Mülheim. Mülheims Jugend kämpfte gegen ihren Abriss, konnte ihn aber nicht mehr verhindern: Vor 50 Jahren verschwand die Pauli-Kirche. Ein Blick zurück.
Vor genau 50 Jahren wird eine Kirche zum Politikum. Am 27. Juni 1971 beschließt das Presbyterium der Evangelischen Altstadtgemeinde, die um 1880 an der Mülheimer Delle errichtete Pauli-Kirche abzureißen. Schon 1683 war an gleicher Stelle eine Vorgänger-Kirche eingeweiht worden.
Für viele Mülheimer ist die (zweite) Pauli-Kirche, ursprünglich die Gemeindekirche der Lutheraner, mit vielen persönlichen Erinnerungen verbunden. Die Kirche ist als Hochzeitskirche beliebt und lädt täglich zu ökumenischen Andachten ein. Doch am 27. Juni 1971 wird der letzte Gottesdienst gefeiert.
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Pastor Walter Hufschmidt erinnert an diesem Tag in seiner Predigt daran, „dass in der Vergangenheit in dieser Kirche und von dieser Kanzel aus immer wieder Mahnungen des Friedens und des Verstehens anderer ausgegangen sind.“
Viele in der Gemeinde tun sich mit dem Abriss der Pauli-Kirche schwer
Sein Appell an Verständnis und Versöhnung kommt nicht von ungefähr. Viele Gemeindemitglieder tun sich mit dem Abriss der Pauli-Kirche schwer. Doch die auf 193.000 Einwohner angewachsene Stadt braucht neues Bauland für die Innenstadterweiterung. Und das Presbyterium der Evangelischen Altstadtgemeinde, die inzwischen in der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim aufgegangen ist, sieht keinen Anlass dafür, sich neben der nahen Petrikirche eine zweite Innenstadt-Kirche leisten zu wollen und zu müssen.
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In dieser Situation entdecken Jugendliche ihre Chance. Sie wollen in der nicht mehr genutzten Pauli-Kirche ein selbstverwaltetes Jugendzentrum eröffnen. Und sie machen gleich die Probe aufs Exempel.
Zeitzeuge Hartmut Kremer erinnert sich: „Ich war damals 17 Jahre alt und machte eine Berufsausbildung im Lebensmittelhandel. Mit Thomas Schröer bin ich bei Nacht und Nebel durch ein Fenster in die Pauli-Kirche eingestiegen. Von innen haben wir dann die Kirchentüren entriegelt. Dann haben wir uns regelmäßig nicht mehr am Brunnen auf dem Berliner Platz, sondern in der Pauli-Kirche getroffen.“
„Wir waren damals etwa 50 Jugendliche und junge Erwachsene, die ein selbstverwaltetes Jugendzentrum aufbauen wollten“, erklärt Kremer. In der Pauli-Kirche haben sie das gemacht, was sie im selbstverwalteten Jugendzentrum machen wollten: Musik, Diskussion, Theater und Kabarett. „Leider mussten wir damals die Erfahrung machen, dass die damals mit absoluter Mehrheit regierende SPD die Idee eines Jugendklubhauses unterstützte, aber nichts für uns getan hat.“
Junge Leute können sich mit Idee eines selbstverwalteten Jugendzentrums nicht durchsetzen
Kandidat für den OB-Posten
Thomas Schröer war 1971 als 25-jähriger Lehramtsstudent bereits in der der SPD aktiv. Von 1980 bis 1990 gehörte der Pädagoge dem Deutschen Bundestag an und kehrte dann ab 1994 als Stadtverordneter in die Kommunalpolitik zurück. Bei der Kommunalwahl 1994 verlor die SPD nach mehr als 40 Jahren ihre absolute Mehrheit im Rat und wurde vom ersten schwarz-grünen Bündnis unter Oberbürgermeister Hans-Georg Specht (CDU) und Bürgermeister Wilhelm Knabe (Grüne) abgelöst.
Thomas Schröer kandidierte bei der ersten Direktwahl 1999 als SPD-Bewerber für das Amt des Oberbürgermeisters und unterlag nach einer kuriosen Zweitauszählung dem damaligen CDU-Kandidaten Jens Baganz mit 58 Stimmen, nachdem er zunächst mit einem Vorsprung von 33 Stimmen zum Sieger und damit zum ersten direkt gewählten Oberbürgermeister der Stadt ausgerufen worden war. Thomas Schröer starb 2007.
Viele Jugendliche, die regelmäßig die Pauli-Kirche besuchten, bekamen deshalb zu Hause Ärger. „Sie bekamen zu hören: ‚Da gehst du nicht mehr hin‘.“ Obwohl es im Sommer 1971 zwischen Kirche, Stadt und Jugendlichen zum Gespräch kommt, können sich die jungen Leute mit ihrer Idee eines selbstverwalteten Zentrums nicht durchsetzen.
Am 7. Oktober 1971 schaffen die Bagger dann mit dem Abriss der Pauli-Kirche Fakten. Gleichzeitig wird eine große Kastanie gefällt. Eine weitere überlebt nur dank eines massiven Bürgerprotests und einer Unterschriftensammlung. Stehen bleibt vorerst auch ein windschiefes Fachwerkhaus, in dem die Grünen wenige Jahre später ihre erste Geschäftsstelle einrichten. „Ich bin dort zum ersten Kreissprecher der Grünen gewählt worden“, erinnert sich Hartmut Kremer.
Ironie der Geschichte: Bis heute ist der Ort ein Parkplatz geblieben
Im Fachwerkhaus an der Delle wird auch das alternative Stadtmagazin Freie Presse gemacht, das den mölmschen Filz ins Visier nimmt.
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1984 ziehen die Grünen erstmals in den Rat ein und machen sich unter anderem für ein autonomes Jugendzentrum stark, das 1997 als Ergebnis einer ersten schwarzgrünen Koalitionsvereinbarung an der Auerstraße eröffnet wird. Ironie der Geschichte: Der Platz, auf dem einst die Pauli-Kirche stand, ist bis heute ein Parkplatz geblieben.