Mülheim. Der Schandfleck am Mülheimer Rathausmarkt bleibt auf unbestimmte Zeit. Warum die Stadt den Bürgervorschlag zur künstlerischen Verhüllung ablehnt.

„Wir begrüßen, dass sich die Bürgerschaft engagiert“, bekundete der Amtsleiter für Stadtplanung, Felix Blasch, im Planungsausschuss am Dienstag. Um im nächsten Atemzug den „Christo’schen Verhüllungsvorschlag“ für die Kioskruine am Rathausmarkt abzulehnen: zu teuer, zu kompliziert sei die Anregung eines Bürgers – womöglich. Damit aber droht der „guten Stube“ der Stadt weiterhin der unverhüllte Blick auf den Schandfleck für die kommenden Jahre.

Architekt Stolz schlug „kostenneutrale“ Verschönerung vor – „kenne Mülheimer Firmen, die was machen wollen“

,Abgebügelt’ hätte man die Argumentation der Verwaltung durchaus auch nennen können. Denn weder zu den Kosten für die vom Architekten Günther Stolz vorgeschlagene künstlerische Verhüllung nach Christo, noch zu den Schwierigkeiten etwa beim Verlegen des Stroms für eine Beleuchtung der dann ,betuchten’ Bauruine konnte Blasch genaue Angaben machen. Auch ein möglicher „Investor“, den der Amtsleiter ins Spiel brachte, stellte sich auf Nachfrage der Politik als doch „nicht spruchreif“ heraus.

Der Anblick des Rathausmarktes mit dem Kiosk-Schandfleck wird den Mülheimerinnen und Mülheimern wohl noch länger erhalten bleiben. Die Stadtverwaltung will nun ein „Gesamtkonzept“ erarbeiten. Im Ausschuss zoffte sich bereits die Politik über eine mögliche Neuausrichtung.
Der Anblick des Rathausmarktes mit dem Kiosk-Schandfleck wird den Mülheimerinnen und Mülheimern wohl noch länger erhalten bleiben. Die Stadtverwaltung will nun ein „Gesamtkonzept“ erarbeiten. Im Ausschuss zoffte sich bereits die Politik über eine mögliche Neuausrichtung. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Stolz selbst hatte als Gastredner in der Ausschusssitzung vorgeschlagen, die Aktion über Sponsoren zu finanzieren. „Wollen wir den Zustand auf dem Rathausmarkt noch jahrelang aushalten? Mein Anliegen ist es, schnell und pfiffig etwas zu schaffen, das kostenneutral ist. Ich kenne Mülheimer Firmen, die wollen etwas machen“, schob der Architekt nach.

Überwiegend Zuspruch der Politik, aber auch Kritik der AfD und SPD

Und auch die Politik zeigte sich überwiegend angetan: CDU-Sprecherin Petra Seidemann-Matschulla lobte die gute Idee. „Warum sollen wir nicht das Experiment wagen?“, fragte sie. Die Akteure und die Stadt sollten sich zusammensetzen. Sonja Strahl (Die Partei) fand den Vorschlag ebenfalls „sehr gut. Die Verwaltung sollte die Umsetzbarkeit prüfen“. Und auch die FDP schloss sich den Lobesbekundungen an. Der Grüne Axel Hercher stellte zudem die angeblich komplizierte Zurückverlegung des Stroms an den Kiosk in Frage: „Das soll zu aufwendig sein? Über welche Beträge reden wir?“

Einzig AfD und SPD reagierten mit Kritik auf den Bürgervorschlag: „Abreißen und Parkplätze schaffen oder Grün“, forderte Tobias Laue (AfD), der Kiosk habe „keinen gewerblichen Nutzen“. Filip Fischer sah „kleine Ideen“ nicht als zielführend, die SPD wolle eine „Lösung mit Zufriedenheit für alle“ finden. Doch trotz einer augenscheinlich mehrheitlichen Befürwortung blieb der Bürgerantrag im Ausschuss ohne eine politische Abstimmung.

Neun Jahre nach Charrette-Verfahren soll Verwaltung ein neues „Gesamtkonzept“ vorlegen

Dass die Stadtplanung vor der Sitzung eine Audienz beim Oberbürgermeister hatte, ließ Blasch durchblicken. Dort habe sie den Auftrag erhalten, ein neues „Gesamtkonzept für den Rathausmarkt“ zu erarbeiten. Passte der Bürgervorschlag der Rathausspitze also nicht in den Plan? Der (Gegen-)Vorschlag der Verwaltung zum Bürgerantrag zumindest lässt erahnen, dass die Mülheimer noch Jahre auf den Schandfleck am Rathausmarkt blicken werden.

Mehr Grün, eine Stadtbühne und ein Platzcafé mit öffentlicher Toilette haben Mülheimerinnen und Mülheimer in einem dreitägigen Charrette-Verfahren vor rund neun Jahren erarbeitet: Umgesetzt hat die Stadt davon jedoch wenig.
Mehr Grün, eine Stadtbühne und ein Platzcafé mit öffentlicher Toilette haben Mülheimerinnen und Mülheimer in einem dreitägigen Charrette-Verfahren vor rund neun Jahren erarbeitet: Umgesetzt hat die Stadt davon jedoch wenig. © WAZ FotoPool | Tanja Pickartz

Denn ein Konzept gibt es nicht. Es soll erst einmal bis zum Februar 2022 „erarbeitet“ werden. Der Kiosk solle in diesem Gesamtkonzept „ein Baustein“ sein. Doch zunächst wäre der Abriss des offenbar völlig heruntergekommenen und überdies wohl Schadstoffbelasteten Gebäudes unumstößlich – und der anschließende Aufbau.

Politischer Streit um die Ausrichtung des Konzepts ist schon entbrannt

Fördermittel könnten wohl über das Bundesprogramm „City adapt – Begrünungsoffensive für die Mülheimer Innenstadt“ verfügbar werden, stellte Blasch in Aussicht.

Doch darüber, was überhaupt angestrebt werden soll, besteht kaum Klarheit. Schon die Ankündigung des Stadtplaners, dass der aktuelle „Kompromiss aus Parkplatz und Aufenthaltsplatz“ nicht trage – und man sich entsprechend für das eine oder andere entscheiden müsse –, sorgte in der Politik für weitestmöglichen Dissens.

Warum am Markt der Stillstand herrscht

Viele Ideen zum Rathausmarkt hatte die Bürgerschaft 2013 zum Charrette-Verfahren eingebracht: eine einladende Treppenanlage vor dem Rathaus, eine Stadtbühne und deutlich mehr Grün. Statische Gründe, Versorgungsleitungen der Tiefgarage führte die Stadt am Ende gegen die Bürgerideen an.

Die anliegenden Händler und Gastronomen drängten als „Bürgerinitiative Rathausmarkt“ 2015 darauf, dass 30 bis 40 Parkplätze „testweise für drei Jahre“ erhalten bleiben sollten. Fraktionsgeschäftsführer Hansgeorg Schiemer (CDU) unterstützte damals das Ansinnen mit Verweis auf wachsende Besucherströme an der Ruhrbania-Promenade.

Aus dem Kiosk sollte ein kleines Platzcafé mit Sonnendeck und öffentlicher Toilette werden. Doch die Versuche, etwa der Pia und anderer Investoren, das Gebäude herzurichten, scheiterten.

Auch der Werbegemeinschaft Innenstadt gingen die Kiosk-Pläne damals gegen den Strich, räumte der Geschäftsführer Hermann-Josef Pogge ein. Die WGI wollte den Rathausmarkt als Multifunktionsfläche für Wochen- und Themenmärkte sowie für Feste und Konzerte reservieren, und schlug vor, stattdessen die Bahnbögen für den Einzelhandel auszubauen.

Während Timo Spors (Grüne) darauf verwies, dass die Koalition vor einem halben Jahr im Mobilitätsausschuss bereits die Neukonzeption des städtischen Parkraums beantragt hatte – die auch dazu führen könnte, die oberirdischen Parkplätze zugunsten der Tiefgarage aufzulösen oder wenigstens zu reduzieren – stemmte sich die FDP dagegen, diese aufgrund von Protesten der Händlerschaft erhaltenen Parkmöglichkeiten zu opfern.

Den ganzen Platz nun neu zu überdenken, zweifelte auch eine Stimme der CDU an: „Er ist doch gerade erst mit Fördermitteln neu gepflastert worden.“ Es sei auch „der falsche Weg“, Parkplätze umzubauen, die genutzt würden und koste „ein Heidengeld. Viel schöner würde er damit auch nicht“, argumentierte sie.

Wann soll es umgesetzt werden? Nicht vor 2023 – stellte Stadtplanung in Aussicht

Und da wäre auch noch die Frage der Bürgerbeteiligung. In einem Charrette-Verfahren vor rund neun Jahren hatten Mülheimerinnen und Mülheimer den Rathausmarkt zu einem zentralen Baustein der Innenstadt erklärt. Umgesetzt hatte die Stadtverwaltung davon wenig, Stückwerk. Und auch im Ausschuss musste die Grüne Brigitte Erd den Stadtplaner erst daran erinnern, dass die damaligen Vorschläge auch jetzt wieder einzubeziehen seien.

Der anbahnende Zoff um die Ausrichtung des Gesamtkonzepts dürfte den dringlichen Neustart allerdings weiter verzögern. Welche zeitliche Perspektive die Stadtverwaltung für die Umsetzung eines Konzepts anpeile – „noch 2022?“, hakte Sonja Strahl (Die Partei) nach. Blasch blieb vage: Er könne „nicht versprechen, dass alles sofort umgesetzt werden kann“.

Mit einem Bild kommentierte Günther Stolz die Reaktion in der Ausschusssitzung: „Man hat das Gefühl, man sei Joggen gewesen, und stellt dann fest, dass man auf einem Laufband gerannt ist, auf der Stelle.“