Mülheim. Biontech soll nur noch begrenzt an die Praxen gehen. Dafür soll Moderna verimpft werden. Das Doc-Net Mülheim empört sich in einem offenen Brief.

Die angekündigte Deckelung der Lieferung von Biontech-Impfstoff an die impfenden Arztpraxen ab dem 29. November, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am vergangenen Freitag erklärte, hat auch in der Mülheimer Ärzteschaft für helle Empörung gesorgt. In einem offenen Brief an NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann fordert das Doc-Net Mülheim, das Netzwerk der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte: „Stoppen Sie die Verordnung von Minister Spahn zur Rationalisierung des Impfstoffes.“

Hintergrund der Verordnung, dass jeder Arzt, jede Ärztin, künftig nur noch fünf bis acht Vials (Impfstofffläschchen) mit etwa 35 bis 56 Impfdosen Biontech bestellen darf, ist, dass der eingelagerte Moderna-Impfstoff, der von Deutschland auch in großen Mengen bestellt wurde, Anfang des kommenden Jahres zu verfallen droht. Moderna und Biontech nutzen beide die Messenger-RNA-(mRNA)-Technologie, beiden wird auch eine sehr hohe Wirksamkeit attestiert. Der hoch dosierte Impfstoff von Moderna (Handelsname Spikevax) wird aber nur an Menschen über 30 Jahre verimpft.

Impfwillige müssen auch in Mülheim von einem anderen Impfstoff überzeugt werden

Biontech (Handelsname Comirnaty) ist aber der mit Abstand beliebteste Impfstoff in der Bevölkerung, die Menschen kennen ihn von ihren Erst- und/oder Zweitimpfungen. Die erwartbaren und zeitraubenden Diskussionen mit den Patienten befürchten die Mülheimer Ärzte. Denn sie haben ja schon bis Weihnachten ihre Termine gemacht, und alle Patienten erwarten, Biontech gespritzt zu bekommen. „Haben Sie eine Ahnung, was das an Zeit und Mühe kostet“, fragt das Doc-Net in seinem Brief an Laumann. „Schon ein Gespräch mit Impfzweiflern kostet enorme Kraft.“ Nun aber müssten durchaus Impfwillige auf einen anderen Impfstoff eingeschworen werden. „Das hätte man doch besser kommunizieren können!“, ärgert sich Dr. Peter Ramme, der Vorsitzende des Mülheimer Doc-Nets.

Peter Ramme begrüßt aus ärztlicher Sicht durchaus, dass der eingelagerte Moderna-Impfstoff nicht weggeworfen wird. Moderna dürfte jetzt wohl auch unbegrenzt von den Praxen bestellt werden. Aber die Art der Kommunikation kritisiert er scharf: „Wir werden an einem Freitagnachmittag vor vollendete Tatsachen gestellt, bekommen die Entscheidung einfach vor den Latz geknallt.“ Für einen anderen Impfstoff, so Ramme, brauche es auch neue Aufklärungsbescheinigungen, die Handhabung sei anders, das Praxispersonal müsse geschult werden. Ein zusätzlicher Aufwand, der vollkommen unnötig sei. Denn all das koste wertvolle Zeit, so das Doc-Net in seinem Brief an Laumann: „In ganz NRW versuchen Haus- und Facharztpraxen, alles möglich zu machen, um Erst-, Zweit- und Boosterimpfungen durchzuführen“, erinnert das Doc-Net-Schreiben etwa an Sonderimpfaktionen an den Wochenenden. „Die Leute wollen zum größten Teil Biontech haben“, weiß Dr. Ramme auch aus seiner Praxis. „Sie wissen, es ist gut verträglich.“

Mülheim hat Erfahrung mit der Anwendung des Moderna-Impfstoffs im Impfzentrum

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Dr. Stephan von Lackum, Hausarzt, Mülheimer Impfarzt und Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Mülheim, hat den offenen Brief mitunterschrieben. Auch seine Praxis hat mit Impfwilligen Biontech-Termine bis in den Januar hinein gemacht. Rund 250 Impfungen pro Woche hat er geplant. Die Zusage für Biontech werde man, für die Patienten über 30 Jahre, bei einer Deckelung aber nicht halten können. „Technisch und medizinisch, also in der Herstellung und der Wirksamkeit, gibt es zwischen den Impfstoffen keinen Unterschied“, sagt er. „Wir haben in Mülheim Erfahrung mit Moderna in der breiten Anwendung“, erinnert Dr. von Lackum daran, dass Moderna im Mülheimer Impfzentrum im Frühjahr im großen Stil an berechtigte Gruppen, etwa an Pflegende, verimpft wurde. „Das war völlig unkompliziert, der Impfstoff war gut verträglich.“

Man muss immer genug Impfwillige für den Moderna-Impfstoff haben

Vergleichbare Impfstoffe

Das Paul-Ehrlich-Institut auf der Homepage: Die Impfstoffe Comirnaty von Biontech und Spikevax (Moderna) sind hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit/Effektivität vergleichbar.

Auch die Zweitimpfung mit Spikevax nach Johnson & Johnson sowie die heterologen Drittimpfungen nach vorheriger Impfung mit Astrazeneca oder Biontech haben nach Studien eine Erhöhung der Antikörpertiter bei Geimpften ergeben.

Für die Praxen tut sich aber ein weiteres Problem bei der Verwendung von Moderna auf, darauf verweist Hausarzt Uwe Brock. „Ein Vial Moderna enthält 24 Dosen. Einmal geöffnet, müssen 24 Personen innerhalb von kurzer Zeit geimpft werden.“ Man muss als immer genug Impfwillige haben, sonst droht die Vernichtung des Impfstoffs.

Das Doc-Net findet in seinem offenen Laumann-Brief, der im Bereich der Ärzteschaft Nordrhein breit verteilt wurde, abschließend deutliche Worte: „Sollten Sie diesen Irrsinn nicht stoppen können, werden Sie damit rechnen müssen, dass viele Praxen nicht mehr impfen, sondern zum Regelbetrieb übergehen, um sich wieder mit Zeit und Hingabe den Patientinnen und Patienten zu widmen, die wirklich krank sind und unserer Zeit und Hilfe dringender bedürfen!“ In Mülheim impfen derzeit 55 von über 300 Arztpraxen.