Mülheim. Nach fast 30 Jahren wechselt die Leitung der Mülheimer Ginko-Stiftung. Die anerkannten Experten für Suchtprävention helfen Menschen jeden Alters.
Jürgen Hallmann, Leiter der Mülheimer Ginko-Stiftung und ihrer Fachstellen, zieht sich mit 70 Jahren zurück. Der 29. Oktober ist offiziell sein letzter Arbeitstag. Im Interview stellt sich auch sein Nachfolger vor: Diplom-Sozialwirt Armin Koeppe (47).
Herr Hallmann, seit 1979 gibt es Ginko, Sie sind ein Mann der ersten Stunde. Was war damals eigentlich der Anlass, die Jugendberatung zu gründen?
Hallmann: Ich war nach meinem Studium in der Drogenberatung in Duisburg tätig, und es wurde deutlich, dass Verbote und Abschreckung nichts bringen. Sondern, dass es hier um Verhaltensmuster geht und darum, den Jugendlichen Kompetenzen mitzugeben, um mit Konflikten ohne diese Hilfsmittel umzugehen. Auch den Eltern muss man dies vermitteln. Das war und ist die Idee von Ginko. Den damaligen Leiter Peter Chwalczyk habe ich in Mülheim kennengelernt und dann dort angefangen.
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In den Achtzigern gab es eine Surfgruppe für Kiffer
Eines der ersten Projekte in den achtziger Jahren war eine Surfgruppe für Kiffer. Mittlerweile gehört auch Suchtvorbeugung für Senioren zum Ginko-Programm. War das früher ein Tabu?
Hallmann: Es war ein Tabu und Alkoholmissbrauch im Alltag generell kein großes Thema. Dabei zieht sich die Problematik bis ins hohe Alter. Immer wieder geraten wir im Leben in neue Situationen, die wir kompetent meistern müssen.
Haben Sie Kinder? Vielleicht auch schon Enkelkinder?
Hallmann: Ja. Beides.
Eltern sollten die Freunde ihrer Kinder kennen
Aus ihrer langen beruflichen und persönlichen Erfahrung: Was können Eltern tun, um ihre Kinder vor Suchtverhalten zu schützen?
Hallmann: Über alles sprechen. Für alles offen sein, auch nachfragen. Freunde und Bekannte der Kinder kennen, ein offenes Haus haben. Wichtig ist auch die Vorbildfunktion: Wie gehe ich selber mit Konflikten und Krisen um? Wie gehe ich mit Suchtmitteln um?
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Was hat für Sie persönlich hohes Suchtpotenzial?
Hallmann: Ich bin zwar Weintrinker, doch da sehe ich keine Gefahr. Am ehesten gefährdet bin ich wohl im Arbeitsleben. Dass ich den Absprung nicht schaffe.
Aber Sie gehen doch jetzt in den Ruhestand. Ihr Nachfolger übernimmt zum 1. November.
Hallmann: Es ist ein langsames Ausschleichen, ich arbeite im kleinen Umfang noch weiter, weil ich einige Landesprojekte zu Ende führen möchte. Spätestens Ende 2022 ist aber Schluss.
Neuer Ginko-Chef übernimmt ein „gesundes Unternehmen“
Herr Koeppe, Sie leiten künftig die Ginko-Stiftung, die Landesfachstelle und das für Mülheim zuständige Team. Worin genau besteht diese Arbeit?
Koeppe: Die eigentliche Verantwortung liegt darin, sich gut zu vernetzen, in der Stadt, aber auch in der Landeskoordination. Ich muss mir einen genauen Überblick darüber verschaffen, was in NRW in Sachen Suchtprävention läuft. Oft schaut man auch auf das gesamte Bundesgebiet oder ins benachbarte Ausland.
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Mit dem Abschied von Jürgen Hallmann geht eine Ära zu Ende. Immerhin war er Ginko-Chef seit 1993...
Koeppe: Ich übernehme ein sehr gesundes Unternehmen, das viel auf den Weg gebracht hat. Und ich trete in sehr große Fußstapfen. Herr Hallmann ist einer der Präventionsexperten landesweit und auch bundesweit.
Was steht ganz oben auf Ihrer Agenda?
Koeppe: In Sachen Digitalisierung gibt es noch einiges zu tun. Aber natürlich können und wollen wir nicht alles digital machen. Das Ziel muss sein, hier eine gute Mischung aus Digitalem und Präsenz hinzubekommen.
Stiftung springt ein, wenn das Geld knapp wird
War die Finanzierung von Ginko über all die Jahre immer gesichert?
Hallmann: Nein, anfangs war es ja nur ein befristetes Projekt. Ich habe zwei Mal fast die Kündigung bekommen. Aber inzwischen hat sich Ginko etabliert, weil erkannt wurde, wie wichtig diese Stelle ist.
Welche Rolle spielt dabei die Ginko-Stiftung?
Hallmann: Sie finanziert nicht unser operatives Geschäft, aber sie steht hilfreich im Hintergrund, falls wir weniger Einnahmen haben. Sie gibt uns eine wichtige Sicherheit.
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Wie hat sich die Suchtprävention seit den siebziger Jahren verändert? Welche Umbrüche haben Sie erlebt?
Hallmann: Als wir anfingen, haben sich alle nur auf die illegalen Drogen gestürzt. Wir haben erstmals auf legale Drogen geguckt. Ein großer Wandel war es, als in den achtziger Jahren Ecstasy aufkam. Und Ende der neunziger Jahre haben sich dann die sogenannten „Legal Highs“ stark verbreitet. Vorgeblich legale Suchtstoffe, die aber sehr gefährlich werden können, wenn Jugendliche sie konsumieren. Das reicht von gar nichts merken bis zur Einweisung in die Psychiatrie.
Seit Ginko-Gründung dabei
Das Gesprächs-, Informations- und Kontaktzentrum (Ginko) wurde 1979 in Mülheim eröffnet. Zunächst war es eine reine Jugendberatung im früheren Büro der Heilsarmee an der Kettwiger Straße.
Der spätere Leiter Dr. Jürgen Hallmann war von Anfang an dabei. Der Diplom-Pädagoge begann als ABM-Kraft.
Bis 1982 war Ginko ein Modellprojekt, dessen Verlängerung laut Hallmann auch mehrfach auf der Kippe stand.
Danach wurde die Jugendberatung erweitert um die örtliche Fachstelle und die Landesfachstelle für Suchtvorbeugung. Die Leitung aller Bereiche sowie auch der Ginko-Stiftung liegt in einer Hand.
Seit fast 40 Jahren sitzt Ginko an der Kaiserstraße 90. Zum Team gehören 16 Fachleute mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Viele Jugendliche meistern die Krise
An welche persönlichen, menschlichen Schicksale erinnern Sie sich?
Hallmann: Da gab es viele Geschichten im Laufe der Zeit. Beispielsweise habe ich Mädchen betreut, deren Freunde an Heroin gestorben sind. Die Mädchen haben erst Rat gesucht, kamen später wieder und sagten, ihr Freund sei gestorben, mit der Nadel im Arm. Manche Schicksale hat man da erlebt. Aber auch viele erfreuliche Dinge...
Zum Beispiel?
Hallmann: Jugendliche, die früher bei uns in der Beratung waren, haben heute eigene Betriebe oder selber Kinder. Mit ihnen ist man gemeinsam durch eine schwierige Zeit gegangen, und es ist schön zu sehen, dass sie die Krisen gemeistert haben. Dass es ihnen heute gut geht.
Bitte vollenden Sie den Satz: „Wenn es Ginko seit 1979 nicht gegeben hätte...“
Hallmann: ...wäre die Zahl der Abhängigen sicher höher.