Mülheim. Die Telefone in den Arztpraxen stehen nicht still, im Impfzentrum kommen Nachfragen wegen der Kreuzimpfung an. Kaum jemand will noch Astrazeneca.
Nachdem die Ständige Impfkommission (Stiko) am Donnerstag überraschend mitgeteilt hatte, dass Menschen mit einer Astrazeneca-Impfung im zweiten Anlauf einen mRNA-Impfstoff wie Biontech oder Moderna erhalten sollen, stehen in den Mülheimer Arztpraxen und im Impfzentrum die Telefone nicht mehr still.
„Die Stiko-Entscheidung wird den ohnehin hohen Arbeitsaufwand der Praxen in den kommenden Wochen noch einmal immens erhöhen, da die Terminreihenfolge jetzt in vielen Fällen neu organisiert werden muss“, sagt Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Auch sein Mülheimer Kollege Dr. Stephan von Lackum sagt: „Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaffen das bei laufendem Betrieb mittlerweile nicht mehr.“
Impfarzt ärgert sich über „urplötzlich getroffene Entscheidung“
Wie viele andere hätte sich auch der leitende Impfarzt im Broicher Impfzentrum einen größeren Vorlauf gewünscht. „Für diejenigen, die es ausführen müssen, kommt es immer in einer Nacht- und Nebelaktion“, ärgert sich von Lackum über die in seinen Augen „urplötzlich getroffene Entscheidung.“
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Der Mediziner ärgert sich vor allem deswegen, weil die Impfstoff-Bestellungen für die kommende Woche jeweils am Dienstag rausgehen. Also zwei Tage vor der jüngsten Ankündigung. „In dieser Woche müssen also einige eventuell ihren Termin verschieben“, so van Lackum. Ab der kommende Woche stehe in jedem Fall genügend Impfstoff zur Verfügung.
Was geschieht mit den Astrazeneca-Dosen?
Hausarzt Dr. Uwe Brock kann dahingehend Entwarnung geben. „Wir haben immer die siebte Dosis gezogen und verfügen deswegen über kleinere Reserven“, erklärt er. Auch Brock hätte sich einen größeren Vorlauf gewünscht. „Die Leitlinien des RKI gelten aber als Handlungsmaßstab“, betont der Mediziner.
Keine Verkürzung des Zeitabstandes
Geht es nach der kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, sollten Astrazeneca-Impflinge möglichst darauf verzichten, ihre Termine für die Zweitimpfung nun zu verschieben oder den Zeitabstand zwischen erster und zweiter Impfung verkürzen zu wollen.
„Änderungen am stringenten und Wochen vorher festgelegten Terminablauf in den insgesamt 28 Impfzentren im Rheinland während des laufenden Betriebes sind extrem komplex“, teilte die KV mit.
Aber was passiert nun mit den ganzen Dosen an Astrazeneca-Impfstoff? „Die werden wir kaum noch los“, sagt von Lackum, nachdem er am Wochenende zwölf Stunden lang Dienst im Impfzentrum geschoben hat. Das hat zur Folge, dass deutschlandweit noch Millionen von Dosen ungenutzt zur Verfügung stehen. „Ich habe allein 250 Astra-Impfungen im Kühlschrank“, sagt Dr. Uwe Brock.
Mülheimer Hausarzt möchte Altenheime mit dem Impfstoff versorgen
Der Mediziner aus dem Ruhrquartier hat eine klare Vorstellung, was mit dem Impfstoff passieren soll: „Wir gehen für die Grippeimpfung ohnehin bald in die Altenheime. Dort sollten wir den Impfstoff anbieten. Dann könnten wir die Heime auch wieder öffnen und müssten sie nicht wie Fort Knox abriegeln“, findet Brock. Schließlich sei der Astrazeneca-Impfstoff länger haltbar und besser transportierbar. Zudem sei der Vektorimpfstoff ohnehin der bessere für Menschen ab 80 Jahren.
„Die Kreuzimpfung sollte auch in die andere Richtung funktionieren“, sagt Brock, möchte es aber freilich mit wissenschaftlichen Daten untermauert wissen. Denn nur dann würde das RKI tätig und damit auch die Länder. Und erst dann käme die Möglichkeit auch für Mülheim in Frage. Brock: „Oder wir geben es mit Kühlketten in die Dritte Welt.“