Mülheim. Nur 14 Gesundheitsämter der Kommunen in NRW nutzen derzeit die Kontaktpersonen-Nachverfolgungssoftware Sormas. Warum Mülheim nicht dazugehört.
Das Land NRW will in der Pandemie die Kontaktpersonen-Nachverfolgung in den Gesundheitsämtern digitalisieren: Per Erlass sollen die Kommunen den elektronischen Datenaustausch zwischen ihren Gesundheitsämtern bis zum 30. September umsetzen. Mit der Software „Sormas“ sollen Infektionsketten über Städtegrenzen hinweg verfolgt werden können. Von den 53 Kreisen und kreisfreien Städten in NRW nutzen aktuell 14 diese Software. Mülheim gehört bisher nicht dazu.
Der elektronische Datenaustausch kann durch Sormas erfolgen, es muss aber laut NRW-Erlass nicht diese bestimmte Software sein. „Eine Nutzung wird in Mülheim nicht ausgeschlossen, jedoch muss die Software reibungslos funktionieren und die Zukunft von Sormas geklärt werden“, sagt dazu Dr. Frank Pisani, der Leiter des Mülheimer Gesundheitsamtes. Mit Beginn der Corona-Pandemie im vergangenen Jahr habe das IT-Team in der Stadtverwaltung selbst eine Software speziell für Covid-19 entwickelt. Mit dieser eigenen Software – COE – arbeiten seither das Gesundheitsamt und auch andere Stellen in der Stadt.
Mülheimer Stadtverwaltung hat eine eigene Software entwickelt
Vor der Corona-Pandemie habe man in Mülheim Excel-Tabellen und die Software SurvNet (zur Übermittlung von Meldedaten an das Robert-Koch-Institut, RKI) genutzt. COE, erklärt Pisani, sei eine einfache Datenbank, in die per Eingabemaske alle nötigen Daten zum Infizierten und seinen Kontaktpersonen eingegeben werden können. So ermögliche COE die Fall-Dokumentation, die Verfolgung der Kontakte und auch die Erstellung von Dokumenten. Etwa die Anordnung einer Quarantäne oder eine Aufforderung zur Kontaktaufnahme, wenn eine Telefonnummer fehlt. COE habe sich auch bei einer Inzidenz von 220 in Mülheim bewährt, sagt Pisani.
COE habe Zugang zum Einwohnermeldesystem der Stadt (MESO), um die Bürgerinnen und Bürger schnell erreichen zu können, erklärt der Leiter des Gesundheitsamtes. Zudem konnten über COE für das inzwischen geschlossene städtische Diagnosezentrum Laborscheine für die Abstriche erzeugt werden, um mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) abrechnen zu können.
Andere Mülheimer Behörden wie Ordnungsamt oder Feuerwehr haben einen Lesezugriff auf COE mit den wichtigsten Daten, allerdings werden wegen des Datenschutzes die Daten zum Gesundheitszustand ausgeblendet. Auch die beiden Krankenhäuser haben einen Lesezugriff und können in COE etwa dokumentieren, wenn ein Patient beatmet wurde. Es gebe damit also eine ständige Kooperation zwischen Klinik und Gesundheitsamt, wenn das nötig sei, so Pisani.
Stadt Mülheim kritisiert: Die Übertragung der Daten ist noch fehlerhaft
Wenn Kontaktpersonen verschwiegen werden
Der Leiter des Mülheimer Gesundheitsamts, Dr. Frank Pisani, verweist darauf, dass es bei beiden Systemen darauf ankomme, dass eine infizierte Person auch alle Kontakte angibt und keine Kontaktpersonen verschweigt.
Während der Pandemie sei es auch in Mülheim sehr häufig vorgekommen, dass Kontaktpersonen aus Freundschaftsdienst, falsch verstandenem Ehrgefühl oder zur Quarantänevermeidung verschwiegen wurden.
Ein weiteres Problem, das auch durch die Digitalisierung nicht beseitigt werden könne, seien fehlende Angaben auf Laborscheinen. Vor allem an Wochenenden und Feiertagen sei es schwierig, wenn Telefonnummern fehlten oder alte Anschriften angegeben würden. Dies verzögere die Nachverfolgung bis zu zwei Tagen, da an Wochenenden meist weder Labore noch behandelnde Ärzte erreichbar sind.
Ein möglicher Ansatz wäre der Einsatz einer einheitlichen App auf allen Mobiltelefonen, schlägt Pisani vor. So könnten Kontakte via Bluetooth erfasst und im Fall einer Infektion an das zuständige Gesundheitsamt gemeldet werden.
Die Kritik der Stadt an Sormas: Die Software sei ursprünglich für den Einsatz während der Epidemien in Afrika entwickelt worden. Hierzulande sei Sormas dann für Covid-19 angepasst worden. COE hingegen sei eine individuelle Eigenentwicklung, zugeschnitten auf die Bedürfnisse Mülheims mit den passenden Schnittstellen. „Die Anbindung an das RKI-System über SurvNet und die Labormeldeschnittstelle Demis sind zwar schon bei Sormas programmiert“, sagt Pisani, „aber die Übertragung ist noch fehlerhaft“.
Sormas biete zwar den Vorteil einer einheitlichen Software bundesweit, so dass Fälle digital erfasst und zwischen den Gesundheitsämtern ausgetauscht werden können. Individuelle Gegebenheiten wie etwa der Betrieb eines städtischen Diagnosezentrums waren bei der Entwicklung aber gar nicht vorgesehen, so dass Schnittstellen hier fehlten, so Pisani. So habe man in der Pandemie weiterhin auch andere Software-Leistungen nutzen müssen. „Anbindungen an die hiesigen Einwohnermeldesysteme sind zudem nicht möglich, da Sormas nicht auf den städtischen Servern läuft, sondern bei einem Drittanbieter. Dies verstößt aber gegen den Datenschutz“, betont der Amtsleiter.
Nur drei Städte im Ruhrgebiet nutzen Sormas bislang
Sofern es sich um kommunal übergreifende Fälle handelt, muss beim Einsatz von COE, anders als bei Sormas, derzeit noch ein anderes Gesundheitsamt per E-Mail kontaktiert werden, räumt Pisani ein, oder eben auch noch per Telefon oder Fax. „Der Erlass sieht nur die Sicherstellung des interkommunalen Datenaustausches in der Kontaktpersonen-Nachverfolgung vor“, sagt er. „Dieser ist heute ausreichend per Mail, Fax und Telefon gewährleistet.“
Unter den 14 NRW-Kommunen, die Sormas derzeit nutzen, sind nach Angabe des Gesundheitsministeriums NRW im Ruhrgebiet aktuell nur drei: Bottrop, Duisburg und Herne.