Mülheim. . Wenn Jugendliche viel Zeit am Handy verbringen, ist das meist keine Sucht, meinen Experten von Ginko, sondern ein Erziehungsauftrag der Eltern.
Wenn Kinder oder Jugendliche viele Stunden täglich am Handy kleben, steht schnell der Begriff „Online-Sucht“ im Raum. Tatsächlichhat die Weltgesundheitsorganisation WHO Computerspielsucht kürzlich offiziell als Krankheit klassifiziert: „Gaming Disorder“, die exzessive Nutzung von Online- aber auch von Offline-Spielen.
Was im Alltag in Familien Konflikte hervorruft, ist damit aber meist unzureichend beschrieben. „Da wird vieles zusammengeworfen und zunehmend psychiatrisiert“, sagt Dr. Hans-Jürgen Hallmann, Leiter der Ginko-Fachstelle für Suchtvorbeugung in Mülheim. „Wo ist Medienkompetenz gefragt? Wo haben wir es mit einer Störung zu tun? In vielen Fällen ist exzessive Online-Nutzung keine Frage von Krankheit, sondern einfach ein Erziehungsauftrag.“
Früher hat man stundenlang telefoniert
Für Jugendliche, so Hallmann, gebe es heutzutage kaum noch Rückzugsgebiete, in denen sie sich frei bewegen können. Ihr Alltag sei sehr leistungsorientiert. Und: „Die Kommunikationswege sind andere. Früher hat man stundenlang telefoniert.“
In der Jugendberatung bei Ginko sprechen aber gelegentlich Eltern vor, die sich ernsthaft Sorgen machen, ihr Kind könnte online-süchtig sein. „Sie kommen zu uns, wenn die Schulnoten nicht mehr stimmen, wenn Jugendliche sich nicht mehr mit anderen treffen oder nicht mehr zum Fußball gehen“, berichtet Britta Nienhaus-Schlüter, Beraterin und Familientherapeutin. „Wir haben wenige solcher Anfragen, aber die Fälle sind relativ schwierig. Meist ist dann schon länger etwas schief gelaufen.“
Eltern mit Handy am Mittagstisch
Sie fragt dann nach, wie es in der Familie generell läuft, ob es noch gemeinsame Mahlzeiten gibt, verbindliche Absprachen. „Medienregeln“, sagt sie, „sind die am wenigsten vorgelebten Regeln. Erwachsene, die mit dem Handy am Mittagstisch sitzen, sind auch Vorbilder. Jugendliche wollen Regeln, so lange sie noch erreichbar sind.“
In wirklich ernsten Fällen ergebe sich oft eine Doppeldiagnose, dass beispielsweise ausufernder Medienkonsum mit einer Depression einher geht. „Dann verweisen wir weiter an therapeutische Einrichtungen“, so Nienhaus-Schlüter.
Norbert Kathagen, ebenfalls Berater bei Ginko, meint aus langjähriger Erfahrung: „Man kann Jugendliche nicht regellos den Medien aussetzen. Das hat mit Sucht nicht unbedingt etwas zu tun.“ Er bedauert daher auch, dass kaum noch Medienpädagogen an den Schulen tätig sind, die diesen Erziehungsauftrag mit übernehmen.
Selbsttest mit App möglich
>>Vor etwa zweieinhalb Jahren hat die Mülheimer Ginko-Stiftung gemeinsam mit Schulklassen eine App entwickelt, mit der man den eigenen Medienkonsum testen und einschätzen kann: „WhatsOn“. Kostenloser Download wird angeboten für Smartphones, PCs oder als Facebook-App (www.ginko-stiftung.de
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