Mülheim. Am Sonntag könnte Mülheims Ruhrufer erneut Ort einer Versammlung werden, die den Staatsschutz auf den Plan gerufen hat. Was dahintersteckt.
Sie distanzieren sich davon, Reichsbürger zu sein. Und doch wird am Sonntag wieder der Staatsschutz ein Auge haben auf eine Versammlung, die zur besten Ausflugszeit an Mülheims Ruhrufer stattfinden soll: Das selbst ernannte „Verfassungsvolk“ ruft auf zum Protest in den Ruhranlagen.
Eine Bürgerversammlung werde man am Sonntag zwischen 15 und 18 Uhr auf der großen Wiese am Spielplatz „Auf dem Dudel“ ausrichten, teilte dieser Tage Janine von der Heiden mit. „Die freundliche Polizei der Stadt Mülheim/Ruhr war bereits auch immer mit dabei, um unsere Versammlung zu schützen“, schrieb sie weiter. Und: „Wir werden leider immer wieder in die Reichsbürger-Ecke gestellt, von denen wir uns aber aufs Schärfste distanzieren.“
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Einladende ist eine Gruppierung namens „Das Verfassungsvolk“
Was aber hat es auf sich mit dieser „Versammlung“, zu der laut von der Heiden „das Verfassungsvolk“ einlädt die nun schon zwei Mal an den vergangenen Sonntagen Polizei und Staatsschutz hat ausrücken lassen?
Auf Nachfrage erklärt von der Heiden, dass es Ansinnen sei nachzuholen, was 1990 bei der „sogenannten Wiedervereinigung“ zwingend nötig gewesen wäre: Deutschland eine neue Verfassung zu geben. „Dieses wurde von den damals amtierenden Politikern wissentlich vereitelt“, sieht von der Heiden durch die „nicht mehr tragbare Regierung" Korruption, Manipulation, Pädophilie, Wahlfälschung und Zwangsimpfung in Deutschland an der Tagesordnung.
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Verfassungsschutz hat Verschwörungsmythen in den Fokus genommen
Querdenker seien die Mitglieder ihrer Bewegung nicht, auch keine Reichsbürger, so von der Heiden. Der Staatsschutz wertet das offenbar anders. Er hat einen geschärften Blick auf die für diesen Sonntag erneut angekündigte Versammlung. Erst in dieser Woche war der neue Verfassungsschutzbericht für NRW publiziert worden. Auf zehn Seiten widmete dieser sich Verschwörungsmythen als einer Gefahr für die Demokratie, die mit Beginn der Corona-Pandemie verstärkt Ausbreitung fänden.
„Der Verfassungsschutz nimmt insbesondere die Versuche der Einflussnahme und Instrumentalisierung durch Rechtsextremisten intensiv in den Blick und stellt eine zunehmende Radikalisierung demokratiefeindlicher und staatsgefährdender Bestrebungen innerhalb dieser Bewegung fest“, heißt es.
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Polizei hat Strafanzeigen gegen mutmaßlichen Organisator gefertigt
Eine offizielle Einschätzung des Essener Staatsschutzes zu den „Versammlungen“ des „Verfassungsvolkes“ in Mülheim steht noch aus. „Der Staatsschutz schaut sich die Hintergründe an“, so ein Polizeisprecher auf Anfrage. Noch sei unklar, „mit welcher Art von Gruppen wir es hier zu tun haben“.
Strafermittlungen aber laufen schon jetzt. Denn laut Polizei waren beide bisherigen Versammlungen nicht angemeldet. Das ist ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht und dürfte, sollte sich ein Verantwortlicher identifizieren lassen, Konsequenzen haben.
Erneut liegt der Polizei keine Anmeldung für Versammlung vor
Das „Verfassungsvolk“ und Reichsbürger
Die Aktivisten des selbst ernannten „Verfassungsvolks“ geben zwar an, nicht in die Ecke von Reichsbürgern geschoben zu gehören. Doch im Netz finden sich doch Hinweise darauf, dass sie wie die Reichsbürger die Existenz Deutschlands negieren, wenn es da zur Initiative für eine verfassungsgebende Versammlung etwa heißt: „Die Bundesrepublik ist nicht Deutschland. Deutschland hat noch keine Verfassung.“
Reichsbürger vertreten die Meinung, die Bundesrepublik existiere nicht und stehe weiter unter der Kontrolle der Besatzungsmächte. Reichsbürger werden in Verbindung gebracht unter anderem mit dem Sturm auf das Berliner Reichstagsgebäude im August 2020.
Auch für diesen Sonntag lag der Polizei innerhalb der Frist (48 Stunden vor Versammlungsbeginn) am Freitag keine Anmeldung für die angekündigte Versammlung am Sonntag vor. Und das, obwohl die Polizei einem Teilnehmer aus einer Nachbarstadt, den sie als Versammlungsleiter ausgemacht haben will, das Anmeldeformular gar „als besonderen Service“ nach Hause zugestellt habe. Ob diese Person beim Staatsschutz als Extremist bekannt ist, blieb unklar.
Die Polizei war an den vergangenen Wochenende im Übrigen von Bürgern hinzugerufen worden, mindestens in einem Fall wegen Ruhestörung, die unter anderem von Ansprachen via Außenlautsprecher ausgegangen sein soll.
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Sprecher der Polizei: „Es spitzt sich jetzt zu“
Aufgelöst hatte die Polizei die zwei unangemeldeten Versammlungen übrigens nicht. Man bevorzuge da eine Strategie der Deeskalation, hieß es auf Nachfrage. Von den rund 50 Teilnehmern am vergangenen Sonntag sei keine Aggression ausgegangen, es seien keine Waffen und verfassungsfeindliche Symbole aufgetaucht, „alle waren kooperativ und ruhig“, hieß es. So habe man keine Veranlassung gesehen, das hohe Gut der freien Meinungsäußerung zu beschränken.
Gleichwohl sagt die Polizei vor einer möglichen dritten Veranstaltung am Sonntag: „Es spitzt sich jetzt zu.“ Denn mindestens legen es die Aktivisten mit ihren unangemeldeten Versammlungen darauf an, die Staatsmacht zu provozieren, die sich schwer vorbereiten kann auf mögliche Szenarien bis hin zu Gegendemos am Sonntag. Man halte sich offen, ob man den Protest am Sonntag nicht womöglich doch auflöse, heißt es.