Mülheim. Die Kündigung kam Weihnachten 2020 als unschöne Bescherung: So geht es Ex-Mitarbeitern einer Tochterfirma der Mülheimer Schauenburg-Gruppe heute.
Es war der Sonntag nach Weihnachten vor einem Jahr, der 27. Dezember: Um 19.52 Uhr verkündet die Konzernpressestelle von Schauenburg International in einer Mitteilung für die Medien, dass die Tochtergesellschaft „Schauenburg Tunnel Ventilation“ ihren Betrieb einstellen wird. Da aber hatte längst der Baum gebrannt: Ihren Mitarbeitern hatte das Unternehmen die unfrohe Botschaft unmittelbar vor den Weihnachtstagen verkündet. Unfrohe Botschaft und unschöne Bescherung: Drei Mitarbeiter erinnern sich und erzählen, was aus ihnen geworden ist.
Sie sprechen „von drüben“, von der anderen Seite, wenn sie heute, ein Jahr danach, die Entscheidung der Konzernlenker rekapitulieren, ihren Betrieb zu liquidieren. Liquidieren: Das haben die „da drüben“ in ihrer nüchternen Verlautbarung für die Öffentlichkeit an jenem Sonntag nach Weihnachten 2020 so formuliert. „Den Laden einfach dichtgemacht“ entspricht dann doch eher der Gefühlslage, mit der Wolfgang Schück, Basri Özcan und Markus Binder damals so kurz vor dem Fest zu kämpfen hatten. Sie zählten zu denen, die zwei Tage vor Weihnachten nach Hause gehen mussten und ihren Familien erzählen mussten: Du, ich bin gekündigt.
Mülheimer Firma ließ kurz vor der Kündigung Sonderschichten fahren
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Da drüben. Auf der anderen Seite der Weseler Straße, gegenüber der Schauenburg-Zentrale, hatte die „Tunnel Ventilation“ ihre Produktionsstätte. Belüftungstechnik für den Berg- und Tunnelbau war ihr Metier. Alle bestehenden Aufträge würden noch abgewickelt, hieß es am Tag nach Weihnachten seitens der Schauenburg-Presseabteilung. „Unsere Bestandskunden können sich sicher sein, dass bereits beauftragte Produkte in der gewohnten Qualität ausgeliefert werden“, erklärte Geschäftsführer Stefan Neumann dazu.
„Baron von Münchhausen“ sei der Geschäftsführer in der Belegschaft genannt worden, blickt Ex-Mitarbeiter Markus Binder zurück. Der 52-Jährige hatte bei Schauenburg von 1985 bis 1988 Technischer Konfektionär gelernt, nach 20 Jahren auf beruflich anderen Pfaden war er 2011 zu „Tunnel Ventilation“ zurückgekehrt. Dass das Unternehmen zum Aus der Firma zuvorderst betont hat, alle Aufträge noch „in der gewohnten Qualität“ zu erledigen, verbittert ihn.
23 Mitarbeiter standen zu Weihnachten 2020 plötzlich vor dem Nichts
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Noch bevor die Geschäftsführung den Mitarbeitern am 22. Dezember mündlich das Aus der Firma verkündet habe, habe sie für den Dezember 2020 vier, fünf Mitarbeitern, auch ihm, Überstunden abverlangt, damit Waren noch vor Weihnachten rausgehen hätten können. Man habe die Kollegen Überstunden fahren lassen und gleichzeitig in Unkenntnis darüber gelassen, was ihnen blühe, so Binder.
23 Mitarbeiter hatte „Tunnel Ventilation“ am Ende noch. Zu Weihnachten 2020 war ihnen kurzerhand vor Augen geführt, dass niemand mehr mit ihnen plante. Wolfgang Schück (60) hatte, nachdem er aus gesundheitlichen Gründen eine Fleischerlehrer hatte abbrechen müssen, am 1. September 1980 als Ungelernter zu Schauenburg angeheuert, war als Maschinenführer beschäftigt. „41 Jahre wären es in diesem Jahr gewesen“, sagt er.
„Ganz toll, dass der Arbeitgeber so viel Rücksicht genommen hat“
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„Es war genug Arbeit da“, erinnert sich Schück an damalige Gespräche mit Kollegen, die noch im Dezember besagte Sonderschichten gefahren hätten. Schück selbst war zu jenem Zeitpunkt dauerhaft krankgeschrieben, als ihn ein Tag vor dem Fest das Kündigungsschreiben erreichte. Ihn hatte es schwer getroffen: Schlaganfall! Noch heute kämpft er sichtbar mit den Folgen, hat „zum Glück“ die Frühverrentung durch, musste nicht in „Hartz IV“. Sein Job bei „Tunnel Ventilation“ hätte er wohl ohnehin nicht mehr aufnehmen können. Die Verbitterung über die Kündigung als „Weihnachtsbescherung“ aber bleibt, er drückt es sarkastisch aus: „Ganz toll, dass der Arbeitgeber so viel Rücksicht genommen hat.“ Kollege Binder fasst sich kurz: „Das Weihnachtsfest war gelaufen.“
Kündigungsschutzklagen seien alle im Sande verlaufen, berichtet Basri Özcan (50). Er hatte noch dran geglaubt, dass die Firma verkauft würde, um Perspektive zu haben. „Eine Ausrede“, sagt der ehemalige Maschinenführer heute. 20 Jahre sei er im Betrieb gewesen, habe „gutes Geld verdient“. Er sagt: „Was sie mit uns gemacht haben, war scheiße. Ein kurzer Prozess. Sie haben vorher nichts angekündigt, uns verarscht.“
Maschinenführer (50) sucht noch heute nach einer neuen Arbeit
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Özcan gibt an, einer der Wenigen gewesen zu sein, die ein „Angebot von der anderen Seite“ zur Übernahme in einem anderen Schauenburg-Betrieb bekommen hätten. „Für 12,30 Euro brutto, befristet auf ein halbes Jahr. Ich habe vorher 17,55 Euro in der Stunde verdient und habe denen noch gesagt: Geben Sie mir 16 Euro und einen Festvertrag. Das wollten die aber nicht.“
Özcan hat das Angebot abgelehnt, ist heute noch arbeitslos. 50 Jahre alte Maschinenführer seien am Arbeitsmarkt wohl wenig gefragt, berichtet er von erfolglosen Bewerbungen. Langsam würde es aber Zeit, eine neue Arbeit zu finden. Die Eigentumswohnung will weiter abbezahlt werden. Die Frau, eine gelernte Lehrerin, sei an Multiple Sklerose erkrankt und könne nichts mehr zum Familieneinkommen beisteuern als eine Erwerbsminderungsrente. Özcan liebäugelt damit, sich mit einem Lehrgang fit zu machen, um fürs Ordnungsamt auf die Straße zu gehen. Das sucht bekanntlich händeringend Verstärkung. „Das wäre was für mich“, ist er sich sicher.
Unsicherheit zur Zukunft gab es allerdings schon seit Jahren
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„Wir haben hart dafür gekämpft, dass unser Unternehmen erhalten bleiben kann, denn wir wissen, dass unsere Mitarbeiter ihre Arbeit immer mit viel Einsatz erledigt haben“, hat sich Geschäftsführer Neumann nach Weihnachten 2020 zitieren lassen. Auch Markus Binder erzählt, dass die Lage schon vor der dann doch überraschenden Kündigung unsicher gewesen sei. Mal seien verschiedene Schauenburg-Töchter weltweit zusammengeführt worden, um sie schick zu bündeln für mögliche Investoren. Dann seien sie wieder getrennt worden. Immer wieder sei von einem Verkauf die Rede gewesen. Investoren seien abgesprungen.
Ausscheidende Mitarbeiter seien zuletzt nicht mehr ersetzt worden, ergänzt Schück. Das Gerücht zur Betriebsstilllegung sei „seit Jahren rumgegangen“. Das Aus aber habe die Kollegen doch von heute auf morgen ereilt . . .
„Wir danken allen Mitarbeitern vielmals für ihr Vertrauen und ihre Leistung“
Die Schauenburg Gruppe
Hans-Georg Schauenburg hat die heutige Schauenburg Gruppe 1954 in Mülheim gegründet. Aus der Unternehmensgruppe sind zwischenzeitlich zwei unabhängige Unternehmensgruppen hervorgegangen: Schauenburg Technology und Schauenburg International.
Schauenburg Technology zählt sich zu den größten Kunststoffschlauch-Herstellern weltweit. Produktionsstätten für das sehr breite Produktportfolio (von Schläuchen für den Gartenpool bis hin zu welchen für die Chemiebranche) verteilen sich nicht nur über vier EU-Länder, sondern auch über Nordamerika und China.
Schauenburg International agiert als strategischer Investor und steckt weltweit Geld in profitable, etablierte Industrieunternehmen, aber auch in vielversprechende Technologie-Entwickler. Im Fokus dabei sind Marktführer in technologischen Nischenmärkten.
„Nachdem alle bisherigen Sanierungsmaßnahmen nicht gefruchtet haben, war die Liquidation trotzdem keine leichte Entscheidung“, sagte ein Sprecher der Konzernleitung Ende 2020. „Aber die Kernprodukte lassen sich in Deutschland schon lange nicht mehr kostendeckend produzieren. Wir danken allen Mitarbeitern vielmals für ihr Vertrauen und ihre Leistung. Wir sind uns sicher, dass wir durch diesen Prozess so sozialverträglich wie möglich handeln.“
„Ich bin auf 5000 Euro Minus sitzen geblieben“, sagt Binder, der für sich reklamiert, „die ganzen Jahre falsch eingruppiert“ gewesen zu sein. Er steht der Geschichte der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit skeptisch gegenüber: „Wir haben doch 80 Prozent unserer Folien selbst aus China bekommen.“ Heute kann der 52-Jährige aber doch mit Schauenburg abschließen. Am 30. April 2021 lief seine Kündigungsfrist ab, am 1. Mai startete für ihn ein neuer Job beim Mülheimer Unternehmen „Waterworld“, das im Pool-Bau sein Geld verdient. Er sei glücklich, „es macht Spaß, man lernt jeden Tag dazu, es sind gute Arbeitskollegen“.
Ex-Mitarbeiter wünscht Firma „ein gesegnetes Weihnachtsfest. . . Genau so, wie wir es hatten“
Weihnachten 2021. Ein Jahr danach. Binder ist weiter „wütend und enttäuscht“, die Verbitterung über das prompte Ende bei „Tunnel Ventilation“ bleibt ihm wie seinen Kollegen Basri und Schück. Letztgenannter wünscht seinem alten Arbeitgeber „ein gesegnetes Weihnachtsfest. . . Genau so, wie wir es hatten.“ Er selbst glaubt nicht, an den Feiertagen an Schauenburg denken zu müssen. Er will einfach nur: Weihnachten genießen.