagen von Menschen mit geringen Einkommen auszugleichen. „Ich glaube, das wird schlimm“, blickt auch Hoffmann mit Sorge auf die Auswirkungen der explodierenden Gaspreise auf Menschen, die sich diese einfach nicht leisten könnten. Ihm graue es vor der Zeit, wenn eine Vielzahl von Kunden mit den Energiekosten überfordert sein würden.

Medl-Vertriebsleiter sieht den Staat gefordert, mehr finanzielle Entlastungen zu schaffen

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Die extremen Preissteigerungen am Markt, dazu die satten staatlichen Zulagen wie die Gasumlage (2,419 Cent pro Kilowattstunde netto) und nun die neu veranschlagten Umlagen für Bilanzierung (0,57 Cent/kWh) und Gasspeicher (0,059 Cent/kWh): „Das ist dramatisch, mir graut es da auch vor“, sagt Hoffmann. Ohne zusätzliche stattliche Hilfen werden seiner Meinung nach „viele Manschen mit normalen Jobs“ absehbar überfordert sein. Denn auch bei den Medl-Tarifen würden die explodierten Beschaffungskosten, wenn auch aufgrund der längerfristig austarierten Beschaffungsstrategie, absehbar durchschlagen. Bisherige Leistungen des Staates in Form von Neun-Euro-Ticket, Tankrabatt oder des einmaligen Kinderzuschlags reichten längst nicht aus, um vielen Bürgern Energie bezahlbar zu halten.

Örtlichen Wohlfahrtseinrichtungen bietet Hoffmann Unterstützung der Medl bei der Energiesparberatung an. Aber vor allem auch die Verbände selbst seien in der aktuellen Lage gefordert, ihre Hilfen zu forcieren, Menschen aufzuklären über einen möglichst sparsamen Umgang mit dem Heizen. Um etwa ein Energiespar-Infoblatt anzufertigen, stehe die Medl zur Verfügung.

Mülheims Sozialdezernentin begrüßt Bündnis, um Folgen der Energiekrise zu begegnen

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Zum Appell der Wohlfahrtsorganisationen und der Verbraucherzentrale nahm auf Anfrage auch Sozialdezernentin Daniela Grobe Stellung. „Ich habe das Thema natürlich auf der Agenda“, schrieb sie am Freitag. Sie sehe „besondere Herausforderungen, die sich nicht zuletzt aus dem Mix von drei Jahren Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Energiekrise mit Blick auf den sozialen Frieden in der Gesellschaft ergeben“. Das sei sehr ernst zu nehmen.

Grobe berichtete, bereits Sozialamt und Jobcenter zum Thema zusammengerufen zu haben. Ein gemeinsamer Termin mit der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände sei „in der Abstimmung“. Ein Bündnis zu schmieden, so Grobe, halte sie „für erforderlich, weil auch ich der Überzeugung bin, dass wir dieser gesamtgesellschaftlichen Herausforderung nur zusammen werden begegnen können, jeder mit seinen Kompetenzen und Zugängen“.