Mülheim. SPD feiert – CDU trauert – und Enttäuschung gibt’s auch bei den Grünen. FDP landet klar vor der AfD. Linke haben in Mülheim keinerlei Chance.
Die Bundestagswahl 2021 war geprägt vom Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden großen Parteien, bedingt durch starke Zuwächse der SPD und herbe Verluste der CDU. Zugelegt haben auch die Grünen, verloren die Linken. Wie Mülheims Politiker die Situation bewerten.
Die SPD
„Für uns ist klar: Wir haben die Wahl gewonnen, wenn man bedenkt, wo wir vor Wochen standen“, zieht SPD-Parteichef Rodion Bakum eine erste Bilanz des Abends. Er attestierte den Genossen auch in Mülheim einen „grandiosen Wahlkampf“. Er habe keinen Zweifel mehr, dass SPD-Kandidat Sebastian Fiedler direkt in den Bundestag gewählt werde, so Bakum gegen 20.15 Uhr, als rund 150 von 218 Stimmbezirken im Wahlkreis ausgezählt waren.
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Die positive Stimmung sei an den Wahlkampfständen schon zu spüren gewesen, auch sei Kandidat Fiedler offenbar gut angekommen bei den Wählern, auch im Süden der Stadt, wo es der SPD gelungen sei, zur CDU aufzuschließen. Den SPD-Erfolg vor Ort mache er definitiv auch an der Kandidatur Fiedlers fest, ebenso an den Wahlkämpfern, „die noch einen Meter mehr gegangen sind, noch eine Haustür weiter, weil sie gesehen haben, da liegt was in der Luft“.
„Wir haben jetzt eine neue Zeit“, so Rodion Bakum
Das gute Abschneiden der SPD im Bund führt er auf Kanzlerkandidat Olaf Scholz zurück, aber auch darauf, dass die SPD diszipliniert aufgetreten sei, und in einem Prozess über Jahre ein Programm geschmiedet habe, in dem viel Glaubwürdigkeit stecke, weil Personen und Programm eins seien. „Wir haben jetzt eine neue Zeit“, sieht Bakum die Tiefpunkte seiner Mülheimer SPD bei den Wahlen seit 2017 überwunden. Es sei „schön zu sehen, dass unsere Arbeit Früchte trägt“. Viele in Mülheim hätten die SPD totgesagt, auch die schwarz-grüne Ratskoalition habe klargemacht, ohne SPD auskommen zu können. „Doch die SPD lebt.“ Hoffnungen der politischen Mitbewerber, auch bei einer Bundestagswahl die Führungsposition in der Stadt einzunehmen, hätten sich „in Schall und Rauch aufgelöst“.
Die CDU
Von wegen Wahl-Party: Still bleibt’s in Franky’s Ruhrkristall, als die rund zwei Dutzend CDU-Anhänger gegen 18 Uhr die erste Prognose vom Bildschirm ablesen. Astrid Timmermann-Fechter, die gern wieder nach Berlin ginge und bis zum späten Abend nicht weiß, ob es vielleicht noch über die Landesliste klappt, hofft lange, dass die CDU wenigstens stärkste Kraft wird. Leider sei von Anfang an klargewesen: „Nach 16 Jahren mit einer starken Kanzlerin an der Spitze ist eine Neuorientierung nicht einfach.“ Immerhin habe man durch einen starken Endspurt im Wahlkampf noch ein Kopf-anKopf-Rennen erwirkt. Die rund 24 Prozent aber könnten niemanden in der CDU dauerhaft zufriedenstellen.
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Dass die Christdemokraten hinter der SPD landen, räumt gegen 21 Uhr zähneknirschend CDU-Fraktionschefin Christina Küsters ein. Leider schlage sich der Bundestrend auch im Mülheimer Erststimmen-Ergebnis nieder. „Wir werden auch hier eine Niederlage einfahren“, so Küsters, als noch 26 der 218 Stimmbezirke auszuzählen sind und Fiedler mit 36,2 Prozent weit vor Timmermann-Fechter mit 23,7 Prozent liegt. Dass ihre Kandidatin rund acht Prozent gegenüber 2017 eingebüßt habe, entspreche genau dem Bundestrend, analysiert sie.
Markus Püll: „Wir müssen jetzt einen Neuanfang auf Bundesebene hinbekommen“
Bürgermeister Püll nennt die Lage „traurig: Wir müssen jetzt einen Neuanfang auf Bundesebene hinbekommen – aus der Regierung oder der Opposition.“ Landtagskandidat Heiko Hendriks ahnte länger schon, „dass dieser Wahlabend kein Triumphzug wird“. Der Abgang der Kanzlerin sei eine Zäsur gewesen, „und die Art und Weise, wie sie abgetreten ist, hat noch mal ihre Souveränität und Klasse gezeigt“.
Die Grünen
Rund 100 Menschen haben sich zur Wahlparty der Grünen im Restaurant „Ronja“ versammelt. Bundestagskandidatin Franziska Krumwiede-Steiner zeigt sich zunächst zuversichtlich: „Heute ist alles möglich. Ich hoffe, dass wir uns dieses Jahr verdoppeln werden – dann wären wir happy!“ Doch die erste Prognose für die Grünen liegt bei 14,5 Prozent. Stille statt Jubel. „Das reicht leider nicht für uns“, sagt Krumwiede-Steiner. Mit Platz 29 auf der Landesliste hat sie auf mindestens 17 Prozent gehofft, um in den Bundestag einzuziehen.
Auch Vorstandssprecherin Kathrin-Rosa Rose zeigt sich verhalten: „Wir hätten mehr erwartet. Trotzdem: Das Ergebnis ist immer noch deutlich höher als bei der letzten Wahl.“ Damals erreichten die Grünen auf Bundesebene 8,9 Prozent. Mit einem Rest Hoffnung blicken alle auf die ersten Hochrechnungen – am Ergebnis ändert es nicht mehr viel. Auch für ein Direktmandat reichen die Erstwählerstimmen mit 14,9 Prozent im Wahlbezirk Mülheim-Essen I nicht aus. Es bleibt still im Ronja. „Ich bin sehr enttäuscht. Wir haben uns einfach mehr erhofft“, so Krumwiede-Steiner. Dennoch bleibe ihre Devise: „Krönchen richten und weitergehen.“
„Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf“, so Fabian Jaskolla
Bei ihrer Dankesrede erntet sie lauten Applaus. Man merkt: Hier gibt keiner auf. „Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf“, so Vorstandssprecher Fabian Jaskolla. Kathrin-Rosa Rose zu Krumwiede-Steiner: „Das Ergebnis hat nichts mit dir zu tun – du hast gerockt und so viele Herzen im Sturm erobert.“ Als die Gäste heimgehen, nehmen sie Krumwiede-Steiners Willkommensworte mit: „Egal, was heute passiert – wir sind und bleiben der Aufbruch.“
Die FDP
Auch die FDP musste im Vergleich zur Bundestagswahl vor vier Jahren Verluste hinnehmen; der Ärger im Lager von Mülheims Liberalen hält sich aber in Grenzen. Die 11,6 Prozent sind immer noch eines der besten Ergebnisse im Ruhrgebiet. „Das kann man dann auch nicht schlecht reden“, findet Mülheims Parteichef Christian Mangen. Er ist glücklich, „dass wir hier vor der AfD liegen“.
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Für Direktkandidat Joachim vom Berg (8,96 Prozent) hingen die Trauben nach 2017 ohnehin sehr hoch. „Damals war es ein supergutes Ergebnis, das war schwer, wieder zu erreichen“, so der 46-Jährige. „Wir lagen damit auch klar über unserem Stammwählerpotenzial“, betont er. Dieses schätzt vom Berg auf maximal sechs Prozent. Der Direktkandidat bilanziert: „Wir haben Konstanz bewiesen.“
Christian Mangen: „Der Wahlkampf war zu sehr auf die Direktpersonen zugeschnitten“
Parteichef Mangen bedauert, dass der Wahlkampf „zu sehr auf die Direktpersonen zugeschnitten“ war. „Die SPD hat sehr früh Olaf Scholz zum Sieger gekürt, das wird heute noch zu gewissen Wanderungen in Richtung der CDU geführt haben“, mutmaßt der 49-Jährige.
Die AfD
Knappe zweieinhalb Prozentpunkte hat die AfD im Vergleich zur letzten Bundestagswahl verloren. Die Verluste führt Parteichef Alexander von Wrese auch auf neue Konkurrenz in Mülheim zurück. „Wir sind mit dem Ergebnis natürlich nicht zufrieden“, sagt er. Das Resultat liege mit Sicherheit nicht am mangelnden Einsatz im Wahlkampf, sondern vielmehr an den Gesamtumständen. „Auch im Bundesschnitt sind wir hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Es ist uns nicht gelungen, die Wählerinnen und Wähler von unserer Politik zu überzeugen“, sagt Mülheims AfD-Chef.
Grund dafür sei in seinen Augen „nach wie vor die öffentliche Stigmatisierung der AfD vor allem im Westen. Da haben wir bei vielen Menschen noch eine schwierige Erreichbarkeit“, sagt von Wrese. Dass er mehr Erst- als seine Partei Zweitstimmen gesammelt hat, sieht der 42-Jährige als Bestätigung seiner Person. Von Wrese hebt die Ergebnisse in den nördlichen Bezirken der Stadt hervor, in denen seine Partei die besten Ergebnisse hat.
„Herr Bilo hat klassische Themen der AfD angesprochen“, so Alexander von Wrese
Die fehlenden Prozentpunkte macht von Wrese auch an neuer Konkurrenz fest – namentlich den Freien Wählern und Horst Bilo. „Herr Bilo hat klassische Themen der AfD angesprochen.“
Die Linken
Auf der Bundesebene kämpft „Die Linke“ am Abend noch um das Überqueren der Fünf-Prozent-Hürde. In Mülheim hat sie diese klar verfehlt. Sprecherin und Direktkandidat schicken bittere Grüße an die Bundespartei. Auf gerade einmal 3,3 Prozent kommt „Die Linke“ bei den Zweitstimmen. Das sind zwar mehr als bei der Kommunalwahl, aber weit weg vom Ergebnis der letzten Wahl auf Bundesebene (7,7 Prozent). „Wir sind fassungslos“, sagt Mülheims Linken-Sprecherin Andrea Mobini.
Sie schiebt das Ergebnis auf den deutschlandweiten Trend. „Die Streitereien in der Bundes- und Landespartei bekommt die Öffentlichkeit mit.“ Auch Direktkandidat Eliseo Maugeri (18) spart nicht mit Kritik an der Gesamtpartei. „Das ist eben das Bild, das in den Medien zurzeit vermittelt wird. Viele Menschen sind abgeschreckt von den handelnden Personen.“ Er landete mit 2,6 Prozent der Stimmen auf dem sechsten Platz bei Mülheims Direktwahl. „Ich glaube nicht, dass es an den Leuten liegt, die hier angetreten sind“, nimmt Andrea Mobini ihren Kandidaten in Schutz. Der sagt: „Wir haben einen guten Wahlkampf gemacht und hatten aus verschiedenen Generationen gute Rückmeldungen.“
Eliseo Maugeri: „Nun heißt es, für NRW richtig reinzuhauen“
Der Politik-Debütant nimmt nun als nächstes sein Abitur 2023 in Angriff. „Natürlich betrüben solche Ergebnisse. Aber nun heißt es, für NRW richtig reinzuhauen, weil wir in Mülheim einen starken Kreisverband haben, der Missstände offenlegt und für soziale Gerechtigkeit einsteht“, betont Maugeri.