Düsseldorf. Die Pandemie erweist sich in NRW offenbar als Katalysator einer neuen Entwicklung: Extremismus löst sich von gängigen Ideologien ab.

Die Corona-Krise hat nach Einschätzung von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) verfassungsfeindliche Tendenzen in der Mitte der Gesellschaft deutlich verstärkt. Es etabliere sich ein Extremismus, der sich von klassischen Ideologien löse und neue Mischszenen aus Unzufriedenen forme. „Die Corona-Krise ist der Antreiber von Zweifeln, Misstrauen, von Verschwörungsmythen und von radikalen Ansichten“, sagte Reul am Dienstag bei der Vorstellung des alljährlichen Verfassungsschutzberichts.

2020 gab es in NRW insgesamt 6543 politisch motivierte Straftaten und damit im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs von 8,5 Prozent. Der Anstieg ging vor allem auf Straftaten zurück, die sich nicht als politisch rechts, links oder religiös motiviert einordnen lassen. Die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten sank im Corona-Jahr 2020 dagegen auf ein Zehn-Jahres-Tief von „nur“ 331 Fällen. Reul sprach dennoch von einer beunruhigenden Entwicklung: „Dieses Dagegen-Sein ist in keinen der bisherigen Phänomenbereiche einzuordnen.“ Die Mitte sei in Gefahr.

Corona-Kritik mündet in Delegitimierung des Staates

Der NRW-Verfassungsschutz hat den bundesweit ersten Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und Corona-Leugnern vorgelegt. Die Maßnahmen-Kritik am Pandemie-Krisenmanagement der Staates sei immer strategischer zur Delegitimierung der staatlichen Institutionen genutzt worden, erklärte Verfassungsschutz-Chef Burkhard Freier. Konkret nachrichtendienstlich beobachtet werden von den NRW-Sicherheitsbehörden zwei große Organisationen: Corona-Rebellen Düsseldorf und die regionale Querdenker-Szene. Hinzu kommen 20 bekannte Rädelsführer, die immer wieder in den sozialen Netzen aufstacheln. Es gebe zwar Bezüge zum Rechtsextremismus und zur Reichsbürgerszene, aber der Phänomenbereich sei „eben nicht gleich“, so Freier. Vielmehr gelingt es einer größer und gewalttätiger werdenden rechtsextremen Szene, über eine Gegenöffentlichkeit im Netz bei bürgerlichen und bisweilen sogar gut ausgebildeten Systemskeptikern anzudocken.

"Die Ränder der Gesellschaft wachsen, die Diskurse verrohen"

Der Corona-Protest ist dabei offenbar nur ein Katalysator für schon länger in der Gesellschaft gärende Unzufriedenheit und Eliten-Verachtung. „Die Ränder der Gesellschaft wachsen, die Diskurse verrohen und nagen am demokratischen Kern“, sagte Reul. Die Enttäuschten suchten sich immer neue Aufhänger, wie schon die Erfahrungen mit den Pegida-Protesten oder der Gelbwesten-Bewegung zeigten. „Wir müssen aufpassen, dass aus so manchem Querdenker kein extremistischer Querschläger wird“, sagte Reul.